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Highlights aus der Arbeit von Hildegard Goss-Mayr

Lateinamerika

Stets bemüht, die Zeichen der Zeit zu erkennen, beobachteten Hildegard Goss-Mayr und ihr Mann, Jean Goss, in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre eine wachsende Aufbruchsbewegung in Lateinamerika. Die Situation war gekennzeichnet von Hunger, Armut, Unterdrückung und unermesslichem Leid eines Großteils der Bevölkerung, sowie vom Kalten Krieg, in dem die beiden Blöcke unter Führung der USA und der Sowjetunion ihre jeweiligen Ideologien und Machtsysteme überall durchzusetzen versuchten.

1962 unternahmen Hildegard und Jean ihre erste Reise nach Lateinamerika und knüpften in vielen Ländern Kontakte zu den kleinen, in verschiedenen Ländern verstreuten Versöhnungsbund-Zweigen, zu kirchlichen Basisgemeinden und Würdenträgern, u.a. zu Dom Helder C?mara, Bischof von Recife/Brasilien, sowie zu Intellektuellen. Lateinamerika blieb 15 Jahre der Schwerpunkt ihrer Arbeit, um den Aufbau einer kontinentalen gewaltfreien Bewegung zu unterstützen. Sie hielten Seminare und Vorträge zur aktiven Gewaltfreiheit, sie reisten von Gruppe zu Gruppe, um deren Arbeit und Anliegen kennenzulernen. Nach zehnjähriger Vorbereitungsarbeit wurde 1974 in Medellín/Kolumbien die Bewegung Servicio Paz y Justicia (Dienst für Frieden und Gerechtigkeit) gegründet, deren erster Sekretär Adolfo Pérez Esquivel, Friedensnobelpreisträger von 1980, wurde.

Hildegard Goss-Mayr zur Wirkung der Gewaltfreiheit in Lateinamerika:

"Ich glaube, dass doch die Gewaltfreiheit mitgeholfen hat, dass diese Militärdiktaturen [in Südamerika], außer in Mittelamerika, ohne neue Bürgerkriege abgebaut werden konnten. Ein Beispiel, das ich miterlebt habe, war in São Paulo, Brasilien. Gerade in dieser Region war die Repression enorm. 1975/1976 hat sich die gewaltfreie Bewegung in Brasilien getroffen und auch mich eingeladen, weil es wichtig war, dass von Europa Solidarität bezeugt wird, dass sie nicht allein stehen. Wir hatten die Tagung begonnen und da kam Kardinal Arns. Er war Bischof einer riesigen Metropole, der sich sehr für die Armen eingesetzt hat. Und Kardinal Arns sagte: "Gebt euer Programm auf. Ich schlage euch vor mir zu helfen eine Strategie für die Überwindung der Diktatur und der Verfolgung zu erarbeiten!" Er sagte: "Jeden Tag stehen in der Früh vor meinem Büro eine Schlange von Leuten, deren Männer oder Frauen oder Brüder in der Nacht verhaftet wurden, und am Abend kommen oft nur ihre Leichen zurück, nachdem sie gefoltert wurden. Einer allein, selbst wenn er Kardinal ist, kann das nicht tun." Er sagte: "Überlegt eine Strategie, wie wir vorgehen sollen."

Wir haben dann daran gearbeitet und haben zwei Punkte in den Mittelpunkt gestellt, die dann auch tatsächlich mitgeholfen haben zur Wende zu führen. Das eine war: Damals tagte eine regionale Bischofskonferenz, also 49 Bischöfe aus São Paolo, und wir beschlossen eine Delegation von Leuten hinzuschicken, deren Mitglieder verhaftet und gefoltert worden waren, um den Bischöfen zu sagen: ‚Ihr müsst den Mut haben offiziell diese Folter und diese Festnahmen zu verurteilen! Ihr seid die einzige Organisation, die das noch tun kann.’

Das Zweite war, dass wir gesagt haben, die Leute wissen auch nicht, welche Rechte sie haben. Es gab Rechte, die zwar missbraucht wurden, aber diese Rechte bestanden. Es wurde beschlossen Zentren zur Verteidigung der Menschenrechte aufzubauen mit Lehrern und Rechtsanwälten, die die Leute beraten, die zu ihnen kommen, damit sie versuchen können ihre Grundrechte durchzusetzen. Es entstanden dann diese Zentren in ganz Brasilien, dabei, und das möchte ich unterstreichen, wurden 33 Rechtsanwälte ermordet, die diese Arbeit übernommen hatten. Aber diese regionale Bischofskonferenz hat der brasilianischen Konferenz vorgetragen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, wo wir nicht mehr Angst haben dürfen, nicht mehr vor der Repression der Kirche Angst haben dürfen, sondern dass wir laut und öffentlich verurteilen müssen: ‚Du sollst deinen Bruder nicht ermorden.’ Es war noch im selben Jahr, 1976, dass die Bischofkonferenz von ganz Brasilien sich hinter diese Entscheidung gestellt hat. Das war der Beginn eines Umdenkens. Dann haben auch andere Mut gefasst - die Gewerkschaften usw. - und der Beginn der Überwindung der Diktatur wurde in Gang gesetzt. Ich glaube, man kann wirklich sagen, dass nicht nur in Brasilien, auch in Chile, Uruguay, Paraguay die gewaltfreie Bewegung geholfen hat - einen Beitrag geleistet hat - und das ist eine große Freude."

