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Globaler Tierhandel - ein Spiel mit dem Feuer

Expansive Tierzucht und zerstörte Ökosysteme: Ohne drastisches Umsteuern werden Pandemien immer wahrscheinlicher.

Von Jürg Müller-Muralt

Zoonose - auch so ein Begriff, der erst mit der Corona-Pandemie ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gedrungen ist. Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die vom Tier zum Menschen übertragen werden (oder umgekehrt), hat es zwar schon immer gegeben. Doch in einer zunehmend vernetzteren Welt werden sie immer häufiger. Eine Gefahr für Pandemien bergen großflächige Waldrodungen (siehe Infosperber vom 13.05.2020), das Vordringen in bisher unberührte Naturräume, Wildtiermärkte, expansive Tierzucht, Bevölkerungswachstum und Mobilität. Dies alles bringt immer mehr Menschen in heiklen Kontakt mit wilden Tierarten. Pandemien haben viel mit der Globalisierung zu tun, weil sie Ökosysteme fundamental verändert und natürliche Virenbarrieren zum Verschwinden gebracht hat (siehe Infosperber vom 20.04.2020).

"Ungewöhnlich viele Vogelgrippe-Viren"

Jüngst hat die Meldung aufhorchen lassen, wonach in Russland erstmals eine Übertragung der Vogelgrippe vom Subtyp H5N8 von Tieren auf den Menschen nachgewiesen worden ist. Mehrere Mitarbeiter einer Geflügelfarm in Südrussland sind erkrankt. Das Virus H5N8 ist das derzeit in Europa vorherrschende Vogelgrippe-Virus. "Die Entwicklung in Europa bleibt dynamisch. Weiterhin werden täglich neue Fälle bei Wildvögeln und Hausgeflügel aus vielen europäischen Ländern gemeldet", schreibt das schweizerische Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in seinem Radar-Bulletin vom Februar 2021; dieses Bulletin wird zusammen mit dem Friedrich-Löffler-Institut (FLI), dem deutschen Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, herausgegeben. "Es zirkulieren derzeit ungewöhnlich viele verschiedene Stämme von Vogelgrippe-Viren", heißt es im Bulletin weiter. Zudem würden Zugvögel in den nächsten Wochen in die Schweiz zurückfliegen. Deshalb sei das Risiko einer weiteren Ausbreitung der Vogelgrippe bei Wildvögeln, Geflügelhaltungen und Vogelbeständen in Zoos hoch.

Ansteckung von Mensch zu Mensch möglich

Das Bundesamt warnt deshalb die Bevölkerung davor, tote Wildvögel zu berühren. Seit den nachgewiesenen Ansteckungen von Tieren auf den Menschen in Russland gilt das wohl umso mehr. Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin hält eine Übertragung gar von Mensch zu Mensch in Einzelfällen für möglich. Das Risiko einer nachhaltigen Verbreitung des Virus durch den Menschen jedoch schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als gering ein.

Immunsystem nicht vorbereitet

Trotzdem kommt die Wissenschaftsredaktion des Bayerischen Rundfunks (BR) in einer ausführlichen Dokumentation zum Schluss: "Die Überschreitung der Artenbarriere, also die Ansteckung eines Menschen mit einem angepassten Influenza-Subtyp durch Wildvögel oder Zuchtgeflügel, könnte eine neue Influenza-Pandemie hervorrufen, also das weltweite Auftreten einer ansteckenden Krankheit . Da dieser neue Erreger zuvor in der Bevölkerung nicht vorgekommen ist, ist das Immunsystem der Menschen nicht vorbereitet und daher auch nicht geschützt. Das Virus könnte sich gut von Mensch zu Mensch verbreiten." Thomas Mettenleiter , Präsident des Friedrich-Löffler-Instituts, sagt: "Bei Vogelgrippe muss man auf alles vorbereitet sein".

Massive Ausweitung der Tierhaltung

Das tönt nicht wirklich beruhigend. Vor allem, wenn man sich wieder einmal vergegenwärtigt, in welchem Ausmaß so genannte Nutztiere "produziert" und in der Welt herumgekarrt werden. Die Tierhaltung wird weltweit ausgeweitet, der jährliche Fleischverbrauch hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Lag der durchschnittliche weltweite Jahreskonsum 1990 noch bei 33,5 Kilogramm pro Kopf, waren es 2018 bereits 42,9 Kilogramm. Die aktuellen Zahlen der Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft ( FAO ) von 2021 zeigen eindrücklich, wie stark die Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten praktisch bei allen Tierarten in die Höhe geschossen ist.

EU als Lebendtier-Exportweltmeisterin

Hühner stehen an der Spitze der am häufigsten gehaltenen Tierarten weltweit: 2019 waren es rund 25,9 Milliarden Tiere, 80 Prozent mehr als im Jahr 2000. Aber auch der Bestand fast aller anderen "Nutztierarten" ist in den letzten 20 Jahren deutlich gewachsen: Rinder (plus 14,5 Prozent), Schafe (plus 16,2 Prozent), Enten (plus 26,3 Prozent) und Ziegen (plus 44,2 Prozent). Einzig bei der Schweinehaltung ist ein Rückgang um 5,4 Prozent zu verzeichnen. Die jüngsten Zahlen der FAO zeigen auch, dass global keine Weltregion mehr lebende Tiere exportiert als die Europäische Union: 1,6 Milliarden überquerten 2019 die Grenzen eines EU-Staates - mehrheitlich handelte es sich um Geflügel.

"Den zweiten Gifttrank" bestellt?

