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Der Schweizer Energiepolitik fehlt das dritte Bein

Die Energiewende setzt auf Alternativstrom und Effizienz. Damit sie gelingt, braucht es einen dritten Pfeiler: Genügsamkeit.

Von Hanspeter Guggenbühl

Unter dem Titel "Weniger Stromkonsum bringt mehr als mehr alternative Produktion" zeigte Infosperber am 22.07.20, dass die Schweiz ihren Energie- und Stromkonsum pro Kopf bis 2020 gesetzeskonform senken kann, während der Umstieg auf erneuerbaren Strom weniger wirkt und viel Subventionen frisst. Im heutigen zweiten Teil analysieren wir, wie und wo Haushalte und Wirtschaft ihre Energieeffizienz steigern konnten, und was Genügsamkeit (Suffizienz) als - bislang fehlendes - drittes Bein einer neuen Energiestrategie bewirken kann.

Das Erfreuliche sei hier nochmals wiederholt: Nachdem die Schweiz ihren Energiekonsum seit dem Zweiten Weltkrieg stetig erhöhte, konnte sie diesen Wachstumstrend in den letzten Jahren korrigieren. Gegenüber dem Jahr 2000 sank der inländische Energiekonsum, immer pro Person, im Jahr 2019 um rund 18 Prozent, der Stromkonsum allein um annähernd 9 Prozent. Den genauen Verlauf zeigt die Grafik:

Entwicklung des Konsums von Endenergie (blau) und Strom (orange) pro Kopf der Bevölkerung in der Schweiz von 2000 bis 2019 sowie gesetzlich Ziele 2020 für Energie (grau) und Strom (gelb). Alle Daten indexiert: Jahr 2000 = 100 Indexpunkte. Quelle: BFE, Grafik: Guggenbühl

Verschiebung in einzelnen Sparten

Unterschiedlich verlief aber die Entwicklung in den verschiedenen Verbrauchergruppen. Das zeigt eine detaillierte Auswertung der Schweizer Energie- und der Elektrizitätsstatistik:

  • Der gesamte Energiekonsum pro Person hat gegenüber dem Stand im Jahr 2000 in allen Bereichen abgenommen, im Verkehr aber nur geringfügig, in den Sparten Haushalt und Wirtschaft (Summe von Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen) hingegen leicht überdurchschnittlich. Das ist primär auf den Rückgang des Verbrauchs von Heizenergie zurückzuführen, während der Treibstoffverbrauch im Verkehr absolut zu- und pro Kopf nur geringfügig abnahm. Denn der Trend zu größeren Autos kompensierten die Effizienzsteigerung der Motoren.
  • Der Stromkonsum pro Kopf der Bevölkerung sank in der Sparte Wirtschaft ebenfalls überdurchschnittlich. Zum Teil ist das auf die Verlagerung von stromintensiven Industriebereichen ins Ausland zurück zu führen, zum Teil auf Effizienzsteigerung von Industriemotoren und anderen Produktionsanlagen. In der Sparte Haushalt hingegen war der Stromkonsum pro Person 2019 immer noch leicht höher als im Jahr 2000, aber immerhin tiefer als in der Periode von 2005 bis 2010. Darum lohnt es sich, diesen Bereich etwas genauer zu betrachten.

Haushalt: Mehr Effizienz, aber auch mehr Menge

Die Stromeffizienz ist zwar auch im Haushalt gestiegen. Neue große Haushaltgeräte - vom Kühlschrank über den Kochherd bis zum Wäschetrockner - brauchen heute dank technischem Fortschritt und Verbrauchsnormen rund einen Drittel weniger Strom als im Jahr 2002, zeigt eine Erhebung des Bundesamtes für Energie (BFE). Noch größer ist die Effizienzsteigerung bei Haus-Elektronikgeräten und beim Wandel von Glüh- und Halogen- zu LED-Lampen.

Der Effizienzgewinn von neuen Geräten wirkt sich jeweils mit einer Verzögerung von zehn bis zwanzig Jahren auf den Stromkonsum der Haushalte aus, nämlich immer dann, wenn diese alte durch neue Geräte respektive Lampen ersetzen. Doch dieser Effizienzeffekt wird teilweise kompensiert durch die immer noch zunehmende Zahl an Geräten oder durch neue Stromanwendungen (elektrische Storen, Steamer, Unterhaltungselektronik, etc.) sowie durch den Ersatz von Ölheizungen durch Elektrowärmepumpen.

Weniger Strom, aber weniger Personen pro Haushalt

Unter dem Strich aber schlug in den jüngsten Jahren die Energieeffizienz die Menge an Stromanwendungen auch im Haushalt. Das zeigt eine Studie des Energiespezialisten Jürg Nipkow, veröffentlicht im VSE-Bulletin 8/2019 . Demnach hat der Stromverbrauch pro Person und Jahr im Zeitraum von 2011 bis 2017 in allen "typischen Haushalten" abgenommen, nämlich um durchschnittlich 16 Prozent in Wohnungen und um 22 Prozent in Einfamilienhäusern.

Dieses schöne Resultat gilt es allerdings zu relativeren. Denn im erwähnten Zeitraum nahm die Zahl der Wohnungen und Einfamilienhäuser in der Schweiz stärker zu als die inländische Bevölkerung. Der Belegungsgrad pro Wohnung hat also weiter abgenommen. Und das ist wesentlich. Denn in Einfamilienhäusern oder Wohnungen, in denen nur eine oder zwei Personen leben, ist der Stromverbrauch pro Kopf wesentlich höher als in Wohneinheiten mit höherer Personenzahl. Der gesamte Haushalt-Stromverbrauch pro Person hat darum seit 2000 leicht zugenommen und ist auch seit 2011 weniger stark gesunken, als es die oben erwähnten Zahlen zeigen.

