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Nato-Gipfel: Teure Eskalation

Von Jürgen Wagner

Man hätte es kaum für möglich gehalten, aber der NATO gelang es tatsächlich auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel (11./12.7.2018), das Absurditätslevel, mit dem die beiden dominierenden Themen - die Debatte um die finanzielle Lastenteilung im Bündnis und die Eskalation im Verhältnis zu Russland - abgearbeitet wurde, noch einmal auf neue Rekordhöhen hochzuschrauben.

Anti-russische Eskalationsrhetorik

Das Bündnis hat es tatsächlich geschafft, den ohnehin rauen Ton, der gegenüber Russland angeschlagen wird, noch einmal deutlich zu verschärfen. In der Abschlusserklärung des Gipfels wird zunächst die "illegale und illegitime Annexion der Krim" und die "anhaltende Destabilisierung des Ostens der Ukraine" kritisiert. Weiter werden Moskau "provokative militärischen Handlungen" vorgeworfen. Darüber hinaus werden die "beträchtlichen Investitionen in die Modernisierung seiner strategischen Kräfte" hervorgehoben, was angesichts eines vierstelligen Milliardenbetrages, den die NATO-Mitglieder in diesem Jahr in ihre Rüstungshaushalte pumpen werden, doch reichlich grotesk anmutet. Zumal laut SIPRI-Angaben der russische Etat im vergangenen Jahr um 20% auf 66,3 Mrd. Dollar sank.

Generell vermeidet es das Bündnis tunlichst, sich auch einmal an die eigene Nase zu fassen. Wenn etwa Russland die "Aggressivität seiner Nuklearrhetorik" vorgeworfen wird, so mag das nicht völlig falsch sein. Die offen angestellten Überlegungen im Bündnis, "einsetzbare" Atomwaffen zu entwickeln und eventuell eine neue Generation Marschflugkörper in Europa stationieren zu wollen, tragen aber auch nicht gerade zur Deeskalation bei - im Gegenteil.

Und schließlich wird in der Abschlusserklärung dann auch noch der "Angriff mit einem Nervenkampfstoff" im britischen Salisbury "verurteilt", der mehr oder minder direkt Russland zu einem Zeitpunkt in die Schuhe geschoben wird, an dem mehr und mehr Fragen zu den genauen Umständen des Ereignisses auftauchen. Dennoch heißt es unbeirrt in der Gipfelerklärung: "Laut der Einschätzung des Vereinigten Königreichs ist es sehr wahrscheinlich, dass die Russische Föderation für den Angriff verantwortlich ist und es keine plausible alternative Erklärung gibt. Wir stehen solidarisch hinter dieser Einschätzung des Vereinigten Königreichs."

Es hat fast den Anschein, als wollte das Bündnis wirklich ganz sicher gehen, dass beim anstehenden Gipfeltreffen zwischen Wladimir Putin und Donald Trump ganz sicher keine Deeskalation der aufgeheizten Stimmung zustande kommt. Das ernüchternde Fazit über die NATO-Abschlusserklärung der Süddeutschen Zeitung lautet: "Das Dokument […] lässt praktisch keine Hintertüren offen für eine Wende in der Russlandpolitik."

Gleichzeitig wurde diese aggressive Rhetorik aber auch mit handfesten anti-russischen Initiativen untermauert.

Logistikkommando und 4X30

Mit Blick auf Russland wurden auf dem NATO-Gipfel vor allem zwei weitreichende Entscheidungen getroffen. Einmal ist das die "Initiative zur Reaktionsfähigkeit", die nun ins Leben gerufen wurde - auch "4X30" genannt: Bis 2020 will die NATO 30 Bataillone, 30 Flugzeugstaffeln und 30 Schiffe in 30 Tagen zum Einsatz bringen können. Dazu heißt es im Abschlussdokument: "Aus dem Gesamtpool an Streitkräften werden die Verbündeten zusätzlich 30 größere Kampfschiffe, 30 schwere oder mittlere Infanteriebataillone und 30 Kampfflugzeugstaffeln mit Unterstützungskräften in eine Reaktionsfähigkeit von 30 Tagen oder weniger versetzen."

Und zweitens wurde ein in Ulm beheimatetes Logistikkommando beschlossen, das künftig die "militärische Mobilität" und die schnelle Verlegefähigkeit in Richtung Osteuropa ‚verbessern’ soll. In der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es dazu konkret: "Wir haben auch weitreichende Beschlüsse gefasst, um die NATO-Kommandostruktur - das militärische Rückgrat des Bündnisses - anzupassen und zu stärken. […] Wir werden […] ein Gemeinsames Unterstützungs- und Befähigungskommando (Joint Support and Enabling Command) in Deutschland zur Gewährleistung der Operationsfreiheit und der Durchhaltefähigkeit im rückwärtigen Raum zur Unterstützung schneller Transporte von Truppen und Ausrüstung nach, durch und aus Europa aufbauen."

