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Fall Liebknecht/Luxemburg: Erschlagen, erschossen

Wie in einer Dokumentation des Süddeutschen Rundfunks ein Offizierskomplott rekonstruiert wurde

Von Lutz Herden

Es gibt Bilder, die man kaum so bald oder nie wieder los wird. Muss es sein, ihren Anblick auszuhalten, sich nicht loszureißen - von einer verwitterten Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahr 1919 zum Beispiel? Sie zeigt ein entstelltes Gesicht, hervorquellende blinde Augen, einen Nasenstumpf, ein Gebiss, das übermäßig groß wirkt, weil alles ringsherum verfallen ist, einen nackten weiblichen Oberkörper auf einer kaum erkennbaren Unterlage. Vermutlich liegt die Tote im Garnisonslazarett Zossen auf einem Seziertisch, an dem der Fotograf gestanden haben könnte, als die Ablichtung entstand.

Zum Truppenübungsplatz bei Berlin wird am 31. Mai 1919 ein teils schon verwester Leichnam gebracht, den am Morgen jenes Tages der Arbeiter Wilhelm Knepel an der Schleuse Untere Freiarchenbrücke im Landwehrkanal entdeckt hat. Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) wird umgehend informiert, da Grund zu der Annahme besteht, dass es sich um die seit der Nacht vom 15. zum 16. Januar 1919 verschwundene Rosa Luxemburg handelt, die bereits symbolisch in einem leeren Sarg neben Karl Liebknecht zu Grabe getragen wurde als Opfer eines bestialischen Verbrechens, begangen nach ihrer Deportation ins Eden-Hotel, seinerzeit Hauptquartier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) und Bollwerk der Restauration.

Bei der Obduktion in Zossen kann die Identität der Toten nicht eindeutig geklärt werden. So wird Luxemburgs Sekretärin und langjährige Vertraute Mathilde Jacob hinzugezogen. Die sieht die Tote - dazu Kleiderreste, Handschuhe, ein goldenes Medaillon - und weiß, wer da aus dem Wasser gezogen wurde.

Knapp zwei Jahre zuvor, am 2. Mai 1917, hat Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis in Wronke an Sonja Liebknecht, die Frau Karl Liebknechts, geschrieben, innerlich fühle sie sich "im Feld unter Hummeln und Gras" viel mehr in ihrer Heimat als auf einem Parteitag. "Ihnen kann ich ja wohl das alles ruhig sagen: Sie werden nicht gleich Verrat am Sozialismus wittern. Sie wissen, ich werde trotzdem hoffentlich auf dem Posten sterben: in einer Straßenschlacht oder im Zuchthaus." Auf dem Posten sterben, eine Vorahnung gewiss, doch dürfte sie kaum dem gegolten haben, was Rosa Luxemburg am Abend des 15. Januar 1919 angetan wurde.

Runge schlägt zu

Wer warum im Eden-Hotel den Mordbefehl gab, und was danach geschah, ist kaum je so minutiös rekonstruiert worden wie in der szenischen Dokumentation Der Fall Liebknecht / Luxemburg, die der Süddeutsche Rundfunk (SDR) 1969 zum 50. Jahrestag der Tat ausgestrahlt hat. Autor Dieter Ertel stützte sich auf jahrelange Recherchen, deren Ausbeute alles übertraf, was bis dahin an Auskünften zum Liebknecht-Luxemburg-Mord vorlag. Zusammen mit dem Faschismus-Forscher Joseph Wulf war er auf das verschwunden geglaubte Protokoll des Prozesses vor dem Feldgericht der GKSD gestoßen. Darin fand sich dokumentiert, wie zwischen dem 8. und 16. Mai 1919 so getan wurde, als säße man über die Mörder zu Gericht, tatsächlich aber eine Justizfarce stattfand, was allein dadurch zum Ausdruck kam, dass vor keinem Zivil-, sondern dem Kriegsgericht der GKSD verhandelt wurde. Täter urteilten über Täter.

