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Trotz Bürgerkrieg & Pandemie: Afghanistan-Abschiebungen gehen weiter

Für Dienstag, den 09.02.2012, ist erneut eine Sammelabschiebung nach Afghanistan geplant. Es ist schon die zweite in diesem Jahr und bereits die dritte, nachdem von März bis Dezember 2020 auf Ersuchen der afghanischen Regierung eine 9-monatige Pause wegen der Covid-19-Pandemie eingehalten wurde.

Rücksicht auf die coronabedingte Situation wäre aber gerade jetzt mehr denn je angezeigt. Denn Afghanistan wurde am 31.01.2021 vom Robert-Koch-Institut als "Hochinzidenzgebiet" - also als Gebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko durch besonders hohe Inzidenzen für die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 - eingestuft. In den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes heißt es vor diesem Hintergrund: "Afghanistan ist von COVID-19 besonders stark betroffen. Das Gesundheitssystem hält den Belastungen nicht stand".

Bereits am 17.12.2020 warnte die UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Deborah Lyons : "Afghanistan steht vor einer neuen Welle von COVID-19. Die Auswirkungen dieser Pandemie waren bereits verheerend. Die zweite Welle im Winter wird voraussichtlich noch viel schädlicher sein als die erste Frühjahrswelle. Hunger und Unterernährung haben zugenommen und die Lebensgrundlagen sind erodiert".

Damit wird nicht nur auf die schwierige gesundheitliche Lage, sondern zugleich auch auf die katastrophale wirtschaftliche Situation hingewiesen, die sich durch COVID-19 für etliche Einwohner*innen noch verschärft hat:

Vier von zehn Menschen hungern

Laut dem stellvertretenden UN-Chef für humanitäre Hilfe hat sich die Zahl der Menschen in Not in Afghanistan von 9,4 Millionen Anfang 2020 auf 18,4 Millionen im Jahr 2021 verdoppelt - bei einer Bevölkerung von 40,4 Millionen. Vier von zehn Menschen hungern aktuell, bis März 2021 werden sich prognostisch fast 17 Millionen Menschen in einer Krise oder einem Notstand der Ernährungssicherheit befinden.

Wie gravierend sich die wirtschaftliche Situation durch die Pandemie verschärft hat, zeigt auch eine aktuelle Gerichtsentscheidung. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat, wie am 03.02.2021 in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, in seinem Urteil vom 17.12.2020 entschieden, dass derzeit selbst alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige Männer in aller Regel nicht nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen, da es ihnen dort in Folge der gravierenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen infolge der COVID-19-Pandemie voraussichtlich nicht gelingen wird, auf legalem Wege die elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen.

Keine realistische Aussicht auf Arbeit

Das Urteil stellt maßgeblich auf ein Gutachten der Sachverständigen Eva Catharina-Schwörer ab. Dieses kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, in Afghanistan sehr hoch ist, das wenig belastbare Gesundheitssystem an seine Grenzen gebracht wird und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verheerend sind, so dass ein Rückkehrer aus dem westlichen Ausland selbst auf dem Tagelöhnermarkt keine realistische Aussicht hat, eine Arbeit zu finden, sofern er nicht vor Ort über ein familiäres oder soziales Netzwerk verfügt, welches ihm Zugang zum Arbeitsmarkt verschafft.

Nach wie vor: Das unsicherste Land der Welt

Auch die Gewalt in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen in Afghanistan reißt nicht ab. Afghanistan war laut dem Global Peace Index im Jahr 2020 zum zweiten Mal in Folge das unsicherste Land der Welt und zeichnete sich auch in den Vorjahren schon durch eine extrem volatile Sicherheitslage aus.

Die Prognosen für die Entwicklung der Sicherheitslage im Jahr 2021 fallen nicht gut aus. So rechnet die US-amerikanische Denkfabrik "Council on Foreign Relations" mit einer weiteren Verschärfung . Dies hängt mit dem im Februar 2020 in einem Abkommen zwischen den Taliban und den USA ausgehandelten Truppenabzug bis Mai 2021 zusammen. Zwei Szenarien werden in diesem Kontext beschrieben, die beide mit einer Zunahme der Gewalt verbunden wären.

US-Truppenabzug kann Situation weiter verschlechtern

Sollten die USA alle Truppen in diesem Jahr abziehen, ohne eine politische Lösung zu finden, würde demzufolge der Friedensprozess zusammenbrechen und das darauf folgende Gerangel um die Macht würde das Land wahrscheinlich in einen noch blutigeren, vielseitigeren Bürgerkrieg führen. Würden die USA indessen die Frist im Mai verstreichen lassen, ohne sich mit den Taliban auf einen neuen Zeitplan zu einigen - oder beschließen, eine unbefristete, wenn auch kleine, Militärmission aufrechtzuerhalten - dann würden die Taliban die US-Präsenz erneut anfechten und die Gewalt würde wahrscheinlich ebenfalls zunehmen.

Die Enttäuschung der Länder in der Region, die erwarten, dass die USA abziehen und die Taliban einen Teil der legitimen Macht übernehmen, würde sich wahrscheinlich in einer verstärkten Unterstützung der aufständischen Gruppe äußern. So oder so wird sich die Sicherheitslage in Afghanistan also im Jahre 2021 aller Wahrscheinlichkeit nach verschärfen.

Deutsche Behörden schieben ungerührt ab

All das sorgt bei deutschen Behörden offenbar nicht für ein Umdenken: Ungerührt werden weitere Abschiebungen vorbereitet und sollen durchgeführt werden - so wie am morgigen Dienstag, 9. Februar, mutmaßlich vom Flughafen München aus. Geboten wäre dabei vielmehr, sich an den realistischen Lageeinschätzungen und vorliegenden Gerichtsurteilen zu orientieren und endlich einen Abschiebestopp für Afghanistan zu verhängen.

Quelle: PRO ASYL - News vom 08.02.2021.

Weblinks:

Veröffentlicht am

08. Februar 2021

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