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Der Sudan erneut im Kampf gegen die Tyrannei

Der Brotaufstand wird zur Bewegung

Von Lou Marin

Seit dem 19. Dezember 2018 gibt es im Sudan eine systemkritische Massenbewegung gegen das islamistische Regime Omar Al-Baschirs, das seit 1989 an der Macht ist und dem Massenmorde in Darfur in den Neunzigerjahren zur Last gelegt werden. Die Bewegung war entstanden, weil an diesem Dezembertag vom Regime eine Verdreifachung des Brotpreises angeordnet wurde.

Es gibt eine anhaltende Wirtschaftskrise im Sudan. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind explodiert; die Währung, das sudanesische Pfund, ist zusammengebrochen; es gibt keinerlei Dollar-Devisen für Importe und die Inflation liegt selbst nach offiziellen Angaben bei 70%.Jean-Philippe Rémy: "Au Soudan, la rue s’en prend à Al-Bachir", in: Le Monde, 18. Januar 2019, S. 4.

Auf den Straßen der Hauptstadt Khartum haben sich in den letzten Wochen Dutzende von Massendemonstrationen und Streiks abgewechselt. Initiiert wurden die Widerstandsaktionen von der "Vereinigung sudanesischer Berufstätiger" - einem außerparlamentarischen Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppen sowie der Ärzt*innen- und Lehrer*innen-Gewerkschaften, die als Einzige nicht vom Regime korrumpiert oder infiltriert gelten. Inzwischen hat sich die Bewegung über informelle Kanäle, vor allem über Facebook und WhatsApp ausgebreitet. Das ist nicht einfach, weil das Regime das Internet überwacht oder auch zeitweise abschalten kann. Deshalb werden Informationen aber auch über die gute alte Methode der Flugblätter verbreitet, die massenhaft in Briefkästen verteilt wurden. Selbst die tendenziell autonome Region Darfur im Westen des Landes, die vom Regime in den Neunzigerjahren bekriegt worden ist, hat sich inzwischen dem Widerstand angeschlossen. Auf vielen Demonstrationen, so etwa der Afrika-Korrespondent der französischen Zeitung Le Monde, gibt es eine Stimmung, "in der Slogans, Lieder und Forderungen in Umlauf sind, die an den Arabischen Frühling von 2011 erinnern."Zit. nach Jean-Philippe Rémy, ebenda.

Zwar gab es eine Welle von Festnahmen von Darfur-Migrant*innen, die in Khartum zur Ausbildung sind oder studieren, doch die gegenwärtige Massenbewegung sendet ganz andere Signale in die Welt. So erschallen in Khartum von den Protestierenden etwa Slogans der Solidarität und des Zusammenhalts wie: "Das ganze Land ist Darfur!" Und auch diejenigen Gruppen aus Darfur, die bisher bewaffnet für die Unabhängigkeit Darfurs gekämpft haben, haben ihre Strategie geändert. So schreibt ein Journalist von Le Monde: "Im Gegensatz zu den pazifistischen Demonstrant*innen von heute weist Alamin Abdrhman den Lebenslauf eines ehemaligen Kämpfers einer bewaffneten Gruppe in Darfur auf, der Bewegung für Gerechtigkeit und Freiheit (JEM), deren Exil-Sprecher in Frankreich er ist. Er meint: ‚Wir haben über zwanzig Jahre hinweg mit Waffen gekämpft und nichts verändert. Heute sind wir an der Seite des Volkes’."Alamin Abdrhman, zit. nach: Christophe Châtelot: "La ‘révolution’ à distance des exilés soudanais à Paris", in: Le Monde, 20./21. Januar 2019, S. 4.

Die Sicherheitskräfte haben immer wieder bei Demonstrationen direkt in die Menge geschossen und es gibt nach Schätzungen inzwischen ca. 50 Tote, aber das flößte den Demonstrant*innen nicht so viel Angst ein, dass sie aufhörten. Mitte Januar haben zudem höhere Polizei- und Armeeoffiziere öffentlich erklärt, dass ihre Mannschaften nicht mehr in die Menge schießen werden. Eine undurchsichtige Rolle spielen ehemalige Kämpfer der Dschandschawid-Einheiten, denen mit ihren Pick-Ups Massenverbrechen und Morde im Darfur-Krieg vorgeworfen werden. Ihr Chef, Mohamed Hamdan Dagolo (Spitzname "Hemeti") hat seine Pick-ups im Umkreis von Khartum gesammelt, gleichzeitig aber Erklärungen abgegeben, nach denen er sich auf die Seite der Protestbewegung stelle.Jean-Philippe Rémy, a.a.O.

