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Michael Schmid: “Abschiebungen ins Kriegsland Afghanistan sind unverantwortlich und menschenverachtend!”

Redebeitrag bei Protestkundgebung gegen Afghanistan-Abschiebungen am 5. Juni 2019 in Gammertingen

"Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V."  hat am 5. Juni 2019 die 11. Protestkundgebung gegen Abschiebungen nach Afghanistan in Gammertingen (Landkreis Sigmaringen) organisiert. Nachfolgend dokumentieren wir Ausschnitte einer bei dieser Veranstaltung von Michael Schmid gehaltenen Rede. 

Von Michael Schmid

Seit Jahrzehnten schlagen Kriege, Unterdrückung und Terror in Afghanistan immer neue Wunden - gesellschaftliche, aber auch seelische. Und da niemand dafür die Verantwortung übernimmt, kann es nicht verwundern, dass so die Gewalt überall im Land stetig zunimmt.

Laut UNO hat die Zahl ziviler Opfer in Afghanistan 2018 einen neuen Höchststand seit Beginn ihrer systematischen Zählung UNO erreicht. Demzufolge kamen rund 3800 Zivilistinnen und Zivilisten bei Konflikten ums Leben und ca. 7200 seien verletzt worden. Fast ein Viertel der getöteten Zivilisten waren Kinder. Im Durchschnitt werden täglich landesweit mehr als zehn Zivilisten getötet und fast 20 verletzt.

Bei diesen Zahlangaben ist aber das Problem, dass es praktisch nicht möglich ist, absolute Zahlen zu Opfern zu erheben. Bei zivilen Kriegsopfern ist das besonders eklatant. Keine Kriegspartei will, dass ihr vorgeworfen wird, sie habe Zivilisten getötet. Auch Zeugen bringen sich in Gefahr, wenn sie Opfer melden und in vielen Gebieten gibt es schlicht keine "neutralen" Beobachter. Selbst bei Anschlägen in Kabul können oft nicht alle Opfer erfasst werden. Gerade bei Männern lässt sich auch kaum der Nachweis führen, dass Opfer tatsächlich Zivilisten waren.

Die Zahlen, die es gibt, kann man höchstens für Vergleiche nutzen. So gab es nach einer Zählung in Afghanistan letztes Jahr fast so viele Kriegstote wie in Jemen und Syrien zusammen. Und es werden immer mehr dokumentierte zivile Tote und Verletzte.

Dazu kommen die kriegsbedingt Traumatisierten, die niemand mehr zählen kann. Es ist auch bekannt, dass mehr Minen verlegt als geräumt und mehr Krankenhäuser zerstört als aufgebaut werden. Die militärischen Angriffe auf Schulen in Afghanistan haben sich laut dem Kinderhilfswerk UNICEF zwischen 2017 und 2018 verdreifacht. Demnach stieg die Zahl der Angriffe von 68 auf 192 in nur einem Jahr. Auch die Zahlen der Binnenvertriebenen nehmen immer weiter zu. Man weiß, dass es eine hohe Dunkelziffer Vertriebener gibt. Dazu kommen noch die Opfer von Menschenrechtsverbrechen der jeweils lokal herrschenden Machthaber und Milizen und die Opfer der kriegsbedingten humanitären Not (vgl. Friederike Stahlmann: Abgeschoben in Afghanistan. Interview, in: Magazin Der Schlepper Nr. 92/93, Frühjahr 2019).

Doch trotz katastrophaler Sicherheits- und Versorgungslage im Land forciert die Bundesregierung weiter Abschiebungen in das Kriegsland Afghanistan. So ist am 22. Mai 2019 Abschiebeflug Nr. 24 aus Deutschland mit 24 abgeschobenen Asylbewerbern an Bord in Kabul gelandet. Damit hast sich die Zahl der bisher mit solchen Sammelflügen deportierten Afghanen seit dem ersten Flug im Dezember 2016 auf insgesamt 589 erhöht.

Mit Abschiebungen nach Afghanistan wird den Betroffenen jegliche Perspektive genommen und es wird wissentlich ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit in Kauf genommen. Das ist unverantwortlich und menschenverachtend!

Deshalb fordern wir erneut die Einstellung aller Abschiebungen nach Afghanistan. Es muss endlich aufgehört werden mit diesen inhumanen und gefährlichen Abschiebungen.

