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Wettrüsten statt Abrüstung? Trumps Abschied vom INF-Vertrag mit weitreichenden Folgen

Von Otfried Nassauer

Er hat es schon wieder getan. Donald Trump, der Präsident der USA, hat gegen den Rat von Freund und Feind erneut angekündigt, einen bestehenden Rüstungskontrollvertrag einseitig aufzukündigen. Nach dem Atomabkommen mit dem Iran ist es jetzt der INF-Vertrag, aus dem Trump einseitig aussteigen will. Dieser 30 Jahre alte Abrüstungsvertrag mit Russland verbietet Washington und Moskau den Besitz und die Stationierung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern - egal, ob diese konventionelle oder atomare Sprengköpfe tragen. Der Vertrag gilt bis heute als wesentliches Kernelement europäischer Sicherheit. Er stand am Ende des letzten großen Streits über die Rolle atomarer Waffen in Europa während des Kalten Krieges und bereitete den Boden dafür, dass nach dem Fall der Mauer eine lange Phase der Denuklearisierung der Sicherheitspolitik in Europa begann.

Doch damit soll jetzt Schluss sein. Donald Trump begründete die Absicht zur Kündigung des Vertrages wie folgt:

O-Ton Trump (overvoice)
"Wir sind diejenigen, die diesen Vertrag eingehalten haben, uns daran gehalten haben. Aber Russland hat das unglücklicherweise nicht. Sie haben sich nicht daran gehalten. Deshalb werden wir den Vertrag beenden, uns daraus zurückziehen."

Russland verletze den Vertrag, so Trump. China und andere Staaten, die Mittelstreckenwaffen besitzen, seien ebenfalls ein Teil der Bedrohung, die einen solchen Schritt nötig machten. Der Vertrag habe sich überlebt, sei aus der Zeit gefallen. Noch einmal Donald Trump:

O-Ton Trump (overvoice)
"Das ist eine Bedrohung für jedermann. Sie geht von China aus, sie geht von Russland aus und sie geht von jedem aus, der dieses Spiel spielen möchte. Mit mir kann man solch ein Spiel nicht spielen."

Die USA werfen Russland vor, eine verbotene landgestützte Version eines erlaubten seegestützten Marschflugkörpers mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern entwickelt, produziert und stationiert zu haben. Ob dieser Vorwurf zutrifft, ist bislang nicht nachvollziehbar. Washington weigert sich, nachprüfbare Beweise dafür vorzulegen, dass Russland den Flugkörper und ein dazu passendes Startgerät bei seinen Streitkräften eingeführt hat. Die Welt kann den Vorwurf also nur glauben, nicht aber prüfen, ob er stimmt. Russland streitet den Vorwurf der USA kategorisch ab und wirft den USA seinerseits vor, den INF-Vertrag zu verletzen. Schließlich könne man aus den Startgeräten, die Washington derzeit in Europa für seine Raketenabwehrsysteme aufstellt, auch atomar bestückte Marschflugkörper großer Reichweite verschießen.

Selbst altgediente amerikanische Republikaner halten Trumps Entscheidung, den INF-Vertrag zu kündigen, für problematisch. Kenneth Adelman, der den Vertrag zu Zeiten von Ronald Reagan mit ausgehandelt hat, hebt die Verdienste des Abkommens hervor:

O-Ton Adelman (overvoice)
"Der Vertrag war sehr effektiv und führte zu einem erheblichen Abbau von Atomwaffen. Der INF-Vertrag löste eine Abrüstungsspirale aus, von der die Welt enorm profitiert hat."

Auch Richard Burt, unter Ronald Reagan ebenfalls mit dem INF-Vertrag befasst und ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, sieht Trumps Vorgehen kritisch.

O-Ton Burt (overvoice)
"Die Leute, die diese Entscheidung der Trump-Administration wirklich feiern, sitzen im russischen Generalstab. Sie sind seit zehn Jahren Gegner des INF-Vertrags, weil er sie hindert, Kurz- und Mittelstreckenraketen auf Europa zu richten."

Trump tue ihnen einen Gefallen. Er nehme ihnen die Verantwortung für das Scheitern des INF-Vertrags ab und schade dem Ansehen Washingtons.

