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Deutsche Drohnen-Debatte: Wo sind die Stimmen der Opfer?

Von Emran Feroz

Seit einigen Wochen wird in Deutschland über die Anschaffung bewaffneter Drohnen debattiert. Dabei wird nicht nur der Mythos der präzisen Drohne, die ausschließlich "Terroristen" trifft, wiederbelebt, sondern auch die Stimme jener Zivilisten übertönt, die tagtäglich von den Killermaschinen getötet werden.

Wenn Kabir Aluzai von seinem Bruder spricht, wirkt er traurig und gebrochen. "Er wurde einfach getötet. Sogar seine Knochen verbrannten im Auto", sagt er. Aluzais Bruder, Karim, wurde 2013 zum Ziel eines amerikanischen Drohnen-Angriffs in der afghanischen Provinz Wardak. Er war Obsthändler. Sein Auto war mit Melonen beladen. 2017 traf ich Aluzai in seinem Heimatdorf, das von den "Todesengeln" - so werden die Drohnen von vielen Einheimischen genannt - heimgesucht wird. Aluzai und andere Menschen aus dem Dorf beschrieben, wie die Drohnen ihren Alltag bestimmen. Die Kinder haben Angst beim Spielen und können nicht schlafen, während Erwachsene, etwa Feld- oder Minenarbeiter, nicht sorglos im Freien arbeiten können. Jeder wirkte traumatisiert. Sobald der Himmel frei ist, tauchen die Predator-Drohnen auf und feuern ihre Hellfire-Raketen ab. Sie unterscheiden nicht zwischen aufständischen Taliban-Kämpfern und unbewaffneten afghanischen Zivilisten.

Weltweit haben bereits gut 40 Staaten bewaffnete Kampfdrohnen angeschafft, darunter auch kleine Länder wie Belgien, die Niederlande und die Schweiz. Nun möchte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auch die Bundeswehr mit Kampfdrohnen bewaffnen.

In Deutschland wird nun offiziell über die Anschaffung bewaffneter Drohnen diskutiert. Im Bundestag sah man vor Kurzem Militärs und Politiker, die sich ganz offen für die unbemannten Todesmaschinen aussprachen. Die Stimmen der Betroffenen, etwa Menschen wie Kabir Aluzai, sind abwesend. Man könnte fast meinen, sie existieren gar nicht. Stattdessen wird der Tod per Knopfdruck romantisiert. Die "Todesengel" sind allem Anschein nach präzise und schützen das Leben "unserer" Soldaten. Diese Narrative sind nicht unbekannt. Die Amerikaner haben sie bereits vor zwei Jahrzehnten etabliert. Doch sie führen gänzlich in die Irre.

Das beste Beispiel hierfür ist der Alltag in Afghanistan und anderen Ländern, die von Drohnen heimgesucht werden. Im Jemen gab es Zeiten, in denen sie mehr Zivilisten töteten als Al-Qaida. In Pakistan waren die Mehrheit der identifizierten Drohnen-Opfer keine militanten Kämpfer, sondern unschuldige Menschen. Und in Afghanistan, dem am meisten von Drohnen bombardierten Land der Welt, werden fast regelmäßig Menschen wie Kabir Aluzais Bruder getötet. Dass man selten von ihnen hört, hat viele Gründe. Die meisten Drohnen-Morde passieren in abgelegenen, ländlichen Regionen, die schwer zu erreichen sind. Hinzu kommt, dass diese Art der Kriegsführung heimtückisch ist und die Tötungsschwelle seitens der Piloten, die sich meist an weit entfernten Flecken aufhalten, stets senkt. Ein Auto. Ein Knopfdruck. Mal sind es drei Tote, mal fünf, mal einer. Immer und immer wieder. Im Schatten jeglicher Öffentlichkeit. Gleichzeitig findet die Entmenschlichung der Opfer statt. Man sieht keine Bauern oder spielende Kinder, sondern vermeintlich bewaffnete Kämpfer oder Terrorverdächtige. Fast immer. Überall. Wie im Computerspiel. Bekannte Ziele, etwa Osama bin Laden oder Taliban-Gründer Mullah Omar, wurden nie von den Drohnen getötet. Viele Extremistenführer leben weiterhin. Wer statt ihnen sterben musste, weiß niemand, weil fast nie danach gefragt wird. Es sind Menschenrechtsaktivisten, Whistleblower und einige Investigativjournalisten und Rechercheure, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen Kriegsverbrechen nachzugehen. Die Arbeit ist mühselig, langwierig und gefährlich.

Doch im Kontext der deutschen Drohnen-Debatte werden nicht nur all diese Menschen und deren Expertise übertönt, sondern vor allem auch die Opfer, auf die man hören sollte. "Man kann Terror nicht mit Terror bekämpfen. Wir können niemals mit voller Gewissheit sagen, auf wen wir schießen", sagt Lisa Ling immer wieder. Sie weiß, wovon sie spricht. Einst war sie für die US-Luftwaffe in Afghanistan tätig und wartete Drohnen. Doch dann stieg sie aus dem Programm aus und wurde zur lautstarken Kritikerin der Angriffe. Ling ist der Meinung, dass keine Debatte ohne jene stattfinden sollte, die dem stetigen Drohnen-Terror ausgesetzt sind.

Wohin der Drohnen-Trend führen kann, sieht man in diesen Tagen übrigens in den USA. Seitdem dort landesweit massive Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt herrschen, ausgelöst durch die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd, wird die Militarisierung der Polizei immer deutlicher. In Minneapolis kam sogar eine Predator-Drohne (noch) zur Überwachung von Demonstranten zum Einsatz. Laut Umfragen in den letzten Jahren unterstützten weite Teile der amerikanischen Gesellschaft den Drohnen-Krieg in fernen Ländern.

Quelle:  NachDenkSeiten - 04.06.2020.

Veröffentlicht am

05. Juni 2020

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