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Die lange Liste westlicher Kriegsverbrechen in Afghanistan

Von Emran Feroz

Die australische Polizeibehörde ermittelt aktuell gegen ihre eigenen Soldaten. Konkret geht es um Kriegsverbrechen in Afghanistan. Dies ist begrüßenswert, doch auch ziemlich spät. Seit Beginn des "War on Terror" haben sich westliche Soldaten an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt. Vieles davon liegt allerdings weiterhin im Dunkeln. Die Aufarbeitung wird wohl Jahre, womöglich sogar Jahrzehnte dauern.

Das Dorf Darwan liegt in der südafghanischen Provinz Uruzgan. Abgelegen, arm und von Krieg und Zerstörung heimgesucht. Im September 2012 wurde Darwan von der australischen Spezialeinheit SAS und ihren afghanischen Verbündeten überfallen. Helikopter erschienen am Himmel, Soldaten sprangen ab und hinterließen im Dorf ein blutiges Chaos. Insgesamt wurden drei Männer getötet. Wie gewohnt, hieß es, dass man auf Terroristenjagd sei und Mitglieder der Taliban suche. Ein Mann aus dem Dorf soll drei australische Soldaten getötet haben. Doch bei allen drei Opfern handelte es sich um Zivilisten, wie eine ausführliche Recherche des australischen Senders ABC im vergangenen Jahr deutlich machte. Nachdem die drei Männer auf brutalste Art und Weise getötet wurden, entführten die Soldaten weitere Personen. In den darauffolgenden Tagen wurden diese in einer NATO-Militärbasis in der Provinzhauptstadt Tarinkot verhört und gefoltert.

Seitdem über die Kriegsverbrechen berichtet wurde, scheinen die australischen Behörden den Fall ernst zu nehmen. Dies nahm teils extrem problematische Züge an. Im vergangenen Juni wurden die Büros von ABC von der Polizei durchsucht. Dabei wurden zahlreiche Datenträger, die mit der Afghanistan-Recherche zu tun hatten, beschlagnahmt. Das Massaker in Darwan war nämlich nicht das einzige Verbrechen, das mit australischen Elitesoldaten in Zusammenhang gebracht und von ABC aufgedeckt wurde. 2017 veröffentlichte der Sender Leaks aus dem Verteidigungsministerium, aus denen hervorging, dass Soldaten auch in anderen Teilen Afghanistans während ihres Einsatzes Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet haben. Von der australischen Öffentlichkeit wurde die Razzia der Polizei als Skandal und als Angriff auf die Pressefreiheit aufgenommen.

Vor Kurzem berichtete der Sender, dass die australische Bundespolizei erstmals Ermittler nach Afghanistan geschickt hat, um dort Vorwürfen in Sachen Kriegsverbrechen nachzugehen. Auch ABC betont in diesem Kontext, dass die Behörden den Recherchen des Senders Gewicht beimessen. Ansonsten wäre es - trotz der Razzia vor einigen Monaten - wohl nicht zu solch einem Schritt gekommen. Vor Ort sollen die Australier von afghanischen Ermittlern unterstützt werden, um Interviews mit Dorfbewohnern, Opfern sowie deren Angehörigen führen zu können. Welche Fälle genau untersucht werden, ist nicht bekannt. Natürlich kann man einer solchen Untersuchung auch von Anfang an skeptisch gegenüberstehen. Wer weiß schon, ob die australische Polizeibehörde letztendlich nicht zu Gunsten der Täter recherchiert und die Ergebnisse der Journalisten verwirft? Immerhin wurde das Dorf damals von Australiern und Afghanen - sprich: Soldaten der Kabuler Regierung - angegriffen. Niemand kann garantieren, dass sich nun Akteure, die sich im Afghanistan-Krieg ganz klar positionieren und weiterhin einen "Krieg gegen Terrorismus" propagieren, während sie selbst Terror verbreiten, nicht selbst reinwaschen möchten.

