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Wie Bewegungen durch Training Stärke aufbauen

Training für Bewegungen ist dem Training für Sportwettkämpfe nicht unähnlich: Schmerzen sind unvermeidlich und das Konditionieren von Geist, Körper und Herz macht Gewinnen möglich.

Von George Lakey

Es ist kein Zufall, dass viele Führer des Student Nonviolent Coordinating Committee, SNCC, von der Sit-in-Kampagne in Nashville, Tennessee, herkommen und dass viele der jungen Leute vom SNCC zu Schrittmachern in der Bürgerrechtsbewegung wurden. Auch jetzt noch können wir einen Kurzfilm sehen, der diesen Prozess dokumentiert: Rev. James Lawsons Trainings-Workshops mit schwarzen Studenten, in denen er behutsam und schrittweise vorging.

Ein ähnlicher unbemerkter Trainingsprozess ging 1986 dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos’ auf den Philippinen voraus. Dieser Kampf schenkte uns einen neuen Terminus für gewaltfreien Kampf: "people power", Volksmacht, Macht von unten.

Auf den Philippinen hatte es jahrelang gewaltsame Unruhen gegeben, aber Marcos war es mit der Unterstützung durch die Vereinigten Staaten gelungen, sie einzudämmen. Allerdings konnte er die Kampagnen von gewaltfreier direkter Aktion nicht aufhalten und war schließlich gezwungen, in den für ihn sichern Hafen, die Vereinigten Staaten, zu fliehen.

Nicht dass Bewegungen ohne Trainings nicht gewinnen könnten! In der Datenbank Global Nonviolent Action Database werden Kampagnen direkter Aktion dokumentiert, die in einer Zeit stattfanden, in der ein Training, wie wir es kennen, noch nicht erfunden war. Doch auch damals schon entwickelten innovative Führer manchmal etwas Entsprechendes für den Fall, dass es ihre Bewegungen mit einem schwierigen Gegner zu tun bekommen würde.

Dafür ist Khan Abdul Ghaffar Khan ein gutes Beispiel. Er war ein Führer dort, wo heute Afghanistan und Pakistan sind, und wollte das pathanische Volk vom Britischen Empire befreien. Bei der Beobachtung von Gandhis "Experiment mit der Wahrheit" in der von ihm aus südlichen Region konnte er das Potenzial des gewaltfreien Kampfes erkennen, allerdings setzten sich die britischen Soldaten vehement gegen die indischen Hindus durch. Es war zu erwarten, dass die Briten gegen Muslime wie ihn noch gewaltsamer vorgehen würden. Schließlich gab es Abstufungen von Rassismus und Vorurteilen.

Also organisierte er für seine gewaltfreie Armee, die er Khudai Khidmatgar, Krieger Gottes, nannte, Marschübungen. Zwar war diese etwas anderes als das Rollenspiel, das Rev. Lawson später einsetzte, aber sie trugen wahrscheinlich dazu bei, Vertrauen und Solidarität der Krieger Gottes auf zweierlei Weise zu stärken: Erstens verhalf ihnen das anstrengende Marschieren dazu, ihre Fähigkeit, Widerstand gegen Gewalt zu leisten, zu stärken. Zweitens befähigte es sie dazu, ihre Einigkeit zu festigen und ihr Engagement für Gewaltfreiheit praktisch umzusetzen; das wiederum würde das Niveau der Gewalt, die gegen sie ausgeübt würde, vermindern, wenn es auch sicherlich den Einsatz von Gewalt nicht beseitigen würde.

Badshah Kahns Befürchtungen erwiesen sich als berechtigt. Ein britischer Journalist berichtete über stärkere Repressionen gegen die muslimischen Pathanen als gegen die Hindus: "Massenerschießungen und -henken". Trotzdem hielt die gewaltfreie Bewegung ihren Kurs bei und die Briten gaben nach. Später lobte Gandhi die Rolle, die die Pathanen dabei gespielt hatten, die Vertreter des mächtigsten Imperiums, das die Welt jemals gesehen hatte, aus dem Land zu treiben.

"People of color" (Nicht-Weiße) und die Entscheidung für den gewaltfreien Kampf

Diese Beispiele zeigen eine Funktion des Trainings: Es vermindert die Wirksamkeit der gewaltsamen Unterdrückung durch den Gegner.

In diesem Artikel beschränke ich mich absichtlich auf Kampagnen von "people of color". Die Global Nonviolent Action Database enthält Hunderte von Berichten darüber, wie "people of color" gewonnen haben. Ein Grund dafür, dass "people of color" sich so oft für eine gewaltfreie Konfrontation entscheiden, ist der, dass diese eine Gewinnchance bietet und dabei gleichzeitig den Aufwand an Gewalt des Gegners senkt - jedenfalls im Vergleich zu dem, was geschieht, wenn für den Widerstand Gewaltmittel eingesetzt werden.

Die Datenbank hat ein Suchfeld, auf dem erscheint, ob der Gegner Gewalt einsetzt, um zu versuchen, die Kampagne zu stoppen. Allerdings zeigt es das häufig an, auch wenn Gegner keine Gewalt einsetzen. Das Training hilft denen, die an der Kampagne teilnehmen, für den Fall der Fälle bereit zu sein: Ein Problem, das im Training angegangen wird, ist das Problem Furcht.

