Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Dr. Kings Auferstehung

Leben, Tod und Lehren Martin Luther Kings stehen im Mittelpunkt gewaltfreier Bewegungen, die in den letzten 50 Jahren große Fortschritte in Richtung Frieden und Gerechtigkeit gemacht haben.

Von John Dear

Im Laufe der letzten fünfzig Jahre hat es Tausende gewaltfreier Bewegungen für Frieden und Gerechtigkeit gegeben und sie haben große Fortschritte gemacht. Im Mittelpunkt aller dieser Bewegungen stehen Leben, Tod und Lehren von Rev. Dr. Martin Luther King, des globalen Apostels des Evangeliums der Gewaltfreiheit.

Aufgrund seiner legendären Arbeit in der Bürgerrechtsbewegung, seines Eintretens gegen systembedingte Armut, institutionalisierten Rassismus, ständigen Krieg und Kernwaffen und wegen seines unerschütterlichen Beharrens auf dem Evangelium der Gewaltfreiheit als des besten methodischen Werkzeugs für politischen Wandel und die Quintessenz menschlichen Anstands sind in der ganzen Welt gewaltfreie Bewegungen ins Leben getreten. Das heldenhafte Leben und der Leben spendende Tod Dr. Kings tragen in der ganzen Welt fantastische Früchte: Sie schaffen neue, noch nie da gewesene Durchbrüche für Gerechtigkeit und Frieden.

Doch das wissen nur wenige. Wenige verstehen es. Wenigen ist die globale Verpflichtung klar, die wir Martin Luther King gegenüber haben. Wenige sehen die verändernde Macht globaler, von unten nach oben wirkender Basis-Macht-von-Unten-Bewegungen der aktiven Gewaltfreiheit.

Jesus sagte vor langer Zeit: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht." (Joh.12,24) Offensichtlich ereignet sich sozialer Wandel zum Positiven auf diese Weise. Wenn Menschen in gewaltfreien Bewegungen ihr Leben für Gerechtigkeit und Frieden hingeben, wird der Geist der Gewaltfreiheit frei und er steckt an. Alles kann geschehen - sogar Frieden.

Von Jesus bis zu Dr. King tragen diejenigen, die ihr Leben im gewaltfreien Kampf für Gerechtigkeit, Abrüstung und Frieden hingeben - auch wenn sie anscheinend keinen Erfolg haben - im Laufe der Zeit reiche gute Frucht. Auf diese Weise ereignet sich gewaltfreier Wandel. Das ist die Lehre Martin Luther Kings. Das ist die Unternehmung, die zu unterstützen wir alle berufen sind. Das ist der Weg, der vor uns liegt.

Ich wuchs in den späten 1960er Jahren in Washington, D.C. auf. Mein Vater war einer der Leiter des National Press Club. Schon als Junge war ich sehr an Politik interessiert. Ich verstand das Übel des Vietnamkrieges und die Hoffnung der Bürgerrechtsbewegung. Als Dr. King und zwei Monate später Robert Kennedy getötet wurde, erkannte ich unmittelbar, dass sich die Welt zum Schlechteren verändert hatte, dass die herrschenden Mächte die besten Stimmen für Hoffnung und Wandel vernichtet hatten.

Von da an sah ich eine direkte Verbindung der Tötungen von MLK und RFK durch die USA zu Nixon, Vietnam, Reagan, die Kriege in Mittelamerika, den Bushs, den Kriegen im Irak und in Afghanistan und dem himmelschreienden Faschismus der Trump-Regierung und damit zu einer neuen kranken Welt ständigen Krieges, systembedingter Armut und Rassismus, Kernwaffen und Umweltzerstörung.

Seit Jahren denke ich über das Leben Dr. Kings und Bobby Kennedys nach. Damals war ich im College und ich dachte, die beste Reaktion auf ihre Ermordungen sei es, mein Leben Jesus zu übergeben, Priester und dann Friedensstifter zu werden, der in der Öffentlichkeit wirkte.