Dennoch sollte an dieser Stelle gesagt werden, dass ein Schritt in diese Richtung vorerst begrüßt werden muss und womöglich als Vorbild für andere Staaten, deren Soldaten Kriegsverbrechen in Afghanistan begangen haben, dienen kann. Dabei könnten Medien potenziell eine federführende Rolle spielen, wie ABC gezeigt hat. Auch andere internationale "Mainstream-Medien" hätten die Mittel und die investigativen Teams, um derartige Verbrechen zu untersuchen. In diesem Zusammenhang sollte aber auch nicht die destruktive Schützenhilfe vergessen werden, mit der viele große Medien den "Krieg gegen den Terror" seit Jahren unterstützen und indirekt möglich machen.

Der Überfall auf Darwan ist kein Einzelfall

Zu den Kriegsverbrechen westlicher Truppen in Afghanistan lässt sich einiges sagen. Was in Darwan geschehen ist, ist alles andere als ein Einzelfall - und er wurde erst nach sechs Jahren aufgedeckt. Jeder, der das ländliche Afghanistan kennt, weiß, wie oft derartige Massaker, meist in einem viel größeren Ausmaß, stattgefunden haben. Immer wieder haben NATO-Soldaten Dörfer gestürmt und Menschen angegriffen. Sie haben laut zahlreichen Berichten von Augenzeugen gefoltert, vergewaltigt und getötet - und am Ende hätten sie dann bombardiert, um ihre Spuren zu verwischen. Die Liste der Verbrechen ist lang, womöglich sogar zu lang. Nur ein Bruchteil dieser Verbrechen wurde bis jetzt aufgedeckt.

Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass die Täter von der "Natur" des Afghanistan-Krieges profitieren. Sie wissen, dass viele Tatorte kaum oder erst viel zu spät von Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten aufgesucht werden. Hinzu kommt, dass sie im Zweifel stets jegliche Schuld auf ihre afghanischen Verbündeten schieben können: "Wir haben nur das gemacht, was sie von uns wollten." Oder: "Wir haben uns nur auf deren Informationen verlassen", heißt es dann immer wieder.

All dies stellt natürlich auch ein Problem für jene Akteure dar, die den Krieg dokumentieren. Seit 2009 veröffentlicht die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) Berichte zu zivilen Opfern im Land. Sie findet auch sehr kritische Worte für die US-Truppen und die afghanischen Verbündeten im Land. Erst vor wenigen Monaten machte UNAMA etwa deutlich, dass die meisten zivilen Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 auf das Konto von "regierungsfreundlichen" Truppen gehen. Luftangriffe und nächtliche Razzien wurden als besonders problematisch bewertet und würden meistens Zivilisten töten. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch betonen diesen Umstand immer wieder. Erst kürzlich wurde ein umfassender Bericht über die Verbrechen von CIA-Milizen im Land veröffentlicht. Auf diese Thematik wurde auch auf den NachDenkSeiten regelmäßig aufmerksam gemacht, zuletzt etwa in diesem Artikel.

Was für ein Ausmaß der "Krieg gegen den Terror" im Land aktuell erreicht hat, machen neue Zahlen deutlich. Laut dem Pentagon fanden allein im vergangenen September mindestens 1.113 Luftangriffe im Land statt. Dies bedeute, dass täglich rund 40 Angriffe durchgeführt würden.

Was das wiederum bedeutet, muss man sich vor Augen führen: Jeden Tag werden Dörfer wie das abgelegene Darwan bombardiert, und im Dezember waren es womöglich 40 Dörfer pro Tag. Die meisten Opfer sind Zivilisten, und das sollte mittlerweile wirklich jeder wissen. Wer sich diesbezüglich weiterhin wundert, warum aufständische Gruppierungen wie die Taliban stärker werden, ist ein Narr. "Das ganze Dorf ist nun in die Hände der Taliban gefallen und daran sind wir und die Amerikaner schuld", meinte kürzlich ein Regierungsbeamter im Gespräch mit mir. Er bezog sich auf eine nächtliche Razzia, bei der sieben Zivilisten von afghanischen und US-amerikanischen Soldaten getötet wurden.

Quelle:  NachDenkSeiten - 06.11.2019.

Veröffentlicht am

14. November 2019

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