Auszug aus einem Interview mit Hildegard Goss-Mayer am 10. November 2017. Video dazu unter http://www.versoehnungsbund.at/hildegard-goss-mayr-videoclips/

Philippinen 1984-1986

1972 erklärte Ferdinand Marcos nach seiner zweiten Amtszeit unter dem Vorwand von sozialen Unruhen den Ausnahmezustand, da er für keine dritte Amtszeit kandidieren konnte. Seine Politik führte zu einer immensen Ungleichheit, in der eine extrem reiche Minderheit einer ausgebeuteten und verarmten Mehrheit gegenüber stand. 1983 wurde sein größter Widersacher, Benigno Simeon "Ninoy" Aquino, bei seiner Rückkehr aus dem Exil ermordet. Die spontan aufbrechenden gewaltfreien Demonstrationen drohten unter dem Druck des Regimes im Sand zu verlaufen.

1984 wurden Hildegard Goss-Mayr und ihr Mann, Jean Goss, von den Ordensleuten der Gemeinschaften von Charles Foucauld auf den Philippinen dringend gebeten, in dieser entscheidenden und dramatischen Situation Unterstützung zu leisten.

Hildegard und Jean reisten quer durch den Archipel und sprachen mit Oppositionspolitiker*innen, Gewerkschafter*innen, Basisgemeinden, bäuerlichen Familien, Bischöfen, Intellektuellen und Ordensleuten. Sie hielten Seminare und Vorträge, u.a. auch an den Universitäten von Manila. In Schulungskursen entwickelten sie mit den Teilnehmer*innen Strategien für den gewaltfreien Befreiungskampf. Die in Gewaltfreiheit ausgebildeten Menschen - Laien, Priester, Ordensfrauen, Seminaristen -, konnten mithelfen, dass die Revolution "People Power", die von einem großen Teil der philippinischen Bevölkerung getragen wurde, gewaltfrei blieb.

Die Gruppen und Initiativen, die von Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss auf den Philippinen geschult wurden, entschieden sich bewusst und nach langem Ringen für Gewaltfreiheit. Putz Aquino, der jüngste Bruder der späteren Präsidentin Corazon Aquino, vertraute Hildegard und Jean an: "Die Linke hat unserer Oppositionsgruppe Waffen angeboten, um den entscheidenden Kampf gegen das Regime zu führen. Die gewaltfreien Demonstrationen, so sagen sie, könnten den Sieg nie erringen. Wir müssen eine Antwort geben. Das raubt mir den Schlaf. Habe ich als Christ das Recht, das Volk in einen Bürgerkrieg zu führen, oder gibt es doch einen gewaltfreien Weg?"

Jean und Hildegard versprachen Unterstützung im Falle einer Entscheidung für den gewaltfreien Weg. Hildegard beschreibt ihre Rolle folgendermaßen: "Nach Europa zurückgekehrt, legten wir diese schwerwiegenden Entscheidungen, die von uns eine große Verantwortung verlangten, in Gottes Hand. Er würde uns durch die Schritte unserer philippinischen Freunde erkennen lassen, ob die Zeit reif ist, unsere Erfahrungen und Einsichten, die er uns geschenkt hat, zur Überwindung einer der härtesten und habgierigsten Diktaturen Asiens einzusetzen. Wir kannten sehr wohl unsere Grenzen und Schwächen und waren uns bewusst, dass wir nichts anderes als "Hebammen" für die von Gott in den Menschen angelegte Kraft der befreienden, "revolutionären" Liebe sein können.

Quelle: Hildegard Goss-Mayr: Wie Feinde Freunde werden. Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung; LIT-Verlag, 2. Auflage 2020.

Quelle: Internationaler Versöhnungsbund - Österreichischer Zweig - Pressemappe vom 16.01.2020 zum 90. Geburtstag von Hildegard Goss-Mayr.

Veröffentlicht am

21. Januar 2020

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