Finanzdebatte: Trump als nützlicher Idiot

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über den massiven Druck aus den USA berichtet wird, mit dem die Verbündeten zu höheren Rüstungsausgaben gedrängt werden sollen. Zuletzt hatte Präsident Donald Trump im Vorfeld des NATO-Gipfels Brandbriefe an mehrere europäische Staaten verschickt, in denen sie mit einer Wortwahl, die den üblichen diplomatischen Stil wohl etwas vermissen ließ, genau hierzu aufgefordert wurden.

Ganz sicher passt den europäischen Verbündeten der Ton, den der US-Präsident ihnen gegenüber anschlägt, ganz und gar nicht. Allerdings wissen sie seine Forderung nach höheren Rüstungsausgaben zu nutzen, um ihrerseits gegenüber ihrer demgegenüber skeptischen Bevölkerung genau dies umzusetzen. Das Spiel läuft schon länger, dass unter Verweis auf Trump höhere Rüstungsausgaben begründet werden - wahlweise mit dem Argument, nur so könnten die USA im Bündnis gehalten werden oder damit, dies sei erforderlich, um sich für einen möglicherweise bevorstehenden Rückzug Washingtons aus der NATO zu wappnen.

Jedenfalls veröffentlichte die NATO kurz vor Gipfelbeginn ihre jüngsten Rüstungsdaten , die eine klare Sprache sprechen. Demzufolge stiegen die NATO-Rüstungsausgaben von 895 Mrd. Dollar 2015 auf geschätzte 1013 Mrd. Dollar in diesem Jahr an. Der Anteil der europäischen Länder kletterte dabei von 222 Mrd. (2015) auf 286 Mrd. (2018) ebenfalls steil nach oben. Daran hat Deutschland maßgeblichen Anteil, das allein zwischen 2014 (32,45 Mrd. Euro) und 2018 (38,5 Mrd.) den Rüstungshaushalt deutlich anhob. Mit der jüngsten Ankündigung, von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die später auch von Kanzlerin Angela Merkel gestützt wurde, bis 2024 1,5% des BIP für den Militärhaushalt einstellen zu wollen, müsste er Berechnungen der Bundeswehr zufolge bis dahin auf über 60 Mrd. Euro steigen!

Seit Jahren drängen interessierte Kreise auf höhere Rüstungsausgaben, sehen sich aber einer Bevölkerung gegenüber, die dies mit deutlicher Mehrheit ablehnt. Das charmante an der aktuellen Konstellation ist nun für die Bundesregierung, dass sie heldenhaft darauf pochen kann, der US-Forderung von 2% des BIP für den Rüstungshaushalt, also etwa 85 Mrd. Euro, eine Absage erteilt und sich "nur" auf besagte 1,5% eingelassen zu haben.

Überaus geschickt erweckt die Bundesregierung dabei den Eindruck, sie sei dennoch in der Pflicht, mehr als in früheren Jahren auszugeben, schließlich habe man sich ja eigentlich auf dem NATO-Gipfel in Wales auf das 2%-Ziel verpflichtet - da sei es ja schon ein Erfolg, wenn es nur 1,5% würden. Bei der Wales-Vereinbarung handelt es sich aber um eine rechtlich nicht-bindende Absichtserklärung, sich "in Richtung" dieser Zahl zu bewegen - vager geht es eigentlich nicht mehr. Insofern ist auch das "unerschütterliche Bekenntnis" zu diesem Ziel, das sich in der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels findet, eigentlich nichts anderes als Schall und Rauch. Es existiert keine rechtliche Aufrüstungspflicht, nur ein Aufrüstungswillen und die 2%-Debatte ist das Mittel, um diesem Willen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Das "Beste" kam dann natürlich von Donald Trump am Schluss, der es schaffte der ganzen verqueren Debatte die Krone aufzusetzen. Erst soll er am zweiten Gipfeltag gefordert haben, alle Verbündeten hätten das 2%-Ziel sofort und nicht erst 2024 umzusetzen. Und dann ließ er über seine Pressesprecherin Sarah Huckabee verkünden, alle Verbündeten sollten künftig 4% des BIP in den Rüstungshaushalt stecken - im Falle von Deutschland würde das eine Größenordnung von jährlich 130 bis 160 Mrd. Euro bedeuten!

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2018/25.

Veröffentlicht am

16. Juli 2018

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