Viele Nicht-Weiße, die mit weißen Gegnern kämpfen, haben zuvor Erfahrungen mit der Gewalt von Seiten Weißer gemacht und das gibt ihnen guten Grund dafür, in ihrer Kampagne eine gewisse Furcht zu empfinden. Die Sit-in-Organisatoren der Bürgerrechtsbewegung mussten das berücksichtigen.

Danny Glovers ausgezeichneter Film Freedom Song zeigt bildlich, wie das Training von SNCC wirkte, um die jungen Leute darauf vorzuzubereiten, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit der Gewalt der Gegner ausgesetzt sein würden. Sie wurden in der Zuversicht trainiert, sie würden gewinnen, und in der Fähigkeit, mit Schmerzen umzugehen, die ihnen während des Kampfes zugefügt werden könnten. Das ist dem Training für einen Sportwettkampf durchaus nicht unähnlich: Schmerzen sind unvermeidlich und das Konditionieren von Geist, Körper und Herz macht Gewinnen möglich.

Vor vielen Jahren, als mein Sohn 12 Jahre alt war, bekam ich zu meiner Überraschung bei einer Straßenbahnfahrt im Zentrum von Philadelphia einen persönlichen Eindruck davon. Ich begann mit dem Mann, der neben mir saß, eine Unterhaltung. Er wandte sich an meinen schwarzen Sohn und sagte: "Weißt du, als ich so alt war wie du, tat ich das Beste, was ich in meinem ganzen Leben jemals getan habe!"

Peter ging sofort darauf ein und sah den Mann aufmerksam an.

Der fuhr fort: "Ich bin aus Birmingham und ich war mit beim Kindermarsch von Dr. King! Das war wirklich große Scheiße, Mann. Eines Tages kamen gemeinsam mit der Polizei Feuerwehrleute, richteten ihre Feuerwehrschläuche auf uns und schossen mit Wasser, um den Marsch aufzuhalten."

Der Mann kicherte, als er sah, dass Peter den Atem anhielt.

"Ja, sie haben mich erwischt. Der Wasserstrahl riss mich von den Füßen. Sowas hast du noch nicht gesehn. Wir wurden alle umgehauen. Gut, die Schläuche erwischten nicht jeden - die stehen geblieben waren, sangen ‘Ain’t gonna let nobody turn us around!’. Aber einige von uns waren verletzt und die meisten von uns waren völlig durchnässt. Weißt du was? Am nächsten Tag kamen wir wieder - wir waren sogar noch mehr Kinder und auch einige Erwachsene waren dabei."

Peter sah mich an, um zu sehen, ob er dieser fantastischen Erzählung Glauben schenken könne. Ich nickte und mir war klar, dass wir einer der dramatischten Geschichten der Bürgerrechtsbewegung zuhörten.

"Wurden Sie verletzt?", fragte Peter.

"Na, nur ein paar blaue Flecke", sagte der Mann. "Wir kamen einfach am nächsten Tag wieder, aber nun wussten wir ja, was los war, und einige unserer Eltern sagten Nein, aber wir gingen trotzdem. Weißt du, wir gingen die Straße lang und sangen das Lied, das davon handelt, dass wir uns nicht unterkriegen lassen."

"Haben Sie irgendein Training gehabt, bevor Sie an diesem Tag auf den Marsch gingen?", fragte ich den Mann.

"Ja, wir mussten. Wir trafen uns erst an der Baptistenkirche und Jim Bevel und andere Erwachsene trainierten uns darin, gewaltfrei zu bleiben, egal, was passiert - Polizeihunde oder sonstwas."

Er lächelte stolz. "Wir waren tapfer, Mann, und ich werde mich immer an diese Lieder erinnern. Verdammt, wir haben diese Schlacht gewonnen!"

Der Mann blickte auf und sah, dass seine Haltestelle kam, er sprang auf, lächelte meinem Sohn zu und winkte uns, als er aus der Straßenbahn stieg.

Ich erzählte Peter die Geschichte zu Ende: Die jungen Leute gewannen 1963 diese besondere Schlacht der Birmingham-Kampagne weil der Tag kam, an dem Polizeikommissar "Bull" Connor den Feuerwehrleuten befahl, die Schläuche aufzudrehen - und die Männer verweigerten den Gehorsam.

Die weiße Wirtschaftselite begann mit der Führung der Kampagne zu verhandeln und sie zwang die Politiker zu einer Vereinbarung. Birmingham, Alabama, im Herzen der Konföderation begann die Rassentrennung aufzuheben.