Die Nachforschungen des SDR-Teams hatten ebenso zutage gefördert, was bis dahin nur Vermutung war, sich nie zweifelsfrei beweisen ließ: Hermann Souchon feuerte den tödlichen Schuss auf Rosa Luxemburg ab. Der Leutnant zur See zählte zu den monarchistischen Überzeugungstätern, die am Abend des 15. Januar 1919 zur Tat schritten und wussten, was sie der heraufziehenden Republik zumuten wollten. Ihr Kopf war Waldemar Pabst, Generalstabsoffizier und im Fall Liebknecht / Luxemburg Drahtzieher eines Offizierskomplotts, zu dessen Vollstrecker eine aus Kiel nach Berlin kommandierte Marine-Eskadron unter dem Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Hartung ausersehen war. Der stellt in einer Schlüsselszene des SDR-Dokumentarspiels seine Leute dem Hauptmann Pabst vor: "Leutnant zur See, Souchon, Oberleutnant zur See, von Ritgen, Leutnant zur See, Stiege, Leutnant zur See, Schulze, Oberleutnant Vogel, Verbindungsoffizier zur Wilmersdorfer Bürgermiliz." Daraufhin Pabst: "Meine Herrn, zur Sache. Sie haben gehört, dass sich die Spartakistenführer Liebknecht und Rosa Luxemburg in unserer Hand befinden … das Schicksal des Vaterlandes liegt in unserer Hand. Wenn diese beiden Bolschewiken hier an die Macht kommen, dann gnade uns Gott. Sie werden das Deutschland, für das wir vier Jahre lang gekämpft haben, zugrunde richten. Deshalb halte ich es als Soldat und als Patriot für meine Pflicht, Liebknecht und Rosa Luxemburg unschädlich zu machen. Ich habe mir Folgendes überlegt …"

Das Kommando Pflugk-Hartung soll Liebknecht auf der angeblichen Fahrt ins Untersuchungsgefängnis durch den Tiergarten chauffieren und dort "auf der Flucht" erschießen, wozu eine Autopanne vorgetäuscht und der Gefangene aufgefordert wird, zu Fuß weiterzugehen. Einer zweiten Gruppe unter Oberleutnant Vogel wird von Pabst befohlen, Rosa Luxemburg im offenen Fahrzeug vom Eden-Hotel abzutransportieren. Nach hundert Metern soll Leutnant Souchon, der sich dafür freiwillig gemeldet hat, aufspringen und die Gefangene erschießen. Im bereits vorformulierten Kommuniqué der Division steht der Satz: Aus einer erregten Menschenmenge heraus wurde geschossen. Danach, so Pabst, seien die beiden Toten als "unbekannte Spartakisten" in der Rettungsstelle Zoologischer Garten abzugeben.

Durchkreuzt wird dieser Ablauf durch einen gemeinen Soldaten, den Jäger Otto Runge, Posten am Hotelportal und von einem Offizier dazu angestachelt, "die Schweine" noch im Eden umzubringen. Da Runge wegen des Gedränges im Foyer nicht schießen kann, nimmt er den Gewehrkolben, um erst auf Liebknecht, dann Rosa Luxemburg einzuschlagen. Pabsts Kalkül kann davon nicht unberührt bleiben, die vor den Augen vieler Zeugen geführten Kolbenhiebe lassen es später wenig glaubhaft erscheinen, dass der verletzte Liebknecht im Tiergarten "einen Fluchtversuch" unternahm. Auch die Ermordung Rosa Luxemburgs verläuft anders als geplant. Von Runge noch schwerer misshandelt als Liebknecht, wird die Bewusstlose in das bereitstehende Fahrzeug geschleift, wo ihr Souchon in den Kopf schießt. Daraufhin fährt Transportführer Vogel nicht zur Rettungsstelle, sondern zum Lützowufer und lässt die mutmaßlich Tote in den Landwehrkanal werfen.

Worauf Ertels szenische Rekonstruktion neben Aktenmaterial noch zurückgreifen konnte, das waren Gespräche mit Tatbeteiligten Mitte der 1960er Jahre. Dreimal traf sich der Autor allein 1966 mit Waldemar Pabst, der erzählte, Rosa Luxemburg habe in ihrer letzten Stunde in einer Ecke seines Dienstzimmers gesessen und in Goethes Faust gelesen, obgleich sie - heißt es im beglaubigten Gedächtnisprotokoll des Treffens vom 28. Januar 1966 - "gewusst haben muss, dass ihr nichts Gutes bevorstand. In der Wartezeit sollten die Soldaten, die ‚Volksmenge’ spielen mussten, zusammengeholt werden".

