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Das Ende von Oslo: Eine neue EU-Strategie für Israel/Palästina

European Council on Foreign Relations (ECFR) distanziert sich von der Zwei-Staaten-Lösung

Prof. Dr. Norman Paech ist BIP-Gründungsmitglied. Diese Woche analysiert er ein Gutachten von Hugh Lovatt, "Das Ende von Oslo: Eine neue europäische Strategie zu Israel-Palästina". Lovatt zeigt, dass ein neuer außenpolitischer Ansatz dringend notwendig ist, um den politischen Veränderungen in Israel/Palästina zu begegnen, die seit den 90er Jahren die Osloer Friedensabkommen irrelevant gemacht haben.

Von Norman Paech

Der in Oslo 1993 begonnene Friedensprozess ist tot. Diese Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren bei allen Beteiligten des Konflikts durchgesetzt. Doch welche Folgerungen sind daraus zu ziehen, welche Perspektiven lassen sich entwickeln? Diese Frage muss sich auch die EU stellen, die nicht nur durch etliche ihrer Staaten, sondern auch selbst tief in die politischen Auseinandersetzungen verstrickt ist.

Nun hat der European Council on Foreign Relations (ECFR) im Dezember vergangenen Jahres ein Dokument vorgelegt, mit welchem sein Autor Hugh Lovatt Vorschläge für eine zukünftige europäische Strategie erarbeitet. Der ECFR ist eine NGO von über 200 Persönlichkeiten, die von George Soros’ Open Society Foundation und anderen Stiftungen finanziert wird, und sich der europäischen Außenpolitik widmet. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, ist einer seiner Vorsitzenden.

I.

Trotz des Eingeständnisses, dass die EU in ihren Bemühungen gescheitert ist, eine grundsätzliche Lösung im Konflikt zwischen Israel und Palästina herbeizuführen, reklamiert das Papier doch zwei wichtige Erfolge für die EU: die Blockierung des Friedensplans des ehemaligen US-Präsidenten Trump und die Verhinderung der formalen Annexion durch Netanjahu. Unabhängig davon, ob sich nun die EU diese beiden Ergebnisse an die Brust heften kann, haben sie nichts an der Ein-Staat-Realität mit unbegrenzter Besatzung und ungleichen Rechten ändern können - ein Reservoir für Instabilität, Radikalisierung und Gewalt. Das Papier spricht selbst von Apartheid. (siehe dazu auch BIP-Aktuell 154 )

Während mehr als 1000 Parlamentarier ihre Regierungen aufforderten, aktiv gegen Israel vorzugehen, wenn es seine Pläne zur Annexion verwirkliche, und parlamentarische Initiativen aus Belgien, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden Sanktionen forderten, hielten die Offiziellen der EU weiter am Oslo-Friedensprozess fest. Das Papier geht nüchtern all den Fehlern und Versäumnissen europäischer Politik nach, die die Gewichte immer mehr zu Lasten der Palästinenser verschob und den Israelis eine Politik permanenter Kontrolle, Diskriminierung und Ungleichheit ermöglichte. Es übersieht auch nicht, dass die desolate politische Verfassung der Palästinenserinnen und Palästinenser in der Westbank wie im Gaza-Streifen mit der immer weiteren Kürzung der ausländischen Gelder zusammenhängt. Zusätzlich sperrt Israel jährlich erhebliche Steuern, die der Palestine Authority (PA) zustehen, was das Haushaltsdefizit weiter verschärft und zu einem finanziellen Zusammenbruch führen kann. Nimmt man die verbreitete Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der politischen Führung und die Ansammlung großer Waffenbestände sowohl in der Westbank wie in Gaza hinzu, so könnten daraus Gewaltszenarien wie in der West-Sahara oder Nagorny-Karabach entstehen, wenn das Ziel der Unabhängigkeit und der Verfügung über die eigenen natürlichen Ressourcen hinter dem Horizont verschwindet.

In dieser bedrohlichen Situation sei ein neues Paradigma notwendig, wie es von jüngeren palästinensischen Stimmen gefordert wird. Etwa Inès Abdel Razek, eine ehemalige Mitarbeiterin im Büro des palästinensischen Premierministers: "Gleichgültig, ob es durch einen oder zwei Staaten verwirklicht werden kann, ein neues Paradigma muss in erster Linie die aktuelle Ein-Staat-Realität eines nichtendenden Siedlerkolonialismus in Frage stellen und sich jeder ethnischen Diskriminierung widersetzen." (S. 18) Dies trifft sich durchaus mit Stimmen der israelischen Linken und des Friedens- und Anti-Besatzungs-Lagers. Aber es wird die größte Herausforderung sein, auch nur eine bedeutende Minderheit der israelischen Öffentlichkeit für diese Strategie der Gleichheit zu gewinnen. Dennoch können es sich die Europäer nicht erlauben, dass das Erbe der Trump-Administration überlebt. Jeder Ansatz, der auf ethnischer Ungleichheit und der Fortdauer der Besatzung beruht, wird nie die Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung erhalten.

II.

