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Vom Dilemma der US-Besatzung

Von Emran Feroz aus Kabul

In Sachen Afghanistan hat die Biden-Administration deutlich gemacht, dass sie in vielerlei Hinsicht den "Trump-Kurs" fortsetzen möchte. Konkret bedeutet dies die Fortführung von Friedensgesprächen und den Abzug des US-Militärs. Dennoch bleiben viele Fragen unbeantwortet. Das beste Beispiel hierfür ist die Frage rund um das Verbleiben der CIA am Hindukusch.

Wer durch Kabul spaziert, bemerkt auch in diesen Tagen die Präsenz von auffälligen Militärfahrzeugen, die oftmals eine Kolonne bilden und sich aggressiv durch den stockenden Verkehr der Hauptstadt schlängeln. Schwerbewaffnete Soldaten, in Gedanken schon bei ihrem nächsten Einsatz, sind erkennbar. Die Aufschrift "NDS" ist auf den schweren Geländewägen zu lesen. Der NDS ("National Directorate of Security") ist nicht irgendwer, sondern der afghanische Inlandsgeheimdienst, der nach 2001 von der CIA aufgebaut wurde. Es handelt sich hierbei um den verlängerten Arm der CIA in Afghanistan. Der US-Geheimdienst hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen massiven, innerafghanischen Sicherheits- und Überwachungsapparat errichtet. Es gibt mehrere CIA-Zentren im Land, etwa in Kabul, am Flughafen im östlichen Dschalalabad oder in der Stadt Khost im Südosten des Landes. Überwachungsballons dominieren das Landschaftsbild und sorgen für eine dystopische Stimmung, die schon längst zum Alltag geworden ist. Der NDS führt zahlreiche paramilitärische Schatteneinheiten, die regelmäßig landesweit ausschweifen und Operationen durchführen. Hinzu kommen weitere Milizen wie die "Khost Protection Force" (KPF), die im Südosten des Landes präsent ist und unabhängig vom NDS agiert. Seit Jahren wundern sich viele Beobachter des Afghanistan-Krieges über die Hierarchie innerhalb dieser Strukturen. Vieles geschieht im Dunkeln. Viele hohe afghanische Offizielle, unter anderem der Präsident selbst, sind in viele Machenschaften wohl gar nicht eingeweiht. Unumstritten sollte allerdings die Tatsache sein, dass die vollständige Kontrolle in Langley liegt. Ohne Zustimmung und Unterstützung der CIA wäre der NDS quasi bewegungsunfähig. Auch bei der Wahl des aktuellen NDS-Chefs, Ahmad Zia Saraj, musste erst der US-Geheimdienst zustimmen, bevor andere etwas zu sagen hatten.

Die letzten Jahre und vor allem auch die letzten Tage haben allerdings deutlich gemacht, dass jene Strukturen Afghanistan nicht sicherer, sondern vielmehr unsicherer gemacht und Radikalismus und Extremismus geschürt haben. Das jüngste Beispiel hierfür ist eine Operation, die in der Nacht des 10. März im Distrikt Khogyani in der Provinz Nangarhar stattgefunden hat. NDS-Einheiten stürmten dort eine Schule und töteten zehn Zivilisten, bestehend aus acht Schülern, einem Arzt und einem Lehrer. Das Massaker wurde nicht nur von der Regierung ignoriert, sondern auch von vielen Medien in Kabul. "Durch das Massaker wurden zahlreiche neue Taliban-Mitglieder kreiert", kommentierte ein Beobachter das Geschehen. Er spielte damit auf die Tatsache an, dass militante Gruppierungen derartige Angriffe auf die Zivilbevölkerung instrumentalisieren, um neues Personal zu rekrutieren. "Diese Milizen sind extrem brutal und terrorisieren die Menschen seit Jahren. Viele haben gar keine andere Wahl und müssen sich den Taliban anschließen", sagt ein Einwohner aus der Region im Gespräch mit den NachDenkSeiten. Er möchte anonym bleiben. All dies geschieht nun seit Jahren in Afghanistan und anderswo. Doch anstatt Einsicht zu zeigen und dies zu ändern, wird (westliche) Gewalt gerne von den Verantwortlichen verdrängt und ignoriert. Wäre dem nicht so, hätte man wohl auch in deutschsprachigen Breitengraden mehr vom jüngsten CIA-Massaker gelesen.

