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Gewähr für Gewehre

Beim Prozess gegen Ex-Mitarbeiter von Heckler & Koch geht es auch um die Rolle von Beamten beim illegalen Waffen-Deal

Von Jan van Aken

Sechs Verhandlungstage gab es bisher, und dabei ist vor allem klar geworden: Es sitzen nicht alle auf der Anklagebank im Stuttgarter Landgericht, die dort hingehören. Es fehlen die Beamten der Genehmigungsbehörden. Nächste Woche sind einige von ihnen als Zeugen geladen, und damit steht ein erster Höhepunkt des Prozesses bevor. Angeklagt sind fünf ehemalige Mitarbeiter von Heckler & Koch (HK), vier von ihnen wegen des "Verbrechens eines gewerbs- und bandenmäßigen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz". Es geht um insgesamt 15 Lieferungen von Gewehren und beziehungsweise oder Zubehör nach Mexiko zwischen 2006 und 2009. Diese sollen auch in Unruheprovinzen gelangt sein, die eigentlich von der Genehmigung ausgeschlossen sein sollten. Die Ermittler des Zollkriminalamtes haben die HK-Mitarbeiter in ihren Zeugenaussagen schwer belastet. Sie hätten nicht nur von den Lieferungen in nicht genehmigte Bundesstaaten gewusst, sondern diese aktiv gefördert.

Die Toten und Terrorisierten

Bei HK wurde ungeschminkt darüber geredet, dass Bundesstaaten nicht in den Endverbleibserklärungen genannt werden sollten, obwohl dort Waffen hingehen sollten. In einer internen E-Mail zu einem Auftrag für eine Lieferung von G36 vom April 2006 heißt es: "Soll evtl. der Bundesstaat Guerrero nicht erwähnt werden?" Dieser Bundesstaat galt aufgrund der dortigen Menschenrechtslage als Genehmigungshindernis. Endverbleibserklärungen werden vom Empfängerland - hier von Mexikos Regierung - ausgestellt und sichern der deutschen Regierung zu, wo die Waffen am Ende hinkommen. Die Zollbeamten sagten aus, anhand der Aktenlage wurde sehr klar, dass HK direkten Einfluss auf die mexikanischen Endverbleibserklärungen genommen hatte und sich die passenden Bundesstaaten darin sozusagen wünschen konnte. Mit der tatsächlichen Verteilung der G36 habe das nichts zu tun gehabt. Außerdem habe ein ehemaliger HK-Waffenvorführer ausgesagt, er habe auch in Bundesstaaten, die nicht mit G36 beliefert werden durften, waffentechnische Einweisungen für Polizisten durchgeführt. Das lasse sich auch durch entsprechende Reisekostenabrechnungen belegen.

Die Beweislage ist also erdrückend. Bei HK war bekannt, dass Lieferungen auch in Bundesstaaten gingen, die nicht in den Endverbleibserklärungen genannt wurden. Trotzdem ist völlig offen, ob es am Ende zu einer Verurteilung kommt. Die Strategie der Verteidigung ist simpel: Sie bezweifelt, dass die Endverbleibserklärungen überhaupt Teil der Genehmigung waren. Denn in den Anträgen und auch in den Genehmigungen war immer nur die Rede von einem Export "nach Mexiko", ohne weitere Einschränkung. Die Beschränkung auf einzelne Bundesstaaten findet sich nur in den Endverbleibserklärungen. Das seien aber Zusicherungen der mexikanischen Regierung an die Bundesregierung, HK habe damit nichts zu tun. Wenn die Genehmigungsbehörden diese Einschränkung nicht mit in die Genehmigung schreiben, könne sie auch nicht rechtlich bindend sein.

Demgegenüber gehen die Behörden davon aus, dass die Endverbleibserklärungen Teil der Genehmigung sind und deswegen alle Provinzen, die dort nicht genannt wurden, nicht beliefert werden durften. Der Vorsitzende Richter nannte dies die zentrale Frage des Verfahrens. Wenn es am Ende tatsächlich zu einem Freispruch kommt, bricht ein entscheidender Pfeiler des deutschen Exportkontrollsystems in sich zusammen, denn es beruht im Kern auf diesen Endverbleibserklärungen.

