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Kommentar Ukraine-Russland-Krise: Die Mitschuld des Westens

Russland hat klar gegen das Völkerrecht verstoßen, aber neue Sanktionen wären grundfalsch. EU und Nato sollten jetzt lieber aktiv deeskalieren.

Von Andreas Zumach

Russland hat die ukrainische Krim im März 2014 annektiert. Völkerrechtswidrig und bis heute von lediglich neun der übrigen 192 UNO-Staaten anerkannt. Folgerichtig verstoßen auch Russlands Anspruch auf die Seestraße von Kertsch oder gar das gesamte Asowsche Meer als eigenes Hoheitsgewässer und die Behinderung ukrainischer Schiffe gegen das Völkerrecht. Und auch gegen das bilaterale Abkommen zwischen Moskau und Kiew von 2014. Soweit die Fakten.

Doch die Forderung des ukrainischen Botschafters in Berlin, eine NATO-Flotte in das Asowsche Meer unter Beteiligung deutscher Schiffe zu entsenden, ist gefährliche Kriegstreiberei. Die scharfen Sprüche von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Washingtons UNO-Botschafterin Nikki Healy an die Adresse Moskaus sind eine ebenso hilflose Reaktion wie der Ruf diverser CDU-Politiker nach einer erneuten Verschärfung von Sanktionen gegen Russland .

Die bereits seit 2014 verhängten Sanktionen haben sich als völlig untaugliches Mittel erwiesen, die Ukrainepolitik Russlands positiv zu beeinflussen. Die Deeskalationsappelle und Vermittlungsangebote von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas klingen zwar viel besonnener und vernünftiger. Doch auch sie werden wirkungslos verpuffen, wenn Deutschland und seine Partner in der NATO und EU nicht endlich über den eigenen Schatten springen und ihre große Mitverantwortung anerkennen für die krisenhafte Zuspitzung im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen seit Ende der 90er Jahre - die schließlich zur Annexion der Krim führte.

Zu dieser Mitverantwortung gehören die Osterweiterung der NATO unter Bruch des Versprechens, das die Regierung Kohl/Genscher Moskau 1990 nachweislich gegeben hatten. Weiterhin der NATO-Gipfelbeschluss von 2008 mit der Option zur Aufnahme der Ukraine sowie die Assoziationsverhandlungen zwischen der EU und der Ukraine, bei denen Brüssel die damalige Regierung in Kiew vor die fatale Alternative stellte, sich wirtschafts- und handelspolitisch zwischen Moskau und dem Westen zu entscheiden. Und schließlich gehört zur Mitverantwortung Deutschland und seiner EU- und NATO-Partner die uneingeschränkte Unterstützung für die neue Regierung in Kiew - und zwar auch dann noch, als diese gleich nach ihrer Machtübernahme im Februar 2014 drohte, das bis 2042 vereinbarten Abkommen mit Moskau über die Nutzung der Marinebasis Sewastopol auf der Krim durch russische Seestreitkräfte zu kündigen.

Erneute Abstimmung auf der Krim

Geeignete westliche Schritte um die Eskalationsdynamik im Verhältnis zu Russland endlich umzukehren, wären eine Korrektur des NATO-Gipfelbeschlusses von 2008. Ebenso wichtig wären Vorschläge, um die grenznahen Militärmanöver beider Seiten einzustellen und Truppenstationierungen dort rückgängig zu machen. Russland müsste garantiert werden, dass es den Marinestützpunktes Sewastopol weiter nutzen kann.

Ebenso wichtig wäre ein Vorschlag für eine erneute Abstimmung auf der Krim; vorbereitet, durchgeführt, überwacht und ausgezählt durch die UNO und mit der Wahloption auf den Verbleib der Krim in der Ukraine mit einem weitestgehenden Status sprachlicher, kultureller, finanzieller und administrativer Autonomie.

Würde Berlin eine Initiative für solche Deeskalationsschritte ergreifen, wäre dies eine konkrete und wichtige Wahrnehmung der in Berlin so gerne beschworenen "gewachsenen internationalen Verantwortung" Deutschlands.

Andreas Zumach. Seit 1988 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz, Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere: UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan… geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung. Bücher: Globales Chaos - machtlose UNO (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995).

Quelle: taz - 27.11.2018. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Andreas Zumach.

Veröffentlicht am

28. November 2018

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