Die deutsche Wochenzeitung Der Freitag greift zu einer sarkastischen Metapher: "Nun also - während einer Pandemie! - fröhlich weiter Geflügel durch die Weltgeschichte zu karren, das ist ein bisschen so wie den zweiten Gifttrank zu bestellen, ohne den ersten bis zum Ende ausgetrunken zu haben." Natürlich kann niemand sagen, ob und wann eine nächste Pandemie ausbricht. Forscherinnen und Forscher warnen allerdings seit Jahren vor einem Super-Virus, das nicht nur leichter von Mensch zu Mensch übertragbar, sondern auch sehr viel tödlicher wäre als das, was wir derzeit erleben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so weit kommt, ist heute höher als in "normalen" Zeiten, weil wir anhaltend hohe Infektionszahlen und eine hohe Zahl zirkulierender Viren haben.

Problem an der Wurzel packen

Mit der Bekämpfung einer Pandemie allein ist es allerdings nicht getan, das Problem muss an der Wurzel angepackt werden. Im vergangenen Jahr haben britische Forscherinnen und Forscher in einer großen Untersuchung einmal mehr nachgewiesen, wie bedeutend der Eingriff des Menschen in die Ökosysteme die Entstehung von Zoonosen begünstigen kann. Sie analysierten rund 7000 Ökosysteme und 376 Arten potenzieller Wirtstiere. Das Ergebnis: Die Nutzung der Lebensräume und damit der Ökosysteme durch den Menschen hat "globale und systematische Auswirkungen auf lokale zoonotische Wirtsgemeinschaften. (…) Es gibt mehr Arten und eine größere Anzahl bekannter zoonotischer Wirte - also Krankheitsüberträger - in vom Menschen verwalteten Ökosystemen als in nahe gelegenen ungestörten Lebensräumen". Mit anderen Worten: Die meisten Zoonosen sind auch menschgemacht. (Die Studie wurde im renommierten Fachmagazin Nature publiziert und auf MDR Wissen zusammengefasst.)

Mix der Tierarten hat sich verändert

Die Umwandlung von Wäldern, Grasland und Wüsten in Städte, Vorstädte und landwirtschaftliche Nutzflächen hat laut den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dazu geführt, dass sich der Mix der Tierarten gravierend geändert hat. "Umweltspezialisten" wie Nashörner oder Strauße, die sehr spezifische Nahrungs- oder Lebensraumansprüche haben, seien zurückgedrängt worden und damit die Verlierer der menschlichen Ausbreitung. "Generalisten" wie etwa Ratten, die klein und zahlreich sind und ein "schnelles", kurzlebiges Leben führen, hätten hingegen gewonnen und sich immer weiter ausbreiten können. Es sind eben gerade jene Tiere, welche eine große Fülle von Krankheitserregern in sich tragen.

Nicht die Wildnis ist das Problem

Mit der Studie widersprechen die Forschenden auch der gängigen Auffassung, wonach die Wildnis die größte Quelle von Zoonosen sei. "Die populärkulturellen Darstellungen von Dschungeln, in denen es von mikrobiellen Bedrohungen wimmelt, ist eine Fehleinschätzung", schreiben sie. Sie fanden zudem heraus, dass sich durch die menschliche Landnutzung nicht nur die Anzahl der Wirtstiere erhöhe, sondern diese auch eine größere Anzahl von Erregerarten beherbergen.

Große Märkte, tiefe Hygienestandards

Auf ein weiteres Problem macht die Naturschutzorganisation WWF in einer Analyse zum Wildtierhandel in der südostasiatischen Mekong-Region aufmerksam. Von schätzungsweise 500 Märkten in größeren Städten, auf denen häufig mit Wildtieren gehandelt wird, liegt über die Hälfte in Regionen mit einem potenziell hohen Zoonose-Risiko. Gemäß WWF-Analyse sind in ländlichen Gegenden viele Gemeinden zur Ernährungssicherung noch immer auf Wildtiere angewiesen, insbesondere in abgelegenen Gebieten mit hoher Mangelernährung bei Kindern. Zunehmend werden Wildtiere allerdings auch für den Verkauf auf städtischen Märkten gejagt.

"Große Märkte mit niedrigen Hygienestandards, auf denen Wildfleisch verkauft wird, sind besonders riskant für die Übertragung von Zoonosen", warnt Stefan Ziegler, Artenschutz- und Asienexperte beim WWF Deutschland. Auf Lebend-Tiermärkten wie sie in weiten Teilen Chinas und Südostasiens existieren, werden Wild- und Nutztiere nebeneinander verkauft und geschlachtet. Doch nicht nur die Märkte stellen laut Ziegler ein Risiko dar: "Die Corona-Ausbrüche in den europäischen Nerzfarmen zeigen, dass solche Anlagen tickende Virusbomben sind. Und Wildtierfarmen gibt es auch in Südostasien schätzungsweise hunderte."

WWF fordert Risikoklassen

Jedes Jahr werden in der Region dutzende Millionen Wildtiere zu Nahrungszwecken oder zur Verwendung in der traditionellen Medizin gehandelt, schreibt der WWF. Neben Wildschweinen und Hirschen sind das häufig Nagetiere und Fledermäuse, die als Reservoir für eine Vielzahl von pathogenen Erregern gelten. Der WWF fordert daher, den Handel mit Wildtieren und deren Produkten nach Risikoklassen einzustufen: Kontrolle oder gar Handelsverbote von höheren Risikoklassen sind dann unabdingbar - insbesondere in städtischen Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte. Außerdem müsse es verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels geben. "Was im Verborgenen geschieht und im Dunkel bleibt, ist riskant. Der Schmuggel von Wildtieren jenseits aller Kontrollen und Regularien kann ein idealer Nährboden für Virensprünge von Tier zum Menschen sein", warnt WWF-Experte Ziegler.

Weiterführende Informationen

Quelle: Infosperber.ch - 09.03.2021.

Veröffentlicht am

12. März 2021

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