So spannend der Prozess auch ist, weil er zum ersten Mal einen Einblick in das Geflecht aus Waffenindustrie und Genehmigungsbehörden gibt - es bleibt ein schaler Beigeschmack, denn über die Opfer in Mexiko redet niemand im Landgericht. Selbst Richter und Ermittler sprechen manchmal von "Geräten", nicht von Waffen, als ob Nähmaschinen oder Kühlschränke exportiert wurden. Es ist auch ein Skandal, dass Betroffene und ihre Angehörigen in Mexiko nicht als Nebenkläger zugelassen wurden. Zu den größten Absurditäten gehört, dass ausgerechnet der frühere HK-Geschäftsführer Peter Beyerle immer wieder darauf verweist, dass das heutige System der Rüstungsexportkontrolle nicht funktioniere. Das ist ziemlich frivol, wenn man bedenkt, dass seine Firma mit genau diesem kaputten System jahrelang Millionengewinne gemacht hat. Aber er hat recht, wenn er das System der Endverbleibserklärungen kritisiert. Sie sind ein zentraler Bestandteil der deutschen Rüstungsexportkontrolle, ohne sie gibt es keine Genehmigung. Beyerle stellte infrage, ob das mit den Endverbleibserklärungen überhaupt funktioniere. Auch die Bundesrepublik könne nicht kontrollieren, ob Saudi-Arabien seine Endverbleibserklärung einhält. Aus seiner Sicht sei das ein Instrumentarium, das nicht greife. Da kann man ihm nur zustimmen, denn die Endverbleibserklärungen sind nur ein Stück Papier, an das sich ein Staat halten kann oder eben nicht. Wirkungsvoll kontrolliert wird das nicht. Jede Frittenbude in Deutschland wird besser überwacht als die Waffenindustrie: Bei der Frittenbude kommt immer wieder mal ein Kontrolleur vorbei und überprüft die Einhaltung der Regeln. Bei Waffenexporten passiert das bislang praktisch nicht.

Anruf aus dem Ministerium

Genauso entlarvte der Ex-Geschäftsführer von HK das Prinzip "Neu für Alt" als Feigenblatt. Es sieht vor, dass ein Empfängerland deutscher Kleinwaffen alte Waffen vernichtet und dafür die Lieferung neuer Waffen genehmigt bekommt. Die Logik: Durch deutsche Rüstungsexporte soll die Zahl der Waffen nicht steigen, sondern lediglich vorhandene Waffen ersetzen. Beyerle machte klar, dass die Behörden immer darauf gedrängt haben, dass das Prinzip angewendet und überall propagiert wird. Aber durchsetzbar sei das seiner Meinung nach nicht gewesen. Sein Anwalt ergänzte, die Bundesregierung habe gewusst, dass man das Prinzip "Neu für Alt" nicht zur Bedingung machen kann, und es deshalb nur als eine Bitte formuliert, ohne rechtliche Bindungswirkung. Tatsächlich ist "Neu für Alt" ein reiner Propagandabegriff, mit dem die Bundesregierung ihre Waffenexporte zu rechtfertigen versucht. Faktisch finden solche Austausch- und Vernichtungsprogramme von Altwaffen aber nur höchst selten statt.

Erschütternd an den bisherigen Zeugenaussagen ist die Unterstützung, die HK von einigen Beamten in den Genehmigungsbehörden bekommen hat. Statt zu kontrollieren, wurde aktive Beihilfe geleistet. Drohten Antragsverfahren zu scheitern, gab es Tipps von Beamten, wie das Geschäft sicher eingefädelt werden könnte. Ihm, so erklärt Beyerle vor Gericht, sei von den Behörden gesagt worden: "Wir würden vorschlagen, nehmen Sie das raus, dann geht das komplikationslos weiter." Daraufhin wurden die betreffenden Bundesstaaten ausgetauscht. Die Beihilfe kam vor allem aus dem Wirtschaftsministerium. "Das Wirtschaftsministerium war natürlich eher der Industrie zugeneigt und eher geneigt, Genehmigungen zu erteilen, wie das Auswärtige Amt", sagte Bayerle. Es war auch das Wirtschaftsministerium (BMWi), das offenbar interne Informationen an HK weitergegeben hat. Der Zeuge aus dem Auswärtigen Amt sagte, er habe damals seine Kollegen vom BMWi ausdrücklich und schriftlich aufgefordert, interne Informationen nicht an HK weiterzuleiten. So wollte er verhindern, dass die Firma über eine bevorstehende Überprüfung in Mexiko informiert wurde. Aus einem Aktenvermerk des damaligen HK-Geschäftsführers geht jedoch hervor, dass er vom zuständigen Beamten im BMWi angerufen und informiert wurde. Zur willfährigen Kooperation kommt noch Schlampigkeit. Der Chefermittler des Zollkriminalamtes sagte, der zuständige Beamte aus dem BMWi konnte in einem Fall nicht mal mehr rekonstruieren, was genehmigt worden war.

Es ist Zeit, sich von einer Legende zu verabschieden: "Nirgendwo auf der Welt werden Waffenexporte besser kontrolliert als in Deutschland", so haben wir es jahrzehntelang gehört. Es war immer wieder falsch. Vielleicht ist es ja so, dass nirgendwo auf der Welt Waffenexporte so gut verwaltet werden wie in Deutschland. Aber kontrolliert wird hier nicht, es wird gefördert, weggeschaut, geschlampt und am Ende fast immer exportiert.

Jan van Aken beobachtet den Prozess für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bis 2017 war er Bundestagsabgeordneter der Linken

Quelle: der FREITAG vom 04.07.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

10. Juli 2018

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