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Die Zerstörung der nuklearen Rüstungskontrolle

Nach dem "Aus" für den INF-Vetrag - Jetzt ein Angriff auf den CTBT?

Von Otfried Nassauer

Der 29. Mai 2019 könnte den Anfang vom Ende des Vertrages über ein vollständiges Verbot nuklearer Tests (CTBT-Comprehensive Test Ban Treaty) markieren. An diesem Tag hielt der Chef des militärischen Geheimdienstes der USA (DIA), Generalleutnant Robert P. Ashley, eine Rede bei einem konservativen rüstungskontrollkritischen Think Tank in den USA, dem Hudson Institute. Die Transkription seiner Rede enthält bemerkenswerte Sätze: "Russia’s development of these new warhead designs and overall stockpile management has been enhanced by its approach to nuclear testing. United States believes that Russia probably is not adhering to the nuclear testing moratorium in a manner consistent with the zero-yield standard. Our understanding of nuclear weapon development leads us to believe Russia’s testing activities would help it improve its nuclear weapon capabilities. The United States, by contrast, has forgone such benefits by upholding a zero-yield standard." Auf Nachfragen relativierte Ashley den Vorwurf etwas: Die DIA glaube, dass Russland über die Fähigkeit zu solchen Versuchen verfüge.

Robert Ashley’s indirekter Vorwurf: Russland verletzt seine Verpflichtungen aus dem CTBT-Vertrag, um sein Atomwaffenarsenal zu modernisieren. Es fühle sich im Gegensatz zu den USA nicht dazu verpflichtet, gänzlich auf nukleare Versuche zu verzichten, bei denen Sprengkraft durch Nuklearmaterial freigesetzt werde. Seine unausgesprochene Schlussfolgerung: Die USA sollten Russland zur Vertragstreue auffordern und falls dies nicht zum Erfolg führt, sich ebenfalls nicht mehr an diesen Vertrag gebunden fühlen.

Der CTBT wurde 1996 ausgehandelt, ist aber bis heute nicht in Kraft getreten.Von den 196 Staaten der Erde haben derzeit 184 den Vertrag unterzeichnet und 168 haben ihn auch ratifiziert. 12 Es fehlen noch 12 Unterschriften und 28 Ratifzierungsurkunden. Damit der CTBT in Kraft treten kann, müssen ihn die in Anhang 2 des Vertrages namentlich genannten 44 Staaten mit einem zivilen und/oder militärischen Nuklearprogramm unterschrieben und ratifiziert haben. Drei dieser Staaten haben ihn noch nicht unterschrieben (Nordkorea, Indien und Pakistan), acht noch nicht ratifiziert (Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und die USA). Der jeweils aktuelle Stand kann auf der Internetseite der CTBTO eingesehen werden: https://www.ctbto.org/the-treaty/status-of-signature-and-ratification/ .
Saudi-Arabien hat den Vertrag weder unterzeichnet noch ratifiziert. Das Land gehörte 1996 nicht zu den Anhang-2-Ländern, da es 1996 noch nicht über ein Nuklearprogramm verfügte. In diesem Kontext muss es verwundern, dass die USA ihre sonst sehr strikten Nichtverbreitungspraxis im Blick auf Saudi-Arabien derzeit aufweichen und die Trump-Administration sich für den Verkauf erster nuklearrelevanter Technologien an Saudi-Arabien mit einem unverbindlichen Übereinkommen zufrieden geben will, statt wie üblich, ein verbindliches sogenanntes 1-2-3-Abkomen zur Voraussetzung solcher Geschäfte zu machen. Siehe dazu den Vortrag von Assistant Secretary for International Security and Nonproliferation Christopher Ford im Februar 2019 beim Hudson-Institute. Ford nutzt dort ein altbekanntes Argument aus der Debatte über Rüstungsexporte: "Wenn wir nicht liefern, tun es andere." 
Russland hat den Vertrag unterzeichnet und ratifiziert, die USA haben ihn ebenfalls unterzeichnet, die Ratifizierung scheiterte 1999 aber an den Republikanern im US-Kongress. Ein erneuter Versuch, den Vertrag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit durch den US-Senat zu bringen, fand danach nicht mehr statt. China hat den Vertrag ebenfalls unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Fast alle Länder, die über Nuklearwaffen verfügen, haben aber seit 1998/99 auf Nuklearwaffentests verzichtet. Die einzige Ausnahme ist Nordkorea. Die anderen Nuklearwaffenstaaten praktizieren also ein Moratorium und verhalten sich so als sei der Vertrag verbindlich - unabhängig davon, ob sie dem Vertrag beigetreten sind oder nicht.

Ashley’s warf Russland nicht vor, die klassischen Atomtests wieder aufnehmen zu wollen. Sein Vorwurf ist spezieller und trickreich: Russland führe Versuche durch, die nicht dem "Null-Sprengkraft-Standard" entsprächen, also Versuche mit einer äußerst niedrigen nuklearen Sprengkraft - so seine Beschreibung. Gemeint sind damit Versuche, bei denen nur wenige Gramm, Pfund oder Kilogramm nuklearer Sprengwirkung entstehen. Solche Explosionen sind in der Regel mit seismischen Instrumenten kaum zu entdecken und können von erlaubten kleinen konventionellen Explosionen auch meist nicht unterschieden werden.Insofern ähnelt Ashley’s Vorwurf Diskussionen im Jahr 2009, in denen Moskau in den USA vorgeworfen wurde, den CTBT so zu interpretieren als erlaube er hydronukleare Tests.

