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Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt über Klage eines Friedensaktivisten

Landratsamt Rottweil verweigerte Aushändigung einer rüstungskritischen Brief-Petition an seine Kreistagsabgeordneten

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt am Mittwoch, 6. Mai 2020, 14:00 Uhr, Großer Sitzungssaal (Simsonplatz 1, 04107 Leipzig), über eine Klage des Hirschberger Friedensaktivisten Hermann Theisen (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen/DFG-VK).Aufgrund der aktuell geltenden Abstandsbestimmungen infolge der COVID 19-Pandemie finden derzeit alle Sitzungen des Bundesverwaltungsgerichts im Großen Sitzungssaal statt. Zu Zeiten des Reichsgerichts fanden in diesem historischen Plenarsaal der Hochverratsprozess gegen Karl Liebknecht, der Weltbühnenprozess gegen Carl von Ossietzky und der Reichstagsbrandprozess gegen Marinus van der Lubbe statt.

Hintergrund der Klage ist eine Brief-Petition mit Flugblättern, die sich gegen die in Teilen illegale Exportpraxis des Oberndorfer Waffenherstellers Heckler & Koch gerichtet hat. Im September 2016 wandte sich der Friedensaktivist mit der Brief-Petition an die Kreistagsabgeordneten des Landkreises Rottweil sowie die Mitglieder des Stadtrats Oberndorf und forderte sie im Hinblick auf den in Oberndorf am Neckar ansässigen Waffenproduzenten Heckler & Koch dazu auf, "…hier Ihre kommunalpolitischen Einflussmöglichkeiten geltend zu machen, damit es künftig zu keinen illegalen Waffenexporten mehr kommt." Die Brief-Petition enthielt auch ein Flugblatt, in dem die Beschäftigten von Heckler & Koch zum Whistleblowing aufgefordert wurden. Sie sollten die Öffentlichkeit über die Hintergründe von illegalen Waffenexporten ihres Arbeitgebers informieren.Am 21. Februar 2019 endete der Prozess vor dem Stuttgarter Landesgericht gegen fünf Mitarbeitende von Heckler & Koch wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko. In erster Instanz wurden dabei eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter von Heckler & Koch zu Bewährungsstrafen verurteilt. Vom Waffenhersteller Heckler & Koch wurde der Verkaufspreis der Gewehre in Höhe von 3,7 Millionen Euro eingezogen. Die verurteilten ehemaligen Mitarbeitenden sowie die Staatsanwaltschaft und der Waffenhersteller als Nebenbeteiligter haben Revision gegen das Urteil eingelegt.

Während die Schreiben den Oberndorfer Stadträten ausgehändigt worden sind, weigerte sich das Landratsamt Rottweil die Briefe weiterzuleiten. Der Inhalt der Flugblätter sei strafbar, da mit ihnen zum Geheimnisverrat aufgefordert werde. Deshalb hatte die Behörde die Brief-Petition zunächst an die Staatsanwaltschaft Rottweil weitergeleitet und bekam sie nach dortiger Prüfung postwendend wieder zurück, weil der Inhalt nicht strafbar sei. Die Behörde weigerte sich sodann aber weiterhin, die Brief-Petition ihren Kreistagsabgeordneten auszuhändigen und schickte sämtliche Schreiben in einem Paket an den Friedensaktivisten zurück. Es sei nicht Aufgabe einer Behörde, private Briefe an Mandatsträger weiterzuleiten, argumentierte das Landratsamt Rottweil.

Theisen erhob dagegen Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg. Dieses stellte mit Urteil vom 27.09.2017 (1 K 3746/16) fest, dass der Beklagte nicht verpflichtet war, die Briefe an diejenigen Kreistagsmitglieder weiterzuleiten, deren Anschrift allgemein bekannt ist. Nur soweit die Anschriften einzelner Kreistagsmitglieder nicht zu recherchieren seien, habe das Landratsamt die Schreiben des Klägers an diese weiterleiten müssen. Sowohl der Kläger als auch der Beklagte legten gegen das Urteil Berufung ein. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) entschied daraufhin am 27.11.2018 (1 S 2712/17), dass der Beklagte nicht verpflichtet war, die Briefe des Klägers an die Mitglieder des Kreistags weiterzuleiten. Dies gelte auch für die Briefe an Kreistagsmitglieder, deren Adresse nicht zu recherchieren gewesen sei. Auch liege kein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit des Klägers vor. Dieser könne seine Meinung zu Waffenexporten ungehindert äußern.

