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Katholischer Antimilitarismus im 19. Jahrhundert

Kirche & Weltkrieg: Band 1

Von Peter Bürger

Die römisch-katholische Bundesministerin für das Militärressort betreibt hierzulande das genaue Gegenteil dessen, was der Papst für die menschliche Zivilisation vorschlägt. Sie votiert - unter Einschluss der gefährlichen Technologie für ferngelenkte Militäraktionen - für eine Politik, die zur weiteren Explosion der deutschen Rüstungsausgaben führt. Insbesondere will die Ministerin, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, trotz des bahnbrechenden UN-Verbotsvertrags und der neuen "Katechismusvorgabe" der Weltkirche unbedingt die deutsche Atombombenteilhabe aufrechterhalten.

Nach der deutsch-katholischen Kriegsbeihilfe in zwei Weltkriegen und nachfolgenden Atombombentheologien zugunsten der Adenauer-Linie darf man sich über nichts mehr wundern. In der renommierten katholischen Zeitschrift "Herder-Korrespondenz" (1/2021) gab es jüngst wieder einen Vorstoß zur Apologie der Nato-Atomwaffen.

Auf den gegenwärtigen Papst kann die globale Friedensbewegung zählen, auf den politischen Katholizismus hierzulande wohl kaum. Die Zeiten, in denen sich die Verhältnisse anders gestalteten, liegen schon eineinhalb Jahrhunderte zurück: Der 1. Band unserer neuen Reihe "Kirche & Weltkrieg" erschließt katholische Kriegsdiskurse zwischen 1866 und 1914 über Forschungsbeiträge, regionale Studien und zentrale Quellentexte. Eine vom Anglikaner David Urquhart angestoßene Völkerrechtsinitiative auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 wünschte von der Weltkirche verbindliche Antworten auf die Irrlehren von Nationalismus, Militarismus und Imperialismus. Die Prioritäten des sehr auf sich selbst bezogenen Papsttums von Pius IX. lagen aber bekanntlich auf einem ganz anderen Feld (eigene "Unfehlbarkeit und Universalgewalt"). Das Vorhaben verpuffte letztlich.

Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel Ketteler gehörte als Unterzeichner der Völkerrechtseingabe auf dem Konzil schon lange zu den orientierten Leuten. Seine weitsichtigen Warnungen vor einer ausgelagerten eigenständigen Militärseelsorge, "Militärpriestern", "neuen Eiden" und Militärflitter an den Soutanen von staatshörigen Pfaffen verhallten ungehört (sie waren später den Verantwortlichen 1914-1918 und 1939-1945 aber mit einiger Sicherheit noch bekannt). Insbesondere entlarvte dieser Kirchenmann ab 1866 die gefährliche Idee, ein Staat wie Preußen könne sich auf einen besonderen weltgeschichtlichen Auftrag berufen.

In seiner Schrift "Die wahre Bedeutung des Kulturkampfes" (1875) stellt Ketteler klar, wovon man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann nichts mehr wissen will: "Auch wir leisten dem König Gehorsam […]; wir bestimmen aber den Umfang des Gehorsams gegen den König nach dem Willen Gottes, nicht umgekehrt den Umfang des Gehorsams gegen Gott nach dem Willen des Königs. Das Letztere tut aber das echte Preußentum."

1871 konstatiert ein katholischer Anonymus in den "Historisch-politischen Blättern" für das katholische Deutschland: "Wo ist überhaupt ein Zweig der menschlichen Tätigkeit welcher nicht mittelbar oder unmittelbar dem Kriege dienstbar gemacht worden wäre?" Der Zusammenhang von "Krieg" und ‚sozialer Frage’ ist maßgeblicher Ausgangspunkt der vorgebrachten Klagen.

Die Militarismus-Kritik des Jesuiten Georg Michael Pachtler von 1876 versetzt uns ob ihrer Schärfe - sowie dem kenntnisreichen Rekurs auf Fakten - in Staunen. Hier sichten wir das wohl bedeutsamste Zeugnis eines "ultramontanen (an Rom ausgerichteten) Pazifismus" der Kulturkampfjahre: "Die Eroberungspolitik ist ein Verbrechen, wie der Straßenraub; der Mörder von hunderttausend Menschen ist hunderttausend Mal schuldhafter, als der Eines Menschen."

Wirkungsgeschichtlich bleibt es von großer Bedeutsamkeit, wie warmherzig dieser Jesuit friedensbewegte Voten aus England oder Frankreich anführt - und hierbei wiederholt auf den im Konzil 1860 hervorgetretenen David Urquhart Bezug nimmt. (Pater Pachtler beschwört allerdings ansonsten als leidenschaftlicher Ultramontaner große Gefahren durch Sozialisten und die Freimaurerei, in welcher er Juden besonders stark vertreten glaubt.)

Nach dem deutsch-französischen Krieg beginnt - über den kulturellen Militarismus des Kaiserreiches" (u.a. Kriegervereine an allen Orten) - die um 1900 schon weit gediehene nationalistische Aufladung auch der katholischen Landschaften. Die Militarismus-Kritiker der Kulturkampfzeit hatten fast alle eine rückwärts gerichtete Weltanschauung und zeichneten sich durch Staatsferne aus. Die katholischen "Modernen" hingegen beantworteten die Nachstellungen der päpstlichen Theologenpolizei mit umso größerer Anhänglichkeit an die eigene Nation.

Am Vorabend des 1. Weltkrieges legen dann Moraltheologen aus diesem Lager schludrige Expertisen vor, die u.a. den Kolonialismus rechtfertigen und dem Kaiserreich nur willkommen sein können. Wie die Protestanten leisten die deutsch-katholischen Bischöfe 1914-1918 staatskirchliche Kriegsbeihilfe vom Schlimmsten. Die im 19. Jahrhundert greifbar gewordene Chance eines auch in Deutschland verstandenen Friedensdienstes der Weltkirche war vertan. Pater Georg Michael Pachtler hat sich damals angesichts der kriegstheologischen Textproduktion von deutschsprachigen Jesuiten wohl im Grabe herumgedreht.

Katholische Diskurse über Krieg und Frieden vor 1914.
Ausgewählte Forschungen nebst Quellentexten (= Kirche & Weltkrieg, Band 1).
Herausgeber P. Bürger, im Auftrag von pax christi - Deutsche Sektion e.V.
ISBN: 978-3-7526-7268-8 (Paperback; 340 Seiten; 14,80 Euro)
Direktbestellung und Inhaltsverzeichnis/Leseprobe (oben links anklicken):
https://www.bod.de/buchshop/katholische-diskurse-ueber-krieg-und-frieden-vor-1914-9783752672688

Der Band enthält Texte (Aufsätze, Quellen) von Peter Bürger, Franz Xaver Eberle, Johann Friedrich, Josef Griesbauer, Jens Hahnwald, Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Anton Koch, August Hermann Leugers-Scherzberg, Werner Neuhaus, Georg Michael Pachtler SJ, Dieter Riesenberger, Karl-Heinz Wiest.

Überblick über alles bislang erschienenen Teile des Projekts "Kirche & Weltkrieg"
https://kircheundweltkrieg.wordpress.com/buchreihe/

Veröffentlicht am

21. März 2021

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