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Afghanischer Warlord: Beförderung statt Den Haag

Von Emran Feroz

Mitte Juli war es soweit. Abdul Rashid Dostum, der wohl berühmt-berüchtigtste Warlord Afghanistans, wurde während einer feierlichen Zeremonie im Norden Afghanistans zum Marschall ernannt. Er ist der dritte Mann in der Geschichte des Landes, dem diese Ehre zuteil wird. Dostums Beförderung war Teil jenes Deals, den der afghanische Präsident Ashraf Ghani im vergangenen Mai mit Abdullah Abdullah, seinem Hauptkontrahenten, mit dem er sich nach den Präsidentschaftswahlen 2019 zerstritten hatte, abschloss. Damit hat Ghani abermals jene Kräfte gestärkt, die er einst bekämpfen wollte.

Ähnlich wie andere Kriegsfürsten treibt Dostum seit Jahrzehnten sein Unwesen am Hindukusch. Seine Miliz ist mitunter für einige der schlimmsten Kriegsverbrechen im Land verantwortlich. Bis vor geraumer Zeit war Dostum selbst noch flüchtig, nachdem ihm vorgeworfen wurde, einen politischen Rivalen gefoltert und vergewaltigt zu haben. Besonders prekär: Zum genannten Zeitpunkt, im Jahr 2017, war Dostum offiziell Vizepräsident Afghanistans und somit Ghanis Stellvertreter. Nachdem die Vorwürfe lauter wurden und Kabul sich auch dem internationalen Druck stellen musste, setzte Dostum sich in die Türkei ab. Der ethnische Usbeke pflegt gute Kontakte zu Recep Erdogan. Bereits 2008 spielte sich nach ähnlichen Vorwürfen fast dasselbe Szenario ab.

Während Dostums Anhängerschaft seine Beförderung zelebriert, betrachten sie viele Beobachter als eine skandalöse Farce, exemplarisch für das Scheitern des westlichen Einsatzes in Afghanistan. Seit Ende 2001 werden nämlich jene Warlords, die in den 1990er-Jahren einen blutigen Bürgerkrieg führten und letztendlich auch der Grund für die Formierung der reaktionären Taliban gewesen sind, seitens der USA und ihrer Verbündeten gezielt unterstützt. Bis heute wird der Westen für diesen "Systemfehler" kritisiert. "Wie kann man einer Regierung Glauben schenken, die Kriegsverbrechen ignoriert oder, noch schlimmer, Kriegsverbrecher in höchste Regierungsposten befördert?", meint etwa Erik Edstrom, ein ehemaliger US-Soldat und Autor, der vor kurzem ein Buch über seine Stationierung in Afghanistan veröffentlicht hat. Heute gehört Edstrom zu den schärfsten Kritikern des Krieges. Der US-Regierung wirft er bezüglich Dostums Beförderung "Heuchelei und Zynismus" vor.

Als die US-Amerikaner gemeinsam mit ihren NATO-Partnern ins Land einmarschierten, verbündeten sie sich im Kampf gegen die Taliban mit jedem Warlord und Milizionär, der ihnen entgegenkam. Dostum befand sich damals in der ersten Reihe. Bereits in den ersten Monaten nach dem NATO-Einmarsch wurde seine Junbish-Miliz für eines der blutigsten Massaker in der jüngeren Geschichte Afghanistans verantwortlich gemacht. Damals, im November 2001, hatten Dostum und seine Kämpfer eine größere Gruppe von Taliban-Kämpfern gefangen genommen und sie in mehrere Container eingesperrt. Die Container wurden anschließend in die Wüste Dasht-e Laili gefahren, wo man sie einige Tage stehen ließ. Von außen schossen die Junbish-Milizen immer wieder Löcher in die Container, während die Gefangenen schlimmste Qualen durchmachten und in der Hitze verdursteten.

Als die Container einige Tage später geöffnet wurden, entwich, so beschrieben es später anwesende Augenzeugen, ein bestialischer Gestank, eine Mischung aus Blut, Verwesung, Urin und Kot. Von den etwa 220 Männern pro Container überlebten durchschnittlich nur sechs Personen die Tortur. Die wenigen Überlebenden wurden danach umgehend hingerichtet. Ihre Leichen verscharrte man in Massengräbern. Dostum selbst beteiligte sich an allen Verbrechen persönlich. Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, bekannt für seine zahlreichen Bestseller über die Region, bezeichnete das Massaker von Dasht-e Laili als das schlimmste und brutalste Menschenrechtsverbrechen des Afghanistan-Krieges.