Dass es sich hierbei um keinen Einzelfall handelt, machen auch die jüngsten Ereignisse in der Provinz Khost deutlich, wo die erwähnte KPF präsent ist. Dort fand vor Kurzem eine Stammesversammlung statt. Thema: Die aktuellen Angriffe der Miliz auf die Zivilbevölkerung. "Es heißt, sie würden gegen die Taliban vorgehen. Doch sie greifen unsere Moscheen und Dörfer an. Sie töten unsere Frauen sowie unsere Älteren. Wir werden das nicht mehr dulden", hieß es dort seitens eines Stammesführers. In den letzten Wochen und Monaten kam es zu mehreren brutalen Überfällen seitens der KPF. Zivilisten fallen der Miliz regelmäßig zum Opfer. Seitens der Bevölkerung hört man in diesem Kontext seit Jahren stets dasselbe: Man kann sich nicht wehren, da die Amerikaner, sprich die CIA, hinter der Miliz stehen würde. Dieser Umstand wurde lange ignoriert. Manch ein Beobachter meinte sogar, dass die KPF die Provinz friedlicher gemacht habe. Nun zeigt sich, wie fatal solche Analysen gewesen sind. Eine verstärkte Eskalation wird immer deutlicher. Die vermeintliche "Anti-Terror-Miliz" verbreitet nämlich selbst Terror – und die Folge davon wird eine massive, anti-westliche Radikalisierung vor Ort sein.

All diese Entwicklungen sind natürlich im Kontext eines möglichen US-Abzugs zu betrachten. Dieser steht weiterhin im Raum und soll, so hat es der neue US-Außenminister Antony Blinken bereits betont, im Mai stattfinden. Folgende Dinge sind hierbei allerdings zu betrachten:

  1. Hier ist weiterhin von einem Abzug des US-Militärs die Rede. Die CIA ist ein eigenständiger Akteur, dessen klandestine Machenschaften kaum diskutiert werden. Dass die CIA sich aus Afghanistan zurückzieht, ist absolut unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass es sich bei den zahlreichen Milizen des Geheimdienstes um Afghanen handelt – und diese können gar nicht abziehen.
  2. Bis vor Kurzem hieß es noch , dass rund 2.500 US-Soldaten in Afghanistan verweilen. Nun wurde allerdings deutlich, dass diese Zahl nicht stimmt. Tatsächlich sind mindestens 1.000 weitere Soldaten vor Ort stationiert. Solange die genaue Anzahl nicht vollkommen transparent gemacht wird, sind Diskussionen rund um die Abzugspläne praktisch belanglos.
  3. Ziehen die USA wirklich ab? Auch diese Frage steht weiterhin im Raum. Blinken hat in einem Brief an Afghanistans Präsident Ashraf Ghani deutlich gemacht, dass dieser Abzug wohl nur stattfinden würde, wenn die afghanische Regierung ihrer Verantwortung nachkommen und die Friedensgespräche mit den Taliban ernstnehmen würde. Dies (und ein damit verbundener Abzug der US-Truppen) liegt allerdings gar nicht im Interesse der Kabuler Eliten, die von der Besatzung profitieren. Hinzu kommt, dass auch die Taliban massiv in der Verantwortung stehen und praktisch dazu gezwungen sind, ein Abkommen mit Kabul abzuschließen, anstatt weiterhin Krieg gegen die afghanischen Sicherheitskräfte und Zivilisten zu führen. Gegenwärtig hat man eher den Eindruck, dass die Taliban lediglich auf den Abzug warten, um dann die restlichen Teile des Landes (allen voran die Städte) einzunehmen. Kurz gesagt: Der sogenannte Friedensprozess wird wohl von mindestens einer Seite oder auch von beiden Seiten sabotiert werden. Damit wäre eine Fortführung der US-Präsenz garantiert – und der "längste Krieg" der Amerikaner wird zu einem der allerlängsten Kriege überhaupt.

Quelle:  NachDenkSeiten - 17.03.2021. Dieser Beitrag ist auch verfügbar als Audio-Podcast .

Veröffentlicht am

18. März 2021

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