In den 1980er Jahren lebte ich eine Zeit lang in El Salvador. Ich arbeitete in einem Flüchtlingslager im Kriegsgebiet. Die Leitung hatten Jesuiten, die dann später ermordet wurden. In diesen schwierigen Zeiten sprachen die Menschen um mich herum im Flüsterton von Erzbischof Romero, als ob er noch am Leben wäre. Sie hatten eine lebhafte Auferstehungs-Theologie, die ihr unerschütterliches Engagement für Gerechtigkeit und Frieden inspirierte. Sie wussten, dass er in ihnen weiterlebte, und aufgrund seines Mutes taten sie den Mund auf.

Romero ist jetzt als Heiliger kanonisiert und man erkennt seine Kraft deutlich, aber damals war es sogar riskant, seinen Namen zu nennen.

Ich habe niemals gehört, dass irgendjemand auf diese Weise von Dr. King gesprochen hätte. Niemand spricht von der Auferstehung Martin Luther Kings. Im Unterschied zu den Leidenden in El Salvador haben wir keine Auferstehungs-Theologie. Wir verstehen noch nicht einmal, wie unsere Heiligen und Märtyrer auferstanden sind und uns weiterhin inspirieren, für eine neue Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit zu arbeiten. Aber genau auf diese Weise wirkt Auferstehung.

Martin lebt, er ist wohlauf und auferstanden und er inspiriert uns weiterhin dazu, Gewaltfreiheit zu praktizieren, uns für Gerechtigkeit und Frieden zu organisieren und unser Leben für Gottes Reich auf Erden hinzugeben.

Während der letzten vierzig Jahre engagiere ich mich hauptamtlich bei globalen, von unten nach oben wirkenden Basis-Macht-von-Unten-Bewegungen der Gewaltfreiheit, die von Dr. King inspiriert wurden. Dabei habe ich mich mit vielen Freunden und Kollegen Dr. Kings angefreundet: Coretta Scott King, Jim Lawson, Vincent Harding, John Lewis, Dorothy Cotton und Bernard Lafayette. Sie alle haben, ebenso wie Tausende anderer, Dr. Kings Arbeit des Lehrens und der Förderung aktiver Gewaltfreiheit weitergeführt. Gewaltfreiheit ist unsere einzige und letzte Hoffnung, unsere allerletzte Anstrengung, unser bester Weg aus dem Irrsinn, die beste Methode für sozialen Wandel zum Positiven, es ist der Weg des gewaltfreien Jesus.

Ich denke, die Zeit ist gekommen, dass wir Dr. Kings Auferstehung als die Macht hinter unserer aktiven, kreativen, organisierten Gewaltfreiheit in Anspruch nehmen, genauso, wie wir die Auferstehung des gewaltfreien Jesus als Grundlage für unser Leben in Anspruch nehmen.

Als der gewaltfreie Jesus von den Toten auferstand, blieb er freundlich, liebevoll, gewaltfrei und entschlossen wie eh und je. Er war weder bitter noch zornig, noch rach- oder vergeltungssüchtig. Er zürnte seinen Jüngern nicht, weil sie ihn verlassen hatten. Stattdessen segnete er sie mit der Gabe des Friedens, blies ihnen den Heiligen Geist ein und schickte sie aus, seine Mission der aktiven Gewaltfreiheit in die Kultur der Gewalt hinauszutragen.

In anderen Worten: Der auferstandene Jesus war die Verkörperung von Frieden und Gewaltfreiheit. Wenn ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass Auferstehung für uns bedeutet, dass wir nichts mehr mit dem Tod zu tun haben, und das bedeutet, dass wir nichts mit Gewalt zu tun haben, und das wiederum bedeutet: In der Auferstehung geht es ganz und gar um Gewaltfreiheit.

Wenn wir uns auf die Auferstehung vorbereiten und dem gewaltfreien Jesus folgen, praktizieren wir Auferstehung, indem wir uns bemühen, so gewaltfrei wie möglich zu sein - zu uns selbst, zu jedem Menschen, dem wir begegnen, zu jedem Geschöpf auf Erden, zu Mutter Erde - und dadurch, dass wir uns den lokalen bzw. globalen Basisbewegungen der Gewaltfreiheit für Gerechtigkeit und Frieden anschließen.