Eine lange Widerstandstradition, geprägt durch die gewaltfrei-libertäre Islaminterpretation von Mahmud Taha

Es gibt im unabhängigen Sudan eine lange Geschichte sich abwechselnder demokratisch-parlamentarischer Phasen mit äußerst korrupten, von Clans dominierten Parteien, abgelöst dann wieder von Militärputschen. Prägend für den Sudan war lange der ursprünglich linke Jungoffizier an-Numairi, der sich 1969 an die Macht putschte, jedoch in den Siebzigerjahren den Islamisten annäherte und schließlich selbst 1983 bis 1985 die Scharia und übelste öffentliche Körperstrafen praktizierte. Dagegen fand vom Januar bis April 1985 ein gewaltfrei-revolutionärer Volksaufstand statt, der dazu führte, dass an-Numeiri von einem in sich gespaltenen Militär abgesetzt wurde und die parlamentarische Demokratie wieder eingeführt wurde. Sie hielt allerdings nur von 1986 bis 1989, als General al-Baschir erneut in einer Kollaboration mit den Islamisten putschte.

Der Verlag Graswurzelrevolution hat 2018 zu dieser gewaltfrei-revolutionären Widerstandstradition in der Geschichte des Sudan den zweiten Teil des Buches Im Kampf gegen die TyranneiLou Marin: "Der gewaltfreie Aufstand gegen die islamistische Militärdiktatur im Sudan (1983-1985)", in: Guillaume Gamblin, Pierre Sommermeyer, Lou Marin (Hg.): Im Kampf gegen die Tyrannei. Gewaltfrei-revolutionäre Massenbewegungen in arabischen und islamischen Gesellschaften: der zivile Widerstand in Syrien 2011-2013 und die "Republikanischen Brüder" im Sudan 1983-1985, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018, S. 96-141. publiziert, in deren Mittelpunkt eine gewaltfrei-libertäre Interpretation des Koran durch den Befreiungstheologen Mahmud Taha (1909-1985) steht. Er wurde als "Ketzer" (im Islam: Apostat) am 18. Januar 1985 durch das damalige an-Numeiri-Regime hingerichtet, was den Volksaufstand auslöste. Seine Organisation hieß "Republikanische Brüder", in der auch viele Frauen, "Republikanische Schwestern", aktiv mitmischten. Tahas gewaltfrei-libertäre Philosophie war besonders in Sudans Norden und in Khartum sehr einflussreich und dürfte auch heute noch bekannt sein, obwohl die Organisation im weiteren Verlauf der Achtzigerjahre zusammengebrochen ist.

Für die anhaltende Bekanntheit sorgte die Tatsache, dass der 18. Januar 1985, der Tag der Hinrichtung Tahas, von der "Arabischen Organisation für Menschenrechte" (AOHR) und der afrikaweiten Zeitung Jeune Afrique zum "arabischen Menschenrechtstag" gekürt worden ist, der seither jedes Jahr begangen wird. Außerdem bekam Taha den Ehrennamen "afrikanischer Gandhi" verliehen.Lou Marin, ebenda, S. 135. Inwiefern Tahas Widerstandstheologie, die sich immer stark gegen den landeseigenen Islamismus richtete, auch Einfluss hat auf die gegenwärtige Protestbewegung, entzieht sich derzeit unserer Kenntnis. Viele Exil-Sudanes*innen, die in der Zeit der 30jährigen al-Baschir-Herrschaft nach Europa, in die BRD, nach England oder Frankreich geflüchtet sind, haben alle Hände voll damit zu tun, über elektronische Medien oder Internet Fotos und Videos von den Massendemonstrationen zu verbreiten. Denn sie sind sehr unzufrieden mit der mangelnden Berichterstattung in den europäischen Massenmedien. Sie übernehmen dabei einen Demoslogan aus den Straßen von Khartum: "Nicht die Kugeln töten uns, sondern das Schweigen."Christophe Châtelot a.a.O,

Quelle: graswurzelrevolution - 22. februar 2019.

Fußnoten

Veröffentlicht am

26. Februar 2019

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