Aber nicht nur die Bundesregierung ist Teil des Problems, sondern auch einzelne Bundesländer, indem sie mit Abschiebungen in ein kriegserschüttertes Land die harte Abschiebepraxis mittragen. Bekanntlich zieht Bayern den härtesten Abschiebekurs durch. So kamen fast 60 Prozent der 284 im Jahr 2018 nach Afghanistan Abgeschobenen aus Bayern. Aber danach folgt dann schon Baden-Württemberg auf einem unrühmlichen 2. Platz unter den Abschiebe-Bundesländern. Und ich finde es nach wie vor ungeheuerlich, dass dies unter einer grün-schwarzen Landesregierung geschieht, also mit einem grünen Ministerpräsidenten an der Spitze!

Wir fordern von der grün-schwarzen Landesregierung, sich endlich nicht mehr an diesen verantwortungslosen und unmenschlichen Abschiebungen zu beteiligen. Es muss endlich Schluss sein mit den Deportationen nach Afghanistan!

Wir konzentrieren uns mit unseren Kundgebungen auf Afghanistan. Aber zumindest darauf hinweisen möchte ich, dass ich das, was gerade an Gesetzesverschärfungen läuft, für skandalös halte. Ein "Hau-ab-Gesetz", wie die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL dies bezeichnet, bekannt als "Geordnetes-Rückkehr-Gesetz", soll noch diese Woche im Bundestag abgestimmt werden. Das Gesetz ist ein fundamentaler Angriff auf den Rechtsstaat. Es sieht systematische Inhaftierungen und existenzielle Einschnitte bei den Sozialleistungen und der Integration von Geflüchteten vor. Dazu nur ein kurzes Zitat einer Bundestagsabgeordneten (Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen). Sie schreibt auf Twitter: "Was diese Woche im Bundestag in Sachen Ausländer-, Zuwanderungs-, Abschieberecht abläuft, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Mit Gewalt soll ein Paket durchs Parlament gepeitscht werden, das dem Zusammenleben in Deutschland schweren Schaden zufügen wird."

Mehr dazu kann zum Beispiel auf unserer Website gelesen werden.

Ich möchte auch noch kurz auf die Asylverfahren eingehen, die ja zunächst vor möglichen Abschiebungen kommen. Wir mussten in den vergangenen Jahren erleben, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunehmend mehr Asylanträge von Schutzsuchenden ablehnt. Von diesen negativen Entscheidungen des BAMF und den politischen Vorgaben der Bundesregierung sind auch fast alle Afghanen betroffen, die in Gammertingen und Umgebung leben. So haben 16 von 17 der im Jahr 2016 in der damaligen Gammertinger Asylunterkunft lebenden Afghanen eine Ablehnung ihres Asylantrags erhalten.

Von diesen 16 haben sich 15 an uns als Lebenshaus mit der Bitte um Unterstützung gewandt, um gegen diese Ablehnungsbescheide des BAMF vorzugehen. Das bedeutet, dass dagegen geklagt werden kann. Diese Klagen wurden über die Rechtsanwälte Ullrich und Oskar Hahn eingereicht. Inzwischen haben von diesen 15 Klagen gegen die Ablehnungsbescheide sieben Verhandlungen am Verwaltungsgericht in Sigmaringen stattgefunden. Ich war bei allen bisherigen Verhandlungen am Verwaltungsgericht Sigmaringen dabei und ich muss sagen, dass ich überrascht bin, wie wohlwollend und intensiv alle Richterinnen und Richter nach Gründen gesucht haben, um möglichst ein positives Urteil sprechen zu können. Dabei müssen sie natürlich den politisch eng gesetzten Rahmen beachten. Von sieben Urteilen, die es bisher gibt, wurde in immerhin fünf die Ablehnungsbescheide des BAMF als fehlerhaft zurückgewiesen. Das bedeutet für diese fünf Personen, dass sie einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen haben. Darüber freuen wir uns sehr gemeinsam mit den Betroffenen. Das waren immerhin fünf von sieben. Das bedeutet, dass es leider auch die negativen Urteile gibt, die für die Betroffenen bedeuten, dass sie keinen festen Aufenthaltsstatus in Deutschland bekommen haben, sondern nur eine Duldung. Im Regelfall bedeutet das keine unmittelbare Abschiebung. Dennoch ist der weitere Aufenthalt in Deutschland für diese Menschen sehr unsicher. Und aus dem Grund, dass sie nicht irgendwann mit Zwang in das kriegserschütterte Afghanistan zurückgebracht werden, muss weiter für ein generelles Bleiberecht von Afghan*innen und einen Abschiebestopp gestritten werden. Unser weiteres Engagement ist also erforderlich.

Wir werden weitere Protestveranstaltungen organisieren. Eine nächste haben wir für den bundesweiten "Tag des Flüchtlings 2019" am 27. September geplant. Und ich rufe ausdrücklich weiter alle Menschen zum Protest gegen Sammelabschiebungen auf.

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

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Veröffentlicht am

07. Juni 2019

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