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Antikriegstag 1. September: Spannungen, Konflikte, neue Kriegsgefahren

Stellungnahme der attac-Arbeitsgruppe Globalisierung und Krieg und der Projektgruppe Europa

Gegenwärtig erleben wir, wie sich in atemberaubendem Tempo ein neuer Kalter Krieg anbahnt. Fast täglich eskaliert die Trump-Administration mit Sanktionen, Verboten und Drohungen die Spannungen mit China. Auch mit Russland, das schon mit der Ostererweiterung der NATO in den 90er Jahren wieder zum Feind gemacht wurde, wird eine Konfrontationspolitik verfolgt, an der sich auch Deutschland und die EU mit Eifer beteiligen. Dabei ist Deutschland u.a. wegen der geplanten neuen Gaspipeline aus Russland selber Ziel von US-Sanktionsdrohungen. Die Gefahr eines Krieges zwischen den Großmächten, die seit den 1990er Jahren gebannt schien, ist zurück. Aber auch "nur" ein neuer kalter Krieg, mit Wettrüsten, hemmungsloser Feinbildproduktion und permanentem Alarm- und Krisenzustand wäre fatal. Er wäre eine permanente globale Konflikt- und Kriegsdrohung.

Auch regionale Konflikte mit internationalen Dimensionen - Ukraine, östliches Mittelmeer, Nahostregion, koreanischen Halbinsel u.a. - gefährden die internationale Sicherheit.

Dabei steckt die Menschheit in einer Zivilisationskrise, die globale Kooperation bei der Bekämpfung von Klima- und Umweltkrisen, Corona-Pandemie, globaler Armut und der Lösung der Problemen von Flucht und Migration zwingender macht als je zuvor.

USA klammern sich an ihre Vormachtstellung

Im Zentrum der neuen Entwicklung steht der Umbruch der internationalen Ordnung. Die USA waren nach Ende des Kalten Krieges die einzige Supermacht und dominierten unangefochten das internationale System. Mit dem Aufstieg Chinas, der Renaissance Russlands als Großmacht und perspektivisch dem Aufstieg weiterer Länder wie Indien, kommt das unipolare System und damit die Vormachtstellung der USA an ihr Ende. Solche Umbrüche bergen ein hohes Konfliktpotential und führten in der Vergangenheit immer wieder zu Kriegen. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs ist ein spektakuläres Beispiel dafür. Im Atomzeitalter bedeutet dies jedoch auch das Risiko der Vernichtung der Menschheit.

Bereits unter Obama stemmten sich die USA mit aller Macht gegen den Verlust des US-Führungsmonopols und starteten deshalb u.a. ein nukleares Modernisierungs- und Aufrüstungsprogramm über eine Billion Dollar. Zudem kündigen die USA nach und nach alle Rüstungskontrollabkommen, so bereits von der Bush-Administration 2002 den ABM-Vertrag ABM = Anti-Ballistic Missile. Raketenabwehrsystem. Der Vertrag verbot die Installation solcher Systeme, weil sie die Zweitschlagskapazität des Gegners neutralisieren können und damit die grundlegende Logik der Abschreckung "Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter" außer Kraft setzen, und einen erfolgreichen Erstschlag ermöglichen können. und jetzt den INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen und das Open-Sky-Abkommen, das Transparenz und Vertrauensbildung dient. Gleichzeitig wurde das Weltraumkommando zu gleichberechtigten Waffengattung neben Army, Navy und Air Force erhoben, sowie die Miniaturisierung von Atomwaffen geplant, mit der der Einsatz von Atomwaffen unterhalb der Schwelle eines großen Krieges möglich werden soll.

Im Verein mit rücksichtslosen Unilateralismus - selbst gegenüber Verbündeten - und der aggressiv-nationalistischen Rhetorik von "to make America great again" führt all das dazu, dass in Peking und Moskau die Befürchtung entsteht - verständlicherweise - die USA könnten atomare Überlegenheit anstreben und damit das strategische Gleichgewicht untergraben, das bisher einen Atomkrieg bei Strafe des eigenen Untergangsverhindert hat.

Zudem findet eine massive militärische Nutzung von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz statt. Das heizt das Wettrüsten an und erhöht das Risiko eines Kriegsausbruchs wegen technischer Pannen. Allerdings versprechen die technologischen Innovationen saftige Profite für die traditionelle Rüstungsindustrie ebenso wie für die Konzerne der Digitalwirtschaft.

Militarisierung der EU

In der US-dominierten Weltordnung war die EU als Juniorpartner Washingtons fest in das eingebunden, was gemeinhin der Westen genannt wird. Die EU war dabei eine Art zivil-ökonomische Ergänzung der NATO. Der rabiate Unilateralismus der USA führt jetzt allerdings zu einer Erosion des transatlantischen Verhältnisses. Die EU-Spitzen reagieren darauf mit dem Ruf nach "strategischer Souveränität" (Macron) und wollen "die Sprache der Macht lernen" (von der Leyen).