Lovatts Empfehlungen für eine neue europäische Strategie stützen sich deswegen auf zwei Eckpfeiler: Gleichheit und Beendigung der Besatzung (deoccupation). Dieser Ansatz sei eher als eine dogmatische Fixierung auf Verhandlungen oder den Oslo-Rahmen mit einer Zwei- oder Ein-Staat Lösung vereinbar: "Er wird der EU erlauben, weiter an ihrer Vision von zwei Staaten zu arbeiten, indem sie versucht, die Palästinenser aus ihrer gegenwärtigen Realität der Apartheid zu befreien und so die Grundlagen für eine zukünftige europäische Wende zu einem Staat zu legen, wenn erforderlich." (S. 19) Das würde keinen Bruch mit der bisherigen Politik bedeuten, aber die logische Evolution der eigenen Bekenntnisse über Jahrzehnte. Er erinnert an einen Satz der Repräsentantin der EU für den Friedensprozess im Nahen Osten, Susanna Terstal, auf dem Hearing des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments: "Es gibt nur eine Alternative zu zwei Staaten, das ist ein Staat … wo zwei Völker Seite an Seite und in Frieden und Sicherheit leben."

"Die Beziehungen mit Israel neu gestalten" heißt ein Abschnitt. Gleichwohl dürfe das nach wie vor beiderseitige Interesse an einem engen und guten Dialog nicht dazu führen, dass Israel die schleichende Annexion fortsetze. Hier müsse die EU deutlich auf unvermeidbare Veränderungen dringen mit einer Mischung von Anreizen und Abschreckung. Allerdings habe Israel schon "die meisten der süßesten Karotten bekommen", bis hin zu dem Assoziationsabkommen mit zahlreichen Privilegien. Sie dürften nicht mehr ohne effektive Schritte zur Beendigung der Besatzung gewährt werden. Lovatt empfiehlt der EU, sich an den Maßnahmen zu orientieren, die in den Jahren 1969 - 1990 gegen Südafrika unternommen wurden, um ihren Souveränitätsansprüchen über Namibia zu begegnen. Auch seien die aktuellen Voruntersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs über Kriegsverbrechen im Krieg gegen Gaza 2014 zu unterstützen und die Datenbasis der UNO über Geschäftsbeziehungen mit israelischen Siedlungen zu aktivieren.

In ihren Beziehungen zu den Palästinensern solle die EU mit allen politischen Kräften, von der Fatah über die PA bis zur Hamas sprechen, um die Bemühungen um Wiedervereinigung der beiden politischen Lager und politische Reformen zu unterstützen. Sie solle auf die jüngeren Aktivisten und Denker achten, die eine einflussreiche Quelle für eine alternative Führerschaft und eine neue strategische Ausrichtung seien. Vor allem aber müsse sie ihre Finanzhilfen überdenken und sicherstellen, dass sie in Frieden und nicht in Besatzung investieren, d.h. dass die Unterstützung der PA zu einer positiven politischen Veränderung führe. Die Anberaumung von Wahlen zum palästinensischen Legislative Council, zum Council der PLO und zur Präsidentschaft der PA seien ein positives Zeichen. Sollte sich allerdings nichts bewegen, müsse man die Mittel umschichten, weg von den Institutionen, die eher den israelischen Sicherheitsinteressen als dem aufgeblähten Sicherheitsapparat der PA dienen, hin zu den politischen, kulturellen und ökonomischen Grundbedürfnissen etwa in Ost-Jerusalem und im C-Gebiet.

Ein eher skeptischer Blick auf die neue US-Präsidentschaft Bidens, die nicht alles rückgängig machen wird, was Trump angerichtet hat, verzichtet dennoch nicht auf die Hoffnung auf eine mögliche Friedensinitiative des neuen Präsidenten. Sie sollte die EU mit der Betonung des Internationalen Rechts und gleicher Rechte in Erinnerung an John Kerrys Frage im Dezember 2016 unterstützen, wie Israel seine jahrzehntelange Besatzung mit seinen demokratischen Idealen vereinbaren könne. Dabei solle die EU die USA auffordern, ihre Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof zurückzunehmen und ein schärferes internationales Vorgehen gegen die israelische Siedlungspolitik zu ermöglichen.

Schließlich dürfen die arabischen Staaten nicht außer Acht gelassen werden. Die EU hat die Verträge Israels mit den VAE, Bahrain und Sudan als Normalisierung der Beziehungen begrüßt. Doch die Realität ist, dass geopolitische und bilaterale Interessen hinter diesen Verträgen stehen und nicht das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. "Wenn überhaupt, haben solche Deals die hardline-Positionen der israelischen Regierung ermöglicht, die palästinensischen Erwartungen unterhöhlt und die arabische Friedensinitiative von 2002, die die arabisch-israelische Normalisierung an ein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen band, behindert. Die Europäer müssen deshalb realistisch auf das schauen, was derartige Entwicklungen auf dem palästinensischen Weg erreichen können." (S. 24,25)

"Das Leben beginnt nach Oslo", schließt der Autor sein "policy brief", ein Leben allerdings, welches den Palästinenserinnen und Palästinensern mehr Enttäuschung über die europäische Politik gebracht hat denn Hoffnung in sie. Das ECFR erklärt zwar, dass derartige Arbeiten nur dem Autor zugerechnet werden können, sehr weit dürfte er sich aber nicht vom Grundkonsens seiner Mitglieder entfernt haben. Der Wert der Schrift liegt denn auch nicht so sehr in ihrer Analyse und den Erkenntnissen, die nicht viel Neues ergeben, sondern in der Tatsache, dass eine derartige Arbeit im engeren Rahmen der europäischen politischen Institutionen erscheint. Würden die Europäische Kommission und das Europäische Parlament diese wahrlich nicht revolutionären Vorschläge - nicht einmal die Anerkennung des palästinensischen Staates wird verlangt - berücksichtigen und durchsetzen, wäre ein wirklicher Schritt auf dem Weg zum Ende der Besatzung, zu gleichen Rechten für alle und zum Frieden in der Region getan.

Quelle:  BIP e.V. - BIP-Aktuell 156.

Veröffentlicht am

08. Februar 2021

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