Die CTBTO, die internationale Organisation zur Überwachung des Teststoppabkommens, hat deshalb auch bislang keine verdächtigen Messungen gemeldet. Die Behauptung Ashley’s lässt sich also nicht durch Messungen belegen. Sind die Anschuldigungen also falsch? Auch dieser Schluss wäre voreilig, denn Ashley könnte sich auch auf andere Belege stützen, zum Beispiel auf einen Spion oder auf abgefangene elektronische Nachrichten - beides Quellen, die Washington kaum öffentlich preisgeben würde.

Hinzu kommt ein zweites Problem: Es ist fraglich, ob es eine verbindlich vereinbarte Definition des "Null -Sprengkraft-Standards" gibt, oder ob jede Nuklearmacht hier ihre eigene Interpretation verwenden kann. Klar ist nur, dass der CTBT-Vertrag auf eine genaue, technisch unterscheidende Definition verbotener und erlaubter Explosionen verzichtet hat. Die Nuklearmächte dürften bei der Erarbeitung des Vertrages kaum bereit gewesen sein, den nicht-nuklearen Staaten den für eine solche Definition nötigen tiefen Einblick in ihr nukleares Testwesen zu geben, sodass eine von allen akzeptierte Definition hätte ausgearbeitet werden können. Wenn es - wie immer wieder einmal behauptet wird - eine Verständigung auf eine solche Definition gegeben hat, dann müsste dies Eingang in eine zusätzliche, geheime Verständigung zwischen den (fünf traditionellen) Nuklearmächten gefunden haben. Da sie geheimer Natur sein dürfte, könnte die Öffentlichkeit kaum überprüfen, ob Russland sie verletzt hätte. Robert Ashley ging bei seinem Vortrag offenbar nicht davon aus, dass es eine solche Übereinkunft gebe. Er unterstellte Moskau lediglich, es fühle sich nicht an die US-Interpretation gebunden.

Die unsichere Faktenlage könnte deshalb zu einem wohlbekannten Phänomen führen. Die USA erheben eine Anschuldigung und fordern von Moskau Beweise, dass die Anschuldigung unzutreffend ist oder es das behauptete Ereignis nicht gab. Fortan wird dann vorrangig über die Glaubwürdigkeit der russischen Dementis diskutiert und nicht mehr über den Wahrheitsgehalt der Anschuldigung aus Washington. Der Anwurf gewinnt dank permanenter Wiederholung und gelegentlicher zusätzlich veröffentlichter Einzelheiten an scheinbarer Glaubwürdigkeit - so wie zuletzt im Fall des mittlerweile aufgekündigten INF-Vertrags.

Hier könnte sich ein Hinweis auf Motivlage für Ashley’s Anschuldigung verstecken. Sie soll mittelfristig als Begründung dafür dienen, dass Washington seine Unterschrift unter den CTBT wieder zurückzieht und so den Weg freimacht, um selbst wieder Atomwaffen testen zu können. Befürworter eines solchen Schritts gibt es in der Trump-Administration und unter jenen, die den CTBT seit jeher ablehnen, sicher in ausreichender Zahl. Die derzeitige US-Regierung plant selbst die Entwicklung und den Bau neuer atomarer Sprengköpfe und will sich nicht dauerhaft auf modernisierte leistungsgesteigerte Sprengköpfe aus Zeiten des Kalten Krieges beschränkt wissen.

Beunruhigend ist aber auch noch etwas anderes. Ashley’s Vorwürfe passen gut in ein Schema, das Donald Trump’s Sicherheitsberater, John Bolton, in der Vergangenheit wiederholt genutzt und instrumentalisiert hat, um Rüstungskontrollvereinbarungen auszuhebeln, die nach seiner Auffassung die Handlungsfreiheit der USA beschränken, vom Recht des Stärkeren Gebrauch zu machen. John Bolton ist bekannt dafür, jüngst die Aufkündigung des INF-Vertrages und des Atomabkommens mit dem Iran befürwortet und vorangetrieben zu haben. Unter Präsident George W. Bush unterstützte und betrieb er bereits die Aufkündigung des ABM-Vertrages. Bolton beteiligte sich aktiv an der Instrumentalisierung nicht abgestimmter und verifizierter Geheimdienst"erkenntnisse" über irakische Massenvernichtungswaffen, um den Irakkrieg 2003 zu legitimieren. Auch an der einseitigen Aufkündigung des unter US-Präsident Bill Clinton ausgehandelten Nuklearabkommens mit Nordkorea war Bolton bereits beteiligt. Bolton kann mit gutem Recht nachgesagt werden, dass er weit intensiver und häufiger an der Zerstörung von Rüstungskontrollvereinbarungen mitgewirkt hat als an deren Zustandekommen.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS.

Quelle: BITS - Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer.

Fußnoten

Veröffentlicht am

12. Juli 2019

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