Suffizienz wirkt stärker als Effizienz …

Damit kommen wir zum grundlegenden Problem: Die Energiepolitik und damit auch die aktuelle Strategie bis zum Jahr 2050 stützt sich auf die beiden Pfeiler Effizienz und Konsistenz. Effizienz heißt, das Gleiche mit weniger Energie zu produzieren oder zu konsumieren. Konsistenz heißt, nicht erneuerbare fossile oder nukleare Energie durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Doch diese Strategie wackelt wie ein Stuhl, der auf nur zwei Beinen steht. Denn wachsende Mengen mindern die Wirkung von Effizienz und Konsitenz.

Wer die Erfolge von Effizienz und Konsistenz sichern will, muss darum die Menge beeinflussen, also das wachsende Angebot und/oder die Nachfrage nach energieverzehrenden Gütern und Diensten begrenzen. Dafür gibt es ebenfalls ein Fremdwort: Suffizienz oder altdeutsch: Genügsamkeit oder Sparen.

Sparsameres Verhalten wirkt sich schneller und stärker auf den Energiekonsum aus als Effizienz und Konsistenz. Das illustrieren einige simple Vergleiche: Haushalte, die ihren alten Tumbler durch einen neuen ersetzen, sparen weniger Strom, als wenn sie ihre Wäsche zum Trocknen an die Leine hängen. Wer mit der energieeffizienteren Bahn ins Büro fährt, reduziert seinen Energiekonsum weniger stark, als wenn er zu Hause arbeitet und sich neben dem Pendelweg auch noch ein beheiztes externes Büro erspart. Wer sein altes Benzinauto durch ein Elektroauto ersetzt, spart weniger Energie, als derjenige, der aufs leichte Velo - ob mit oder ohne Elektromotor - umsteigt. Während aber einige Kantone den Kauf von Elektroautos subventionieren, erhält niemand Geld, der sein Motorfahrzeug ersatzlos verschrotten lässt.

… aber gefährdet das Wachstum der Wirtschaft

Nicht nur im Einzelfall, auch gesellschaftlich wirkt sich Suffizienz stärker aus als Effizienz. Das zeigt der Blick zurück aufs goldene Jahr 1960. Energieeffizienz war damals noch kein Thema. Ein 700 Kilo schwerer VW-Käfer verbrannte 1960 mehr Benzin als heute ein 2000 Kilo schwerer Mercedes. Doch im Jahr 1960 benötigten Bevölkerung und Wirtschaft in der Schweiz pro Kopf erst etwa halb so viel Endenergie und weniger als halb so viel Elektrizität wie heute, ohne dass Bevölkerung und Wirtschaft darbten. Grund: Der Bestand an energieverzehrenden Bauten, Fahrzeugen und anderen Geräten war viel kleiner als heute. Doch kaum eine Person reklamierte damals, es mangle ihr an mobilem Ballast, an Unterhaltungselektronik oder warmer Luft. Erst das wachsende Angebot und dessen Anpreisung ließ auch die Nachfrage und damit den Energiekonsum steigen.

Obwohl heute viele Leute mehr als genug oder genug von immer mehr Ballast haben, ist Suffizienz als energiepolitisches Mittel verpönt. Die Verfasser der neuen Energiestrategie, die Schweizer Regierung und ihre Beraterinnen, klammerten solche nachfragesenkenden Verhaltensänderungen bewusst aus mit dem Argument: "Solange technologische Optionen zur Verfügung stehen, werden Suffizienzstrategien als nicht akzeptabel angesehen." Oder mit den Worten der damaligen Energieministerin Doris Leuthard: "Ich will keine asketische Gesellschaft".

Doch das sind Ausflüchte. Denn der Grund für die Ablehnung der Suffizienz als wirksamen Pfeiler der Energiepolitik ist viel banaler: Genügsamkeit oder ein Leben mit weniger energieabhängigem Ballast gefährdet die wachstumsorientierte Wirtschaft - und wird darum mit dem negativ besetzten Wort "Verzicht" verknüpft. Die seltenen Kampagnen, die energiesparendes Verhalten predigen, werden in der NZZ und weiteren Medien als "Bevormundung" der Bevölkerung" kritisiert - nicht aber die Flut an Werbung oder Konjunkturprogramme, die zusätzlichem Konsum anpreisen.

Zwar hat sich der Energiebedarf in der Schweiz von der Entwicklung der Wirtschaft, gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP), relativ und neuerdings auch absolut entkoppelt. So wuchs der inländische Energiekonsum schon seit 1970 etwas weniger stark als das BIP und hat, wie eingangs in der Grafik gezeigt, in den letzten Jahren pro Person abgenommen. Das ändert nichts am allgemeinen Befund: Die wachsende Wirtschaft kompensiert einen Teil der zunehmenden Energieeffizienz und erschwert es damit, die Ziele der Energie- und Klimapolitik zu erreichen. In diesem Zielkonflikt wiegt das Interesse der Wirtschaft stets mehr als das Ziel einer sparsamen, CO2-freien Energieversorgung. Das manifestieren aktuell etwa die Konjunkturprogramme und Verschuldungsorgien, mit denen die Staaten versuchen, die coronabedingte Rezession zu mildern.


Der dritte und letzte Teil dieser kleinen Energieserie widmet sich der neusten Revision des Schweizer Energiegesetzes.

Quelle: Infosperber.ch - 25.07.2020.

Veröffentlicht am

28. Juli 2020

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