Souchon klagt

Nach der Tat stand eine Art Schicksalsfrage im Raum: Wenn ein politischer Mord wie dieser durch die Gründungszeit der Republik geistert, was ist ihr damit aufgebürdet? Wird sie ihn sühnen oder darauf verzichten und daran schwer zu tragen haben, zu schwer? Die SDR-Dokumentation lässt keinen Zweifel, wie eine Militärjustiz der Pabst-Komplizen alles unternahm, was möglich war, um den heimtückischen Mord zu vertuschen. Den "Ermittlern" kam zugute, dass es den damals regierenden SPD-Führern nicht ratsam erschien, sich dem Korpsgeist der Reaktion zu widersetzen. Die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann, Noske und Landsberg waren nicht eben bestürzt darüber, durch Lynchjustiz verhasste Gegenspieler ausgeschaltet zu wissen. Noske habe ihm, so Pabst im Gespräch mit Dieter Ertel, "nach der Tat die Hand gedrückt". Immerhin war die GKSD von Januar bis März 1919 als Armeekorps von 15.000 Mann die vollstreckende Gewalt in der Reichshauptstadt, sie schlug zwei Volksaufstände nieder, vertausendfachte das Schicksal von Liebknecht und Luxemburg und galt als bewaffneter Arm der Regierung Ebert. Wer sonst? Die Arbeiter- und Soldatenräte?

Als Der Fall Liebknecht / Luxemburg 1969 erstmals ausgestrahlt wurde, war Hermann Souchon noch am Leben und bestritt, den tödlichen Schuss auf Rosa Luxemburg abgegeben zu haben. Er klagte gegen den Süddeutschen Rundfunk vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, das den Sender prompt verurteilte, die Behauptung zu unterlassen, Souchon sei der Todesschütze gewesen.

Als der SDR das Dokumentarspiel 20 Jahre später wiederholte, lebte Souchon nicht mehr, womit sich auch der Stuttgarter Richterspruch erledigt hatte. Ungeachtet dessen wurde vor der Sendung durch einen Programmansager ausdrücklich festgestellt, dass die Darstellung des Tathergangs nur eine "historische Deutung" sei. Eine Vorsichtsmaßnahme, die wohl mehr spiegelte als antikommunistischen Zeitgeist. Man wusste schließlich, dass die Bundesrepublik der frühen Jahre in der Kontinuität der Gewalten stand, die den 15. Januar 1919 und die Folgen zu verantworten hatten - Militärs und Juristen, die es auch unter Hitler weit gebracht hatten. Der Begriff "historische Deutung" desavouierte im Übrigen die Leistung von Dokumentaristen, die nicht "deuten", sondern dienen wollten, der "historischen Wahrheit" nämlich. Eben deshalb hatte man sich bei der Wiedergabe der Gerichtsposse vom Mai 1919 streng an das amtliche Stenogramm gehalten, in dem auch die Urteile protokolliert waren: für Runge zwei Jahre und zwei Wochen Gefängnis, für Oberleutnant Vogel zwei Jahre und vier Monate Gefängnis, für die Offiziere des Liebknecht-Kommandos sechs Wochen "geschärften Stubenarrest" oder Freispruch. Pabst und Souchon sahen sich durch manipulierte Vorermittlungen aus allem herausgehalten.

Der geschundene, sich auflösende Körper Rosa Luxemburgs ließ wissen, wie weit die Fähigkeit des Menschen zur Unmenschlichkeit gehen konnte. Er wurde zum Kainsmal der ersten deutschen Republik, aber auch all derer in der Bundesrepublik Deutschland, die nichts unternahmen, um die noch lebenden Täter wie Pabst und Souchon zur Rechenschaft zu ziehen.

Quelle: der FREITAG vom 15.01.2019. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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Veröffentlicht am

15. Januar 2019

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