Am Abend, bevor die Regierung Dr. King tötete, gab er Tausenden in Memphis diese kurze Zusammenfassung seiner Lebensarbeit: "Wir haben nicht mehr die Wahl zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit, sondern nur noch zwischen Gewaltfreiheit und Nichtexistenz."

Da stehen wir heute: am Bruch der globalen Zerstörung mit fortwährendem Krieg und durch das System bedingter Armut und Rassismus, Kernwaffen und katastrophalem Klimawandel, einem Wirbelsturm der globalen Gewalt, die in jedem Winkel der Welt jeden Aspekt der Gesellschaft verseucht.

Dr. Kings wichtigste Botschaft war Weisheit und Wesen der Gewaltfreiheit. Täglich rief er uns leidenschaftlich dazu auf, zu Menschen der kreativen Gewaltfreiheit zu werden, die für eine neue gewaltfreie Welt ohne Krieg, Armut, Rassismus, Sexismus, Kernwaffen und Umweltzerstörung arbeiten, eine ganz neue Kultur der Gewaltfreiheit, die er als das Kommen des Reiches Gottes auf die Erde verstand. Er sagte, wir tun das auf alle Fälle, wir machen weiter, ganz gleich, was geschieht, und wir kämpfen für Gerechtigkeit und Frieden und geben niemals auf.

Vom Busboykott in Montgomery über die Freiheitsfahrten und die Birmingham-Kampagne bis zu seinem Marsch auf Washington und dem Marsch in Selma, durch das Organisieren von Projekten in Chicago und der Poor People’s Campaign und seine öffentliche Bloßstellung des Vietnamkrieges lebte, atmete, lehrte und gab Dr. King ein Beispiel für christliche Gewaltfreiheit.

Dr. King schrieb: "Gewaltfreiheit ist eine mächtige und gerechte Waffe, die schneidet, ohne zu verwunden, und die den, der sie anwendet, adelt. Sie ist das Schwert, das heilt."

Wenn wir Dr. King ernst nehmen wollen, schlage ich vor, dass wir damit beginnen, Gewaltfreiheit in unserem Leben und in unseren Gemeinden und Gemeinschaften zu lernen, zu lehren, zu praktizieren, zu organisieren und zu erneuern. Je mehr wir Gewaltfreiheit fördern und praktizieren, umso mehr ersteht Dr. King unter uns auf, ebenso wie Oscar Romero weiterhin in seinem Volk aufersteht.

"Ich fühle mich der Gewaltfreiheit vollkommen verpflichtet", sagte Dr. King etwa ein Jahr vor seinem Tod. "Ich werde einfach niemanden töten, weder in Vietnam noch hier. Ich werde kein Gebäude niederbrennen. Auch wenn der gewaltfreie Protest keinen Erfolg haben sollte, werde ich ihn weiter predigen und lehren. Ich will bei der Gewaltfreiheit bleiben, weil ich herausgefunden habe, dass sie eine Lebensphilosophie ist, die nicht nur meinen Kampf um Gerechtigkeit für alle Rassen, sondern auch meinen Umgang mit Menschen und mit mir selbst bestimmt. Ich werde der Gewaltfreiheit immer treu bleiben."

Wenn wir in diesen schwierigen Zeiten vorangehen, können wir Dr. King in uns auferstehen lassen, wenn wir das wagen, und wir können das Wagnis eingehen, uns der Situation gewachsen zu zeigen und Menschen der aktiven Gewaltfreiheit zu werden, die er sich erhofft hatte. Lasst uns damit beginnen.

Im letzten September organisierte Pace e Bene vom 15. bis 24. September 2018 unsere fünfte nationale Aktionswoche. Es gab 2650 Veranstaltungen, Märsche und Aktionen überall in den USA. Hunderttausend Menschen nahmen daran teil und sprachen sich für eine neue Kultur der Gewaltfreiheit aus. Wir haben versucht, Gewaltfreiheit in Aktion umzusetzen, um die Basisbewegungen in Gang zu bringen.