Moskau hat auf die Ankündigung Trumps betont unaufgeregt reagiert. Man wolle am INF-Vertrag festhalten, habe kein Interesse daran, aus dem Vertrag auszuscheiden. Der in Helsinki begonnene Dialog zwischen den Präsidenten Putin und Trump solle im November in Paris fortgesetzt werden und biete weiterhin die Chance, nach Lösungen für die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle zu suchen. Wladimir Putin hatte Mitte Oktober in Sotschi noch einmal betont, Russland werde seine atomaren Waffen nur in Reaktion auf einen bereits begonnenen Atomangriff auf sein Staatsgebiet einsetzen.

Die Argumentation des US-Präsidenten zeigt jedoch, dass der eigentliche Vater dieser Entscheidung John Bolton, Trumps Sicherheitsberater, sein dürfte. Dieser argumentierte bereits vor sieben Jahren sehr ähnlich wie Trump jetzt. Im August 2011 schrieb Bolton im Wall Street Journal:

"Der INF-Vertrag hat sich schon lange überlebt. Er sollte geändert oder gänzlich verworfen werden. (…) Heute werden die USA (und Russland) von den Regeln des INF-Vertrags eingeengt, während die Staaten, von denen derzeit die strategische Bedrohung ausgeht - China, der Iran und Nordkorea - außen vor bleiben. (…) Das Motto der USA bezüglich des INF-Vertrages sollte lauten: Erweitert ihn oder löscht ihn aus. Angesichts der Umstände, die gegen eine Erweiterung [um neue Mitglieder] sprechen, sollten wir jetzt damit beginnen, darüber nachzudenken, wie wir unsere Fähigkeiten bei Waffen der INF-Reichweite wieder aufbauen können."

Bolton wollte bereits damals den INF-Vertrag aufgeben, um die US-Streitkräfte mit neuen Mittelstreckenwaffen ausrüsten zu können. Mit Donald Trump könnte sich ein US-Präsident gefunden haben, der dieses Ziel unterstützt. Richard Burt, der ehemalige Botschafter:

O-Ton Burt (overvoice)
"Ich bin einfach erstaunt darüber, dass der Präsident wenige Tage, nachdem er den Rückzug aus einem vorbildlichen, also einem ikonischen Rüstungskontrollvertrag angekündigt hat, heute über eine massive nukleare Aufrüstung spricht. Das sendet die falsche Botschaft, nicht nur an die Russen, sondern an die ganze Welt."

Drei Optionen für neue Waffen sind in den USA bislang ins Gespräch gebracht worden:

  • Erstens die Wiedereinführung seegestützter Marschflugkörper mit atomarem Sprengkopf. Das wäre auch ohne Verstoß gegen den INF-Vertrag möglich.
  • Zweitens die Entwicklung eines landgestützten Marschflugkörpersystems großer Reichweite, das auf der Pazifikinsel Guam für den pazifischen Raum stationiert werden könnte. Und drittens:
  • Schließlich die Wiedereinführung landgestützter Flugkörper mittlerer Reichweite in Europa.

Darüber hinaus befürchten viele Rüstungskontrollbefürworter in den USA ein weiteres Problem. Da Sicherheitsberater John Bolton als entschiedener Gegner aller Rüstungskontrollverträge gilt, die den militärischen Fähigkeiten der USA Fesseln anlegen könnten, wird es für möglich gehalten, dass Bolton Präsident Trump auch davon überzeugt, den 2021 auslaufenden Neuen START-Vertrag, der die strategischen Atomwaffen Russlands und der USA begrenzt, weder zu verlängern, noch durch ein neues Abkommen zu ersetzen. Dann unterlägen die Atomwaffenpotentiale Moskaus und Washingtons erstmals seit Jahrzehnten keiner Begrenzung mehr.

Ausgeschlossen ist eine solche Entwicklung keineswegs. In den USA haben internationale Verträge einen relativ schwachen Stellenwert. Ein US-Präsident, der einen neuen Abrüstungsvertrag ratifizieren will, benötigt dafür eine Zweidrittelmehrheit im US-Senat - nicht selten eine nur schwer zu überwindende Hürde. Will ein US-Präsident dagegen einen bereits gültigen internationalen Vertrag aufkündigen, so kann er dies alleine machen. Er muss niemanden um Zustimmung bitten - auch nicht den Senat. Es ist also viel leichter, alte Verträge zu kündigen, als neue in Kraft zu setzen.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS.

Quelle: BITS - Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer. 

Veröffentlicht am

07. November 2018

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