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Frankreich anerkennt zaghaft seine Atomschuld im Südpazifik

Zwischen 1966 und 1996 führte Frankreich im Südpazifik 193 Atomtests durch. Nun hat Paris seine Atomschuld schriftlich zugegeben.

Von Tobias Tscherrig

Das französische Parlament verabschiedete am 23. Mai die Reform eines Organisationsgesetzes , in dem die Bedingungen für die Autonomie von Französisch-Polynesien festgelegt sind. Im Reformtext wird erstmals ausdrücklich auf die insgesamt 193 Kernwaffen-Tests hingewiesen, die Frankreich zwischen 1966 und 1996 im Südpazifik durchführte.

Auch die strahlungsbedingten Krankheiten der polynesischen Bevölkerung sind Gegenstand des Textes. Damit schreibt sich Frankreich - wenn auch nur zaghaft - seine in Französisch-Polynesien hinterlassene Atomschuld ins Gesetz.

Krebserkrankungen in der Region

"Die Republik erkennt den Beitrag Französisch-Polynesiens zum Aufbau der nuklearen Abschreckungskapazität und zur Verteidigung der Nation an." Dieser verklausulierte Satz des Gesetzestextes ist geschichtsträchtig: Dreiundfünfzig Jahre nach dem ersten Kernwaffen-Test, den Frankreich auf das Mururoa-Atoll abfeuerte, und dreiundzwanzig Jahre nach der Explosion der letzten französischen Atombombe im Südpazifik folgt damit die zumindest einigermaßen klare Anerkennung der unliebsamen französischen Hinterlassenschaft. Bis heute ist das Atoll Mururoa , ehemals primäres Testgebiet Frankreichs im Südpazifik, Sperrgebiet. In rund 140 Bohrschächten lagern dort große Mengen radioaktiven Abfalls .

Ungeachtet internationaler Proteste und schwerer Unruhen auf Tahiti führte Frankreich noch 1995 eine Testserie auf Mururoa durch. Im Jahr 2000 zogen die Franzosen schließlich vom Atoll ab, der Schaden war aber angerichtet: Zahlreiche Krebserkrankungen in der Region werden mit den umstrittenen Tests in Verbindung gebracht.

Harzige Anerkennung, harzigere Wiedergutmachung

2010 richtete Frankreich per Gesetz einen Mechanismus für Entschädigungen ein, diese gehen Opferverbänden allerdings nicht weit genug. Zwischen 2010 und 2018 erhielten nur elf Prozent der dem Kompensationsausschuss für Opfer von Nukleartests ( CIVEN ) vorgelegten Fälle eine positive Antwort. Seit der Beseitigung des "vernachlässigbaren Risikos", einer opferfeindlichen rechtlichen Sperre, hat sich die Verarbeitungsrate der Dossiers zwar verbessert, ist aber immer noch unbefriedigend.

2016 reiste François Hollande nach Französisch-Polynesien und erkannte die Atomschuld von Frankreich zumindest mündlich an. Eine Entschuldigung sprach er nicht aus.

Im Oktober 2018 handelte eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Südpazifikraum. Sie verklagten Frankreich respektive die ehemaligen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing und Jacques Chirac vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Erneut bewegt sich das offizielle Frankreich in kleinen Schritten: Im Reformtext, den die Senatoren und Abgeordneten am 23. Mai verabschiedet haben, wird auf die "Bedingungen für die Entschädigung von Personen, die an strahlungsbedingten Krankheiten leiden" hingewiesen. Außerdem verpflichtet sich Frankreich, die "wirtschaftliche und strukturelle Umstellung Französisch-Polynesiens nach Einstellung der Atomversuche" zu unterstützen.

Dieser Text sei das Ergebnis "semantischer Kompromisse, die durch den harten Kampf der polynesischen Parlamentarier erzielt wurden", analysiert das Online-Portal " mediapart.fr ". Die französische Regierung und die gewählten Vertreter der Mehrheit hätten bis zum letzten Moment mit den Vertretern Französisch-Polynesiens gekämpft, um den Umfang und den Inhalt des Textes zu schwächen sowie die Verständlichkeit der wichtigen Textpassagen zu verwässern.

"700-mal stärker als Hiroshima"

Die Erwähnung der Atomschuld in einem Text, der die Beziehungen zwischen Frankreich und Polynesien regelt, kann aber auch als Indiz für das wachsende Bewusstsein Frankreichs an der dramatischen Realität der 193 Kernwaffentests in Französisch-Polynesien gedeutet werden. So wies etwa die polynesische Abgeordnete Maïna Sage , die stark an der Ausarbeitung des Textes mitwirkte, mehrmals darauf hin, dass die 193 Explosionen unvergleichbar seien und die Atombomben-Explosion von Hiroshima um das 700-fache übertreffen würden.

Also sollte die Reform des Gesetzestextes zumindest teilweise dem Umfang der Tests entsprechen, die die französische Armee in den letzten dreißig Jahren auf See, unter Tage und in der Luft durchgeführt hat. Die französischen Abgeordneten sind sich sicher, dass sie dieses Ziel erreicht haben. Sie haben den Reformtext fast einstimmig angenommen.

Nur der unabhängige Politiker Moetaï Brotherson stimmte der Reform nicht zu. Er sagte im französischen Parlament, der Text werde das Leben der Opfer der Atomtests nicht verbessern; außerdem fehle darin der normative Umfang. Für Brotherson ist der Reformtext deshalb nur der Weg, mit dem sich Frankreich billig aus der Affäre ziehen will. Frankreich habe noch nie um Verzeihung gebeten und werde das wohl auch nie machen, sagte er im Parlament. Außerdem sei nicht berücksichtigt worden, dass Französisch-Polynesien und auch Neukaledonien in die Liste der zu dekolonisierenden Länder der Vereinten Nationen aufgenommen worden seien.

Symbolische Anerkennung, Verschlechterung für Opfer

Die symbolische Anerkennung der Atomschuld durch Frankreich bedeutet indes nicht, dass die Opfer der Tests rechtlich besser gestellt werden. Beinahe zeitgleich mit der Verabschiedung des Reformtextes gab das Verwaltungsgericht von Papeete, der Hauptstadt von Französisch-Polynesien, seinen Entscheid über insgesamt zwölf Entschädigungs-Forderungen bekannt. Die Bilanz ist ernüchternd, das Gericht lehnte zehn der Forderungen ab.

Als Grundlage für die negativen Entscheidungen gilt ein Finanzgesetz , das Ende 2018 geändert wurde. Das Gesetz verlangt nun vom Antragssteller den Nachweis, dass er einem bestimmten Strahlungsgrenzwert ausgesetzt war - eine massive Verschlechterung für die Opfer der französischen Kernwaffen-Tests.

Was sich aber ändern könnte, ist der Zugang zu den betroffenen Atollen. Einige der Informationen, zum Beispiel zu den Umweltauswirkungen, sind bis heute unter Verschluss. Seit Jahren fordern französisch-polynesische und viele weitere Experten den Zugang zu diesen von nuklearen Bränden und von der französischen Armee doppelt verschlossenen Orten. Im Reformtext wurde nun erstmals klar festgehalten: "Der Staat sorgt für die Erhaltung und Überwachung der betroffenen Standorte in den Atollen Mururoa und Fangataufa." Umweltaktivisten und Forscher hoffen jetzt darauf, dass ihnen endlich Zugang zu wichtigen Informationen gewährt wird.

Quelle: Infosperber.ch - 27.05.2019.

Veröffentlicht am

28. Mai 2019

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