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USA/Russland: Verschrottetes Vertrauen

Die Trump-Regierung will den INF-Vertrag kündigen. Eine neue atomare Aufrüstungsspirale droht

Von Andreas Zumach

Schon bald könnte die ohnehin instabile Welt noch unsicherer werden. An diesem Wochenende will die US-Regierung den seit Oktober 2018 angedrohten Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag vollziehen. In diesem militärisch und politisch wichtigsten Abkommen zur Kontrolle und Abrüstung atomarer Waffen hatten die Sowjetunion und die USA 1987 die vollständige Verschrottung und das Verbot landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern vereinbart.

Die Trump-Administration rechtfertigt ihren angedrohten Ausstieg mit der Behauptung, Russland habe mit der Entwicklung einer neuen Mittelstreckenrakete gegen den Vertrag verstoßen. Die Regierung Putin bestreitet den Verstoß. Anfang Dezember hatten die USA mit Unterstützung ihrer NATO-Verbündeten Moskau ultimativ aufgefordert, die angebliche Vertragsverletzung bis spätestens 2. Februar 2019 durch Vernichtung der inkriminierten Raketen zu beenden. Gespräche im NATO-Russland-Rat Ende vergangener Woche brachten keine Annäherung. Maßnahmen Russlands, die den Ausstieg der USA aus dem INF-Abkommen noch verhindern könnten, waren zuletzt nicht zu erwarten.

Ronald Reagan und Michail Gorbatschow hatten das INF-Abkommen am 7. Dezember 1987 unterzeichnet. Vorausgegangen waren jahrelange Proteste der Friedensbewegung zunächst in Westeuropa und den USA und dann auch in der DDR gegen "Geist, Logik und Politik" der atomaren Abschreckung und Aufrüstung.

Der auch als "doppelte Nulllösung" bezeichnete INF-Vertrag wurde bis zum 31. Mai 1991 von beiden Seiten fristgemäß umgesetzt. Bis dahin hatten die USA 844, die Sowjetunion 1.846 Raketen verschrottet.

Beide wittern Vertragsverstöße

Zur Überwachung des INF-Abkommens und seiner Umsetzung räumten sich Washington und Moskau gegenseitig weitreichende Inspektions- und Überprüfungsrechte ein. Das mit dem INF-Abkommen geschaffene Vertrauen zwischen Washington und Moskau ermöglichte nach Ende des Kalten Krieges neue Verträge zur Reduzierung der strategischen Atomwaffenarsenale (START) sowie einseitige Abrüstungsmaßnahmen: Beide Seiten zogen Tausende atomarer Artilleriegranaten und Kurzstreckenraketen mit Reichweiten bis zu 500 Kilometern aus West- und Osteuropa ab.

Die USA und ihre NATO-Verbündeten behaupten, Russland verstoße durch die Entwicklung einer neuen Mittelstreckenrakete vom Typ SSC-8 mit der angeblichen Reichweite von 2.600 Kilometern gegen den INF-Vertrag. Nach Darstellung Moskaus hat das neue Raketensystem jedoch nur eine Reichweite von maximal 480 Kilometern und falle daher nicht unter das INF-Verbot.

Die Regierung Putin wirft den USA und der NATO ihrerseits vor, mit der Stationierung von "Raketenabwehrsystemen" in Polen und Rumänien - die nach offizieller Darstellung nur gegen Bedrohungen aus dem Nahen Osten, nicht aber gegen Russland gerichtet sind - gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Denn die Startrampen für die Abwehrraketen seien auch für den Abschuss von Mittelstreckenraketen geeignet. Zudem verweist Moskau darauf, dass der US-Kongress auf Antrag der Trump-Regierung bereits für das Haushaltsjahr 2018 eine erste Tranche von 500 Millionen US-Dollar für die Entwicklung einer neuen Mittelstreckenrakete bewilligt hat.

Noch bleibt ein halbes Jahr

Was an den gegenseitigen Vorwürfen aus Washington und Moskau dran ist, lässt sich bislang nicht seriös beantworten. Zu diesem Zweck müssten die Inspektions-und Überprüfungsmechanismen wieder in Kraft gesetzt werden, die einst im INF-Vertrag vereinbart wurden. Dazu zeigen sich bislang aber weder Washington noch Moskau bereit. Um beide Seiten zu dieser vertrauensbildenden Maßnahme zu bewegen, bleibt noch mindestens ein halbes Jahr Zeit. Denn selbst wenn Trump an diesem Wochenende den Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag verkündet, würde der laut den Vertragsbestimmungen erst nach sechs Monaten endgültig.

Eine Aussicht auf die Wiederaufnahme der Inspektions- und Überprüfungsmechanismen des INF-Vertrages durch die USA und Russland besteht allerdings nur, wenn Deutschland, Frankreich, Großbritannien und andere europäische NATO-Staaten sich dafür sowohl in Washington wie in Moskau einsetzen würden. Mit ihrer Unterstützung des Ultimatums der Trump-Administration an Moskau beim NATO-Gipfel Anfang Dezember haben die Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten jedoch eine negative Eskalationsdynamik unterstützt. Bleiben sie dabei, ist nicht nur das Ende des INF-Vertrages besiegelt. Dann werden sich Washington und Moskau auch kaum noch auf ein Nachfolgeabkommen für den 2021 auslaufenden START-Vertrag verständigen.

In Europa droht dann ein Déjà-vu der 70er und 80er Jahre: ein neuer NATO-Doppelbeschluss wie weiland im Dezember 1979 und ein neues Wettrüsten mit atomaren Kurz- und Mittelstreckenwaffen sowie mit den von der Trump-Administration Anfang 2018 angekündigten "Mininukes", die die Schwelle zum tatsächlichen Einsatz atomarer Waffen laut Pentagon anheben sollen, tatsächlich aber absenken würden.

Andreas Zumach arbeitet als freier Journalist vom Sitz der UN in Genf aus und ist Buchautor (Globales Chaos - machtlose UNO)

Quelle: der FREITAG vom 01.02.2019. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags und von Andreas Zumach.

Veröffentlicht am

02. Februar 2019

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