Zwar spricht die EU diese Sprache schon immer dort, wo sie bereits über Macht verfügt. So auf wirtschaftlichem Gebiet, wie die unfairen Handelsabkommen mit Entwicklungsländern, Sanktionen gegenüber fast zwei Dutzend Ländern zeigen, oder bei der Abschottung der "Festung Europa" gegen Flucht und Migration. Jetzt geht es aber auch darum, politisch und militärisch in die Liga der Großmächte aufzusteigen. Dafür werden Instrumente eingesetzt, wie:

  • der sog. "Europäische Verteidigungsfonds" der im neuen Haushalt mit 7,014 Mrd. Euro ausgestattet ist. 1,5 Mrd. davon fließen in "militärische Mobilität", d.h. panzerkompatibler Straßen- und Brückenbau in den östlichen Mitgliedsländern, der auch von der NATO als Infrastruktur für einen Aufmarsch gegen Russland genutzt werden kann, oder
  • die sog. Permanente Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO), in der Mitgliedsländer und ihre Rüstungskonzerne gemeinsame Großprojekte durchführen, wie die Entwicklung eines Kampfflugzeugs der nächsten Generation, Kampfdrohnen oder einen Euro-Panzer.

Die Militarisierung der EU zeigt, dass die EU heute alles andere ist als ein Friedensprojekt und die Überwindung des Nationalismus und dessen übelste Auswüchse: Militarismus und Krieg. Das zeigt sich nicht nur an der militärischen Hardware. Komplementär dazu werden klassische Instrumente nationalistischer Ideologieeingesetzt, wie:

  • Feindbildpropaganda - seit Jahren und lange vor der Ukraine-Krise gegen Russland, jetzt auch mit wachsender Intensität gegen China. Dabei sind Demokratie und Menschenrechte nur vorgeschoben, denn bei Saudi-Arabien, Ägypten u.ä. ist das nicht nur kein Thema, sondern Rüstungsexporte, Wirtschafts- und andere Beziehungen mit solchen Regimen blühen ungestört;
  • passend dazu macht sich Geschichtsrevisionismus breit. So relativiert z.B. das EU-Parlament in einer Resolution zum Zweiten Weltkrieg die Verantwortung des deutschen Faschismus. Sie unterschlägt die Appeasementpolitik Frankreichs und Englands sowie die Annexion von Teilen der Tschechoslowakei durch Polen und Ungarn im Windschatten des Münchener Abkommens, und fälscht den Krieg zum joint venture von Hitler und Stalin um.Entschließung des Europäischen Parlaments "Zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas".

Prompt fordert der deutsche Außenminister dann auch einen "europäischen Patriotismus" und der Bundestagbeschließt ein Gesetz, wonach die Beleidigung der EU-Flagge strafbar werden soll. An die Stelle des deutschen, französischen, italienischen etc. Patriotismus soll jetzt Euro-Patriotismus treten. Wir kämen vom Regen in die Traufe!

Deutscher Führungsanspruch

Führenden deutschen Außen- und Militärpolitikern ist das nicht unrecht. Spätestens seit der Eurokrise ist deutlich geworden, dass die ökonomische Stärke, die Bevölkerungszahl und die Lage im geographische Zentrum der EU Machtressourcen sind, die sich unter dem Etikett "europäisch" in politischen Einfluss ummünzen lassen, ohne dass dabei das negative Image aus der deutschen Vergangenheit stört. Unter diesen Umständen ist es wohlfeil, von der Überwindung des Nationalstaates zu reden, wenn die informellen Mechanismen der Macht letztlich garantieren, dass der deutsche Nationalstaat prägenden Einfluss auf die EU hat.

Gleichzeitig werden damit die Erhöhung des Rüstungsetats, die Akzeptanz des 2%-Prozent-Ziels der NATO, die "nukleare Teilhabe", der rasante Anstieg von Rüstungsexporten auch an autoritäre Regime und in Krisengebiete sowie - unter der verharmlosenden Phrase "Übernahme von Verantwortung" - zukünftige Kriegseinsätze der Bundeswehr gerechtfertigt. Deutschland möchte wieder Großmacht sein, wenn auch dieses Mal unter "europäischer" Flagge, als Führungsmacht der EU.

Emanzipatorischer Internationalismus in der neuen Welt(un)ordnung

Die internationalen Umbrüche und ihre Wechselwirkung mit den planetarischen Krisen verändern auch die Rahmenbedingungen emanzipatorischer Politik. Das hat bisher jedoch kaum Eingang in deren Agenda gefunden. Darum muss eine friedenspolitische Strategie her, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. Eckpunkte einer solchen Strategie wären eine neue Politik der Koexistenz, Respekt für die verbindlichen Normen des Völkerrechts, Initiativen zur Vertrauensbildung und Entspannung mit China und Russland, Abrüstungsinitiativen, Auflösung der Militärbündnisse, Stärkung der UNO und des Multilateralismus und regionaler Institutionen, sowie die Umlenkung von Ressourcen zur Finanzierung globaler öffentlicher Güter. Frieden ist zwar nicht alles, aber ohne Frieden ist alles andere nichts!

1. September 2020

Quelle: Attac Deutschland

Fußnoten

Veröffentlicht am

01. September 2020

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