Im darauffolgenden Jahr wurde Dostum für seine Verbrechen entlohnt, indem ihn die neue, von Washington installierte Regierung von Hamid Karzai zum General beförderte. Auch in den Jahren darauf begingen Dostums Milizen Kriegsverbrechen. 2016 berichtete Human Rights Watch etwa von paschtunischen Dörfern im Norden Afghanistans, die von Dostums Kämpfern im Kontext mit vermeintlichen "Anti-Taliban-Operationen" terrorisiert wurden. Augenzeugen zufolge wurden dabei mehrere Zivilisten getötet und gefoltert.

"Dass Dostum nun den Titel eines Marschalls erhalten hat, obwohl Ghani zuvor aufgrund der bestehenden Vorwürfe von einer juristischen Strafverfolgung sprach, macht abermals das komplette Versagen der afghanischen Regierung deutlich. Dostum ist Teil eines schäbigen Gesamtbildes, was die Straffreiheit in Afghanistan betrifft", sagt Patricia Gossmann, Asien-Direktorin von Human Rights Watch. Sie unterstreicht die Tatsache, dass mächtige Männer trotz ihrer kriminellen Vergehen bis jetzt noch nie zur Rechenschaft gezogen wurden. "Diese Fälle machen deutlich, warum der Internationale Strafgerichtshof sich den Untersuchungen in Afghanistan widmen muss", so Gossmann.

Dostum gilt tatsächlich als Paradebeispiel des afghanischen Warlords. Allein seine Laufbahn, die unter den afghanischen Kommunisten begann, macht dies mehr als deutlich. Ende der 1980er scharte Dostum treue Männer seiner Ethnie um sich. Sie stellten die ersten Strukturen seiner berühmt-berüchtigten Junbish-Miliz dar, die bis heute existiert und auch einen politischen Arm hat. Unter Mohammad Najibullah, dem letzten kommunistischen Präsidenten Afghanistans, machte sich Dostum einen Namen als Mudschaheddin-Jäger. Regelmäßig schwirrte er mit seinen Milizen aus und machte Jagd auf sie. Zivilisten wurden dabei regelmäßig zur Zielscheibe. Doch auf dem Schlachtfeld war Dostum ein Egoist. Sein persönlicher Vorteil hatte stets oberste Priorität. Aus diesem Grund wechselte er regelmäßig die Allianzen. Es gibt so gut wie keine Fraktion, der Dostum kurzzeitig nicht angehörte. Eine Zeit lang hielt er sogar im Norden des Landes seinen eigenen Pseudostaat inklusive einer eigenen Währung.

Dass Dostum nun allein und isoliert in der Kritik steht, findet nicht jeder begrüßenswert. "Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Dostum Kriegsverbrechen begangen hat. Unter jenen Warlords, die in den 1990er-Jahren aktiv waren, wird er immer als besonders schlimm betrachtet. Ich denke, er war hierfür nur ein leichteres Ziel aufgrund seiner Verbindungen mit der einstigen kommunistischen Regierung", sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network. Laut Ruttig trifft andere Warlords und Kriegsverbrechen deutlich weniger bis gar keine Kritik, obwohl sie im Gegensatz zu Dostum "echte Macht" haben.

Auch hierfür lässt sich ein aktuelles Beispiel finden. Kurz nach der Beförderung Dostums wurde Assadullah Khaled von Präsident Ghani abermals als Verteidigungsminister bestätigt. Khaled hat in der Vergangenheit in seiner Funktion als Gouverneur und Geheimdienstchef zahlreiche Verbrechen begangen, darunter Entführungen, Mord und Folter. Doch im Gegensatz zu Dostum ist er nur selten in den Schlagzeilen.

Quelle:  NachDenkSeiten - 04.08.2020. Dieser Beitrag ist auch verfügbar als Audio-Podcast .

Veröffentlicht am

08. August 2020

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