Ein Anspruch auf Weiterleitung der Briefe könne sich allenfalls aus dem Petitionsgrundrecht (Art. 17 GG) ergeben, so der VGH. Dieses gebe jedem Bürger das Recht, sich mit einer Petition an die Volksvertretungen oder eine zuständige staatliche Stelle zu wenden. Wie sich aus dem Gesamtumständen, insbesondere der Adressierung der klägerischen Schreiben aber ergebe, handele es sich hier nicht um eine Petition an den Kreistag als Gesamtgremium, sondern um Petitionen an die einzelnen Mitglieder des Kreistags. Das einzelne Kreistagsmitglied sei jedoch weder eine Volksvertretung noch eine zuständige staatliche Stelle. Denn das einzelne Kreistagsmitglied habe nach seiner gesetzlichen Stellung keine Kompetenz, einer Petition eines Bürgers abzuhelfen. Auch eine Resolution des Kreistags, in dem sich dieser gegen illegale Waffenexporte ausspreche, könne allenfalls der Kreistag als Gesamtgremium, nicht hingegen das einzelne Kreistagsmitglied beschließen. Das einzelne Kreistagsmitglied sei daher kein zulässiger Adressat einer Petition im Sinne des Petitionsgrundrechts. Daher bestehe auch keine Pflicht des Landratsamts zur Weiterleitung von an die einzelnen Kreistagsmitglieder gerichteten Schreiben an diese. Da die entscheidungserhebliche Frage, ob ein Mitglied eines Kreistags eine Volksvertretung oder eine zuständige Stelle i.S.v. Art. 17 GG ist, aber noch nicht höchstrichterlich geklärt und von Bedeutung über den Einzelfall hinaus ist, hat der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, über die nun verhandelt wird (BVerwG 8 C 12.19).

Theisen engagiert sich seit mehr als 30 Jahren in der Friedensbewegung, weshalb er wegen
seiner Teilnahme an Gewaltfreien Aktionen bereits zahlreiche Straf- und Verwaltungsgerichtsverfahren zu bestreiten hatte. Das Landratsamt Rottweil erliess gegen ihn auch ein Flugblattverteilverbot und beschlagnahmte seine Aufrufe zum Whistleblowing vor der Waffenschmiede Heckler & Koch. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat daraufhin am 27.09.2017 seinen diesbezüglichen Klagen stattgegeben und das Flugblattverteilverbot (1 K 3529/16) sowie die Flugblattbeschlagnahme (1 K 3693/17) als rechtswidrig erklärt.

Die verfahrensgegenständliche Brief-Petition hatte Theisen bewusst an die einzelnen
Kreistagsmitglieder adressiert, auch wenn damit der Kreistag als Gesamtgremium gemeint war. Anlass dazu war das Vorgehen einer rheinland-pfälzischen Behörde, die 2014 atomwaffenkritische Briefe einbehalten und vernichtet hatte. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat daraufhin im April 2015 (2 K 1030 14.KO) entschieden, dass die Einbehaltung und Vernichtung von individuell adressierten Briefen an gewählte Ratsmitglieder der Verbandsgemeinde Ulmen (die kommunalpolitisch für den Atomwaffenstandort Büchel zuständig ist) rechtswidrig war. Die Behörde habe Theisen in seinen Grundrechten aus Art. 10 GG (Briefgeheimnis) und Art. 14 GG (Eigentumsrecht) verletzt, so das VG Koblenz.

Bei der vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Klage geht es um einen vergleichbaren Sachverhalt. Hier handelt es sich um eine Brief-Petition mit waffenkritischem Inhalt. Da der Friedensaktivist wiederum eine Einbehaltung der Briefe durch die Behörde befürchtete, hat er die Briefe an die einzelnen Kreistagsmitglieder adressiert. Ziel seiner Brief-Petition war der Appell an alle Mitglieder des Kreistags, sich als Gesamtgremium im Sinne der Petition einzusetzen, weshalb er dafür auch sämtliche Kreistagsmitglieder in einzeln adressierten Briefen angeschrieben hat. Deshalb sei seine Brief-Petition vom Landratsamt Rottweil an die Kreistagsmitglieder ebenso weiterzuleiten gewesen, wie es bei den Stadtratsmitgliedern in Oberndorf geschehen ist, so der Friedensaktivist.

Hermann Theisen, dessen Klage von Rechtsanwalt Martin Heiming (Heidelberg) geführt wird, erklärt hierzu: "Das Grundrecht auf Petition genießt aus guten Gründen einen sehr hohen Stellenwert in unserer Verfassung, weshalb die formalrechtlichen Zugangsvoraussetzungen für eine Petition niederschwellig und bürgerfreundlich auszulegen sind. Deshalb hoffe ich sehr, dass das Bundesverwaltungsgericht meiner Klage stattgeben wird, um damit nicht zuletzt auch das Petitionsrecht insgesamt zu stärken und die Zivilgesellschaft zu ermutigen, sich in diesem Sinne partizipativ für unser aller Gemeinwohl einzusetzen."

Quelle: Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Baden-Württemberg - Pressemitteilung vom 28.04.2020.

Fußnoten

Veröffentlicht am

29. April 2020

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