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Verdrängen und Vergessen - Das ist beim US-Militär systematisch

Von Emran Feroz

In den letzten Jahren wurden durch US-Luftangriffe in Afghanistan, Syrien, Irak oder etwa Somalia zahlreiche Zivilisten getötet. Manchmal behauptet das US-Militär, diese untersuchen zu wollen. Doch auch das ist, wie erwartet, eine Farce, wie eine neue Studie deutlich macht.

Mitte September zielten US-amerikanische Drohnen in der abgelegenen Region Wazir Tangi in der ostafghanischen Provinz Nangarhar auf eine Gruppe von Menschen. Irgendwann in der Nacht begann das Feuer der Hellfire-Raketen. Mindestens dreißig Zivilisten wurden bei dem Massaker getötet, dutzende weitere wurden verletzt. Das US-Militär sowie ihre afghanischen Verbündeten in Kabul behaupteten, dass die Opfer "IS-Kämpfer" gewesen seien. Diese Behauptung war eine Lüge, was schnell klar wurde. Bei allen Opfern handelte es sich nämlich um Bauern und lokalen Erntehelfern. In Nangarhar herrschte zum besagten Zeitpunkt der Höhepunkt der Pinienkernsaison. Die Bauern richteten sich deshalb bereits im Vorfeld mit einem Schreiben an die Provinzregierung und forderten unter anderem, keine Luftangriffe in den betroffenen Regionen durchzuführen. In den letzten Jahren gehörte Nangarhar zu den am meisten bombardierten Regionen des US-Militärs. 2017 warf man hier die sogenannte "Mutter aller Bomben" ab.

Stattdessen ist das genaue Gegenteil eingetreten und die Pinienkernernte endete mit einem Drohnen-Blutbad. Für viele Beobachter liegt auf der Hand, dass hier ein Kriegsverbrechen begangen wurde. Das US-Militär und seine Verbündeten haben nicht nur die Tötung von Zivilisten in Kauf genommen, sondern diese bewusst angegriffen. Doch was geschah eigentlich danach? Gab es eine Untersuchung seitens der verantwortlichen Akteure? Wurde irgendjemand zur Rechenschaft gezogen? Abgesehen von einigen afghanischen Journalisten, die unter anderem auch für internationale Medien tätig sind, recherchierte niemand vor Ort - geschweige denn die Täter.

Nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Irak oder Syrien behauptete das US-Militär hin und wieder, dass man "Untersuchungen" einleiten werde, um Vorwürfe bezüglich ziviler Opfer nachzugehen. Wie diese Untersuchungen aussehen und ob sie überhaupt stattfinden, war meist völlig unklar. Hinzu kommt natürlich die Tatsache, dass es allgemein fragwürdig sein sollte, wenn der Täter - und kein unabhängiger Akteur - sein eigenes Vergehen untersuchen möchte.

Eine Studie des Center for Civilians in Conflict und des Columbia Law School Human Rights Institute macht nun deutlich, was viele bereits im Vorfeld angenommen hatten. In den allermeisten Fällen von Untersuchungen des US-Militärs wird der Tatort nämlich kaum aufgesucht. Die Rechercheure der Studie fokussierten sich auf insgesamt 228 offizielle Untersuchungen, die in Afghanistan, Irak und Syrien zwischen 2002 und 2015 durchgeführt worden sind. Die Schauplätze der Luftangriffe wurden lediglich in sechzehn Prozent der Fälle aufgesucht.

Die Autoren des neuen Berichtes üben scharfe Kritik am US-Militär und betonen die Wichtigkeit von Untersuchungen vor Ort. Ohne diese würde man nämlich kaum Natur und Ausmaß des Angriffes verstehen. Notwendig sind in diesem Kontext natürlich auch Interviews mit Opfern und deren Familienmitgliedern. Das US-Militär interessiert sich allerdings nicht für diese Menschen. Eine Tatsache, die auch vom Bericht unterstrichen wird. Es ist nämlich zur Standardpraxis geworden, dass in den meisten Fällen im Laufe von Untersuchungen lediglich Militärpersonal befragt wird. In 21,5 Prozent der untersuchten Fälle wurden Zivilisten vom US-Militär interviewt. Fazit: Es ist eine Farce, überhaupt von "Untersuchungen" zu sprechen.

Alle afghanischen Drohnen-Opfer, die ich bis jetzt persönlich interviewt habe, wurden bis zum heutigen Tage kein einziges Mal von Vertretern von US-Regierung oder Militär aufgesucht. Sie erhielten weder Entschädigungszahlungen noch irgendeine Form der Entschuldigung. Dies betrifft auch die Bauern aus Nangarhar, die man angeblich für IS-Extremisten hielt.

Das Verdrängen und Vergessen ist allerdings kein Zufall, sondern hat System. Die Opfer des "War on Terror" zählen nicht. Man hat sich für sie nicht zu interessieren - und sobald Vorwürfe und sogar klare Beweise im Raum stehen, werden sie einfach ignoriert. Irgendwann kommt es zum nächsten Angriff und dasselbe Szenario spielt sich nochmal ab.

Quelle:  NachDenkSeiten - 03.04.2020.

Veröffentlicht am

04. April 2020

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