Ein neuer Typ von Trainings-Workshop für den gegenwärtigen politischen Zeitpunkt

Der Kampf für Gerechtigkeit hat es in vielen Ländern mit kritischen politischen Situationen zu tun, die zusätzliche Fertigkeiten verlangen - nicht nur ein taktisches Training, von dem bisher die Rede war. Für diese Kämpfe ist auch ein Training in Organisation notwendig. Dort wird gelehrt, wie man effektive, unterschiedliche Gruppen mit vielen Führern und Netzwerke und Koalitionen aufbaut, die mit der Zeit größer werden. In Gesellschaften, die sich polarisieren wie die Vereinigten Staaten und Britannien, sind diese Fertigkeiten besonders nützlich, weil Bewegungen mit ihrer Hilfe schnell wachsen können. Eine Quelle der Organisation auf diesem Gebiet ist die "Grassroots and Nonprofit Leadership: A Guide to Organizations in Changing Times" , die ich gemeinsam mit Berit Lakey und anderen gegründet habe.

Außer Organisationsfähigkeit und taktischer Stärke brauchen wir die Fähigkeit, Strategien für Kampagnen der direkten Aktion zu entwickeln. Schließlich haben Bewegungen im Allgemeinen dadurch Erfolg, dass sie Kampagnen-Technik einsetzen, um zu gewinnen. Die Global Nonviolent Action Database gründet sich ebenso auf Kampagnen wie auf Bücher wie This Is an Uprising von Mark Engler und Paul Engler und Why Civil Resistance Works von Erica Chenoweth und Maria J. Stephan.

Viele im Übrigen gut informierte Leute, die an Protesten teilnehmen, haben jedoch keine Ahnung davon, dass es so etwas wie eine Kampagnen-Technik der direkten Aktion überhaupt gibt. Sie wissen nicht, dass Gewinnen davon abhängt, dass man diese Technik gut versteht und gut anwendet. Das bedeutet, dass große Energie- und Talentreserven nicht voll genutzt werden.

Als mir das klar wurde, erfand ich ein neues Kurztraining, in dem die Teilnehmer in die Kampagnen-Technik eingeführt werden. Ich habe es an beiden Küsten und im Mittelwesten der USA 15mal mit Leuten ausprobiert, die für die folgenden Themen aktiv waren: Rassen- und Wirtschaftsgerechtigkeit, Klima, Rechte von Einwanderern, bezahlbare Wohnungen, Rechte der Ureinwohner, Gesundheitsfürsorge und für noch andere Themen.

Teilnehmer berichteten über größere Klarheit und darüber, dass ihre Fähigkeit zunahm, Möglichkeiten für einen Wandel zum Besseren zu sehen. Sie wussten besonders den leicht im Gedächtnis zu behaltenden Rahmen zu schätzen, in dem formuliert wurde, wie eine erfolgreiche Kampagne aussieht, und der das Aufstellen von Strategien ermöglicht. Einige fanden, dass der Workshop bei ihnen bewirkte, dass sie mit ihrer eigenen Stärke und ihrer Macht besser in Berührung kamen.

Ich habe beschlossen, das Trainingsprogramm an Menschen weiterzugeben, die dazu beitragen können, dass es weiterverbreitet wird. Zwei Bildungszentren: Pendle Hill (in der Nähe von Philadelphia) und das Resource Center for Nonviolence (in Santa Cruz, Kalifornien) finanzieren jetzt Workshops, in denen schon erfahrene Moderatoren weiter ausgebildet werden, um das von mir erdachte Training zu leiten.

Erfolgreiche Bewegungen lernen dazu

Soweit ich nach den sechs Jahrzehnten sagen kann, in denen ich Bewegungen untersucht und an ihnen teilgenommen habe, zeichnen sich die erfolgreichsten Bewegungen dadurch aus, dass ihre Teilnehmer aus ihren Erfahrungen lernen. In den Bewegungen, deren Teilnehmer gestärkt werden sollen, werden oft Möglichkeiten gefunden, wie die Lernkurve der "Truppen vor Ort" verbessert werden kann.

In den 1930er Jahren gehörte das Brookwood Labor College zu den Trainingsressourcen in den Vereinigten Staaten. Das Highlander Research and Education Center entstand um diese Zeit und dauert bis heute an. In den 60er Jahren tauchten neue auf, darunter die Martin Luther King School for Social Change, wo ich einst lehrte. Jetzt gibt es noch mehr, darunter Momentum, Wildfire and Training for Change. In einer Zeit, in der uns sogar die Medien der Bewegungen mit schlechten Nachrichten füttern, ist es besonders wichtig, dass wir daran denken, unsere Belastbarkeit zu stärken und immer weiter dazuzulernen.

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

George Lakey (geb. 1937) beteiligt sich seit sechs Jahrzehnten aktiv an Kampagnen der direkten Aktion. Vor Kurzem wurde er vom Swarthmore College emeritiert. Er leitete 1.500 Workshops auf fünf Kontinenten und Aktivisten-Projekte auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene, erst kürzlich mit dem Earth Quaker Action Team. Er ist Autor einiger Bücher und Artikel und des Beitrags "Strategizing for a Living Revolution" in David Solnits Globalize Liberation (City Lights, 2004). 2016 erschien sein Buch Viking Economics und im Dezember 2018 gab das Melville House sein Buch How We Win: A Guide to Nonviolent Direct Action Campaigning heraus.

Quelle: Waging Nonviolence . Originalartikel: How movements build strength through training . Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich.

Veröffentlicht am

02. November 2019

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