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Gestapo Hausgefängnis

Als die Schlacht um Berlin tobt und die Rote Armee auf das Stadtzentrum vorrückt, werden durch das NS-Regime noch Hunderte von politischen Häftlingen umgebracht

Von Lutz Herden

"Wenn man seine Tage damit verbringt, gefesselt in einer absolut ungeheizten Kellerzelle ohne ein Buch, hungrig, fast im Dunkel, auf seinem Schemel zu sitzen, wird man fast verlegen darüber, wie weit es die Menschheit gebracht hat", schreibt der Schriftsteller Günther Weisenborn 1947 über seine Haft im Hausgefängnis der Gestapo-Zentrale vier Jahre zuvor.

Das Hauptquartier der politischen Polizei liegt seit 1933 in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße 8 (heute Niederkirchner-Straße zwischen der Ausstellung "Topographie des Terrors" und dem Berliner Abgeordnetenhaus). Dorthin lässt die Gestapo im März 1943 Weisenborn aus dem Gefängnis Spandau zum verschärften Verhör überstellen. Sie glaubt, er habe seit seiner Verhaftung Ende September 1942 noch nicht alles ausgesagt über seine Kontakte zur Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack, die zu diesem Zeitpunkt bereits hingerichtet sind wie andere Mitglieder des von der Gestapo als "Rote Kapelle" geführten antifaschistischen Netzwerkes auch.

Weisenborn muss auf Torturen gefasst sein wie das "Krummschließen", wenn die auf dem Rücken verdrehten Arme durch Handschellen fixiert sind und der Körper mit einem Stock oder Lineal geschlagen wird. Zu den Folterpraktiken in der Prinz-Albrecht-Straße zählt ebenso das Quetschen von Oberschenkel, Fingern und Zehen mit Schraubpressen, an denen sich Dornen befinden, um die Qual des Gemarterten stetig steigern zu können.

Wer diese Torturen übersteht - sprich: wer sie überlebt -, kommt danach in der Regel vor den Volksgerichtshof oder das Reichskriegsgericht, muss mit einem Todesurteil, mit Jahren im Zuchthaus oder der Einweisung ins KZ rechnen. Für Günther Weisenborn geht es relativ glimpflich aus, er wird als minderbelastet eingestuft und soll für drei Jahre in eine Haftanstalt nach Luckau, wo er bei Kriegsende befreit wird.

"Heraustreten ohne Gepäck!"

Ende April 1945 sind den Gewaltorgien in der Prinz-Albrecht-Straße erst recht keine Grenzen mehr gesetzt, doch bleiben sie nun weitgehend auf diesen Ort beschränkt. Gestapo und Reichssicherheitsdienst (RSD) haben an Spielraum und Möglichkeiten verloren. Seit dem 21. April steht die Rote Armee an der Peripherie der Reichshauptstadt und kommt dem Stadtzentrum unablässig näher und damit den noch verbliebenen, letzten Bastionen des Regimes.

Sie lassen sich durch einige wenige Adressen zusammenfassen: die Neue Reichskanzlei in der Voßstraße 4 nahe dem Potsdamer Platz, in deren Bunker sich Hitler verschanzt hält; das Oberkommando der Wehrmacht am Landwehrkanal, Tirpitzufer 72 - 76, wo sich der Stab des Berliner Stadtkommandanten aufhält; das Haus des Rundfunks am Adolf-Hitler-Platz (heute Theodor-Heuss-Platz) in Charlottenburg, das Reichssportfeld am Olympiastadion im Südwesten Berlins. Und schließlich die durch Luftangriffe bereits schwer in Mitleidenschaft gezogene Gestapo-Zentrale. Sie liegt in Sichtweite des bereits geräumten, weil evakuierten Prinz-Albrecht-Palais, dem Sitz des Reichssicherheitshauptamts in der Wilhelmstraße 102. Dessen Chef Ernst Kaltenbrunner ist seit Anfang April nach Alt-Aussee in der Steiermark ausgewichen.

In der Prinz-Albrecht-Straße sitzen am 23. April 1945 noch 25 Häftlinge, Männer, denen eine Beteiligung am 20. Juli 1944, dem Attentat auf Hitler, zur Last gelegt wird, dazu kommen anderweitig in Ungnade gefallene Militärs und einige Geistliche. In der Nacht zum 24. April werden die Türen der Zellen Nr. 38 bis Nr. 21 vom Wachpersonal aufgerissen: "Heraustreten ohne Gepäck!" Im südlichen Zellenflur stehen neben anderen Gefangenen zum Abmarsch bereit: der beinamputierte Oberleutnant Ruprecht Gehring, der Arzt Eugen Ense, der Jurist Hans Koch, Mitglied der Bekennenden Kirche, der ehemalige NS-Gauleiter Joseph Wagner. Ein SS-Trupp führt sie über die Wilhelmstraße bis zu der in südlicher Richtung einmündenden Puttkamerstraße. Auf einem Ruinengrundstück dort fallen die Schüsse.

Befreiung am 2. Mai

"Sie werden wohl noch nicht wissen, dass in der Nacht vom 23. zum 24. April ein Massenmorden stattfand, das Massengrab ist gefunden, sehr wertvolle Menschen, auch des kirchlichen Lebens kamen um", schreibt der Pfarrer August Reinicke nach dem Krieg an einen Mitgefangenen aus der Prinz-Albrecht-Straße, der ebenfalls überlebt hat.

Anfang Mai 1945 bleiben noch sieben Häftlinge im Hausgefängnis der Gestapo, anfangs bewacht, dann zusammen eingeschlossen und sich selbst überlassen.

"44 Stunden hatte man uns in eine Gemeinschaftszelle gesperrt - unter direktem Beschuss, ohne Essen, ohne Wasser, ohne Kübel … So hausten wir unter ständiger Bedrohung, auch noch erschossen zu werden", so Pfarrer Reinicke in seinem späteren Bericht. "Dann überließ man uns dem, was kommen würde. Der SD zog sich zurück."

Am 2. Mai rüttelten Soldaten der Rote Armee an der Zellentür, die sie schließlich mit einer Axt und Gewehrkolben aufbrachen.

Mit Aug’ und Hand

Nicht nur im Umfeld der Prinz-Albrecht-Straße kam es Ende April 1945 noch zu Exekutionen. Auf Befehl von Gestapo-Chef Heinrich Müller gab es in der Nähe des Zellengefängnisses Lehrter Straße in Berlin-Moabit einen ähnlichen Massenmord wie in der Kreuzberger Puttkamerstraße. Den Schüssen auf dem damaligen ULAP-Gelände am Lehrter Bahnhof fielen 16 mehr oder weniger prominente Hitler-Gegner zum Opfer, darunter der Schriftsteller Albrecht Haushofer.

Der hatte kurz zuvor in seiner Zelle geschrieben: "Die Mittel, die aus diesem Dasein führen, ich habe sie geprüft mit Aug’ und Hand. Ein jäher Schlag - und keine Kerkerwand ist mächtig, meine Seele zu berühren."

Quelle: der FREITAG vom 04.05.2020. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

06. Mai 2020

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