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Altersarmut: Wirrnis und Willkür

Die groß angekündigte Grundrente von Hubertus Heil ist ein Tiefschlag: Zu wenig, für zu wenige und zu kompliziert obendrein

Von Ulrike Baureithel

Susanne Holtkotte ist wohl eine der bekanntesten Reinigungskräfte der Republik. Seitdem die in einer Klinik in Bochum beschäftigte 49-Jährige durch die Talk-Shows tourt und die Situation von Kleinrentnern anprangert, kommt auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht mehr an ihr vorbei: Als Heil auf einer Pressekonferenz Mitte Februar seinen vom Kabinett abgesegneten Entwurf zur Grundrente bewarb, berief er sich auf Holtkotte als prominente Vertreterin jener "hart arbeitenden Menschen", die von der Geringverdienerrente ab 1. Januar 2021 profitieren sollen.

Holtkotte selbst ist nicht unzufrieden mit dem Grundrentengesetz. Sie geht davon aus, dass ihre Rente dadurch einmal höher ausfallen wird als jene 715 Euro, die ihr derzeit die Rentenversicherung prognostiziert. Dabei wird sie auch mit Grundrente nur auf 900, höchstens 1.000 Euro kommen. In jedem Fall weniger als ihr derzeitiges Nettoeinkommen von 1.150 Euro, von dem sie sagt, dass sie damit nur "irgendwie" über die Runden käme.

Mindestens aber gehört Holtkotte zu den 1,3 Millionen Berechtigten, die 35 Jahre "Grundrentenzeiten" nachweisen können. Wer ein, zwei Jahre weniger zusammen bringt, wird mit Abschlägen bestraft; alle, die weniger als 33 Jahre belegen können, gehen ohnehin leer aus. Zu den "Grundrentenzeiten" zählen jene Jahre, in denen mindestens 30 Prozent der durchschnittlichen Rentenansprüche erworben wurden, in einem gewissen Rahmen auch Kindererziehungs- und Pflegezeiten. Krankheit oder Arbeitslosigkeit werden nicht berücksichtigt. Grundsätzlich wird die Grundrente auf 400 Euro gedeckelt.

Gemessen an den über drei Millionen Rentnern, die ursprünglich einmal nach Heils Vorstellungen in den Genuss der Aufstockungsrente kommen sollten, ist der Kreis der Berechtigten also dramatisch geschrumpft. Durchgesetzt hat sich die Union auch mit der "kleinen" Bedürftigkeitsprüfung, die entgegen dem anfänglichen Widerstand der SPD nun im Gesetzesentwurf steht. Alleinstehende Rentner müssen nachweisen, dass ihr Einkommen 1.250 Euro nicht übersteigt, inklusive des steuerfreien Anteils der Rente. 1.950 Euro sind es bei Paaren. Bei jedem zusätzlichen Euro werden 60 Prozent auf die Grundrente angerechnet, ab 1.600 Euro beziehungsweise 2.300 Euro gibt es gar nichts mehr. Vermögen und Immobilien bleiben unberücksichtigt.

Das Prozedere, nach dem die Grundrente berechnet wird, ist so kompliziert, dass das Arbeitsministerium den Pressevertretern mit einer - reichlich verwirrenden - Handreichung aushalf. Professionelle Rentenberater dürften sich schon jetzt die Hände reiben. Denn was zu den "Grundrentenzeiten" gehört, wie der völlig willkürliche Abschlag von 12,5 Prozent zu berücksichtigen ist und wie das mit den Freibeträgen ist, bedürfte eines eigenen Seminars. Rund 3.000 neue Angestellte, rechnet die Rentenversicherung vor, werden benötigt, um den Abgleich zwischen Rentenkasse und Finanzbehörden zu bewerkstelligen. Da könnte es für Susanne Holtkotte übrigens noch ein böses Erwachen geben, denn beim Renteneintritt wird der letzte Steuerbescheid berücksichtigt, der aus einer Zeit stammt, als sie noch berufstätig war.

Seehofer gefällt das

Dass zur Finanzierung der Grundrente derzeit noch mit einer Luftnummer, der Finanztransaktionssteuer von Olaf Scholz, gerechnet wird, befeuert Kritiker, die den Rentnern den Obolus ohnehin nicht gönnen und wieder einmal Alte und Junge gegeneinander ausspielen. Das systematische Problem allerdings besteht darin, dass diejenigen, die von Altersarmut am stärksten betroffen sind - Menschen mit wenig Versicherungsjahren, Anwartschaften unter 30 Prozent und in der Regel Selbstständige - von der Grundrente überhaupt nicht profitieren werden.

"Ein schöner Tag!", fand Bundesinnenminister Horst Seehofer, der zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn dem Arbeitsminister sekundierte, und begrüßte die Grundrente als "fehlenden Baustein" in der Sozialversicherung. Er erinnerte dann auch an das Debattendrama bei der Einführung der Pflegeversicherung. Aber die Teilkasko-Pflegeversicherung hinkt dem Bedarf ebenso hinterher wie die Grundrente: Die eine nicht kostendeckend, die andere nicht armutsfest. Insofern handelt es sich auch hierbei nur um eine weitere korrosionsanfällige Schraube im deutschen Sozialsystem.

Quelle: der FREITAG vom 28.02.2020. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

01. März 2020

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