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Corona und Geflüchtete: Zweierlei Maß

Wenn man davon ausgeht, mit den Flüchtlingen auch die Seuche ausgrenzen zu können, ist das ein rassistischer Trugschluss.

Von Ramona Lenz

Bei der Corona-Eindämmung wird mit zweierlei Maß gemessen: Für die einheimische Bevölkerung gilt Rückzug in die Privatwohnung, häufiges Händewaschen und Minimierung sozialer Kontakte. Für geflüchtete Menschen in Sammelunterkünften gilt: Selbst die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder gar eine Erkrankung schützen nicht vor Unterbringung in engen Mehrbettzimmern bei ungenügenden hygienischen Verhältnissen.

In den Krankenhäusern in Deutschland kam es zum Glück noch nicht zur befürchteten Triage, aber wenn es um die Wohn- und Hygieneverhältnisse von Einheimischen und Flüchtlingen geht, wird sie offenbar längst angewandt: Man scheint keine Probleme damit zu haben, Flüchtlinge in großer Zahl zusammen unterzubringen und deutlich stärker als die einheimische Bevölkerung einem potenziell tödlichen Virus auszusetzen. Und das bei leerstehenden Hotels, Kurheimen und Jugendherbergen, in denen man die Menschen dezentral einquartieren könnte. Offenbar geht man davon aus, mit den Flüchtlingen auch die Seuche ausgrenzen zu können - ein rassistischer Trugschluss.

Die Geringschätzung der Gesundheit von Geflüchteten forderte gestern das erste Corona-Todesopfer in einer Flüchtlingsunterkunft in Deutschland. Für den 60jährigen, der im ANKER-Zentrum Schweinfurt an Covid-19 verstarb, kommt jedes Urteil und jede Maßnahme zu spät. Für andere könnte das ebenfalls gestern bekannt gewordene Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig jedoch bahnbrechend sein: Ein Asylbewerber hatte beantragt, nicht in der Erstaufnahmeeinrichtung Dölzig bleiben zu müssen, weil es dort unmöglich ist, 1,50 Meter Abstand zu anderen einzuhalten. Das Verwaltungsgericht Leipzig gab dem Antrag statt. Darauf können sich nun weitere Bewohnerinnen und Bewohner von Sammelunterkünften berufen.

Wichtig ist in dem Zusammenhang auch das von Pro Asyl / Refugee Support Aegean erstrittene Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, das auch gestern bekannt wurde. Es zwingt Griechenland, Flüchtlinge aus dem "Hotspot" Moria auf Lesbos menschenwürdig unterzubringen und medizinische Behandlung sicherzustellen. Geklagt hatten acht besonders schutzbedürftige Flüchtlinge.

Nicht nur für besonders Schutzbedürftige bedeutet das Leben in einer Sammelunterkunft jedoch eine Gefahr für Leib und Leben. Die rasante weltweite Ausbreitung von Corona führt uns vor Augen: Lager sind für niemanden ein geeigneter Ort längerfristiger Unterbringung, sondern potenzielle Hotspots vielfältiger Probleme, u.a. der beschleunigten Verbreitung von Viren.

Worauf es jetzt ankommt, sind zügige Evakuierungen von Geflüchteten aus Sammelunterkünften und ihre dezentrale Unterbringung - ohne über die Köpfe oder gar den Willen der Betroffenen hinwegzugehen.

Ramona Lenz ist Kulturanthropologin und in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für das Thema Migration.

Quelle: medico international - 23.04.2020.

Veröffentlicht am

27. April 2020

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