Der Höhepunkt war, dass wir uns in Washington, D.C. bei der Statue von Dr. King versammelten, am Lincoln Memorial vorbei zum Weißen Haus marschierten, um dort eine Mahnwache gegen Krieg, Rassismus, Gier, Kernwaffen und Umweltzerstörung abzuhalten. Zehn von uns begingen zivilen Ungehorsam, indem sie direkt an den Toren, wo Demonstrationen verboten sind, Schilder hochhielten. Es war gewagt, öffentlich, aufregend und sorgfältig gewaltfrei, denn wir gingen schweigend, betend und friedlich wie Gandhis Satyagrahis. Wir versuchten, uns der Herausforderung zu stellen und das Zeugnis Dr. Kings weiter in unsere turbulente Zeit zu tragen, komme, was da wolle.

Das ist nicht alles. Unsere Gruppe www.campaignnonviolence.org hat Städte im Land aufgerufen, "gewaltfreie Städte" zu werden. Dort sollten alle Aspekte der Zivilgesellschaft gewaltfrei sein, sodass die Menschen nicht hungern oder verarmen, die Kirchen Gewaltfreiheit predigen und die Stadträte und Bürgermeister für eine gewaltfreie Gesellschaft arbeiten. Wir denken, das bringt Dr. Kings Botschaft auf eine neue Ebene. Es ist nicht messbar, aber es geschieht und mit dieser stillen Basis-Organisation ersteht Dr. King auf und wir mit ihm.

Außerdem arbeiten ein paar Freunde und ich in den letzten Jahren mit dem Vatikan zusammen, um den Papst zu bitten, eine Enzyklika über Gewaltfreiheit zu herauszugeben. Während unserer historischen Konferenz über Gewaltfreiheit im April 2016 sprachen wir im Vatikan sowohl über Jesu Weg der Gewaltfreiheit als auch über die Notwendigkeit, dass die weltweite Kirche für Gewaltfreiheit eintrete. Nach der Konferenz schrieb Papst Franziskus einen Welttag der Friedensbotschaft aus und forderte gewaltfreie Alternativen zu Krieg und Gewalt. Es war die erste Stellungnahme für Gewaltfreiheit in der Kirchengeschichte. Was für ein hoffnungsvolles Zeichen!

Es gibt in der ganzen Welt viele Hoffnungszeichen, Zeichen der Auferstehung: die Black-Lives-Matter-Bewegung, die #Me-Too-Bewegung, die Pflugscharbewegung, den Widerstand vom "March for our Lives" der Schülerinnen und Schüler von Parkland gegen die Trump-Regierung, die Kampagne zur Abschaffung der Kernwaffen, Umweltbewegungen, die Bewegung gegen die Todesstrafe und so weiter. Besonders ermutigt mich, dass Christen zum ersten Mal seit den frühen Tagen der Kirche die Gewaltfreiheit Jesu wiederzuentdecken beginnen und sie zu einem zentralen Aspekt ihres Lebens machen.

Wie konnte Dr. King in der ihn umgebenden Finsternis weitermachen? Als er in den Wochen, bevor die US-Regierung ihn tötete, nach Memphis kam, gab er uns die Antwort. Eines Abends sagte er der Menge seine Definition von Hoffnung: "Hoffnung ist die endgültige Weigerung aufzugeben."

Das ist der Weg zur Auferstehung: der Weg nach vorn. Wir werden nicht aufgeben. Wir werden weiterhin Gewaltfreiheit praktizieren, gegen die Gewalt im System Widerstand leisten, in der Öffentlichkeit die Wahrheit sagen und Basisbewegungen für einen sozialen Wandel zum Positiven organisieren. Wenn wir das tun, ersteht Dr. King unter uns auf, ebenso Jesus und wir erfahren den Durchbruch des Reiches Gottes in unserer Mitte. Darauf hoffen wir!

Rev. John Dear verkörpert eine international bekannte Stimme des Friedens und der Gewaltfreiheit und ist Mitarbeiter von Campaign Nonviolence. Er ist Priester, Friedensstifter, Organisator, Dozent und Leiter von Einkehrtagen, außerdem Autor oder Herausgeber von 30 Büchern, darunter seine Autobiografie "A Persistent Peace". Siehe auch seine Website http://www.fatherjohndear.org

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Quelle: Waging Nonviolence . Originalartikel:  The resurrection of Dr. King . Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich.

Veröffentlicht am

29. März 2019

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