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Humanitäre Konzentrationslager für Flüchtlinge?

Von Jens Berger

"Das humanitäre Risiko beginnt genau dann, wenn man die libysche Küste verlässt" - so fasste Präsident Macron gestern Seit´ an Seit´ mit Bundeskanzlerin Merkel die gemeinsame deutsch-französische Flüchtlingsstrategie zusammen. Ein infamer Satz, wenn man bedenkt, dass das Auswärtige Amt den libyschen Flüchtlingslagern noch vor wenigen Monaten in einem durchgesickerten geheimen Bericht "KZ-ähnliche Zustände" attestierte . Anspruch und Wirklichkeit prallen bei der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin immer stärker aufeinander und es ist und bleibt ein großes Rätsel, warum Angela Merkel für ihre angeblich "humane" Flüchtlingspolitik wahlweise gelobt oder kritisiert wird. In Sachen Humanität unterscheidet sich Merkels Politik nämlich nur in Nuancen von den Flüchtlingslagern am Nordrand der Sahara.

Seit die EU-Agentur Frontex die Außengrenzen der EU abriegelt und Angela Merkel die "Balkanroute" durch ihren Deal mit Erdogan de facto so gut wie dicht gemacht hat, bleibt den Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten meist nur noch die lebensgefährliche Fluchtroute durch die Sahara über Libyen und das Mittelmeer, um in der EU einen Asylantrag einzureichen. Humanitär ist dies ganz sicher nicht. In Libyen sind für die Flüchtenden Folter, Vergewaltigung (auch von Männern ) und Zwangsarbeit an der Tagesordnung . Für weibliche Flüchtlinge ist sexuelle Gewalt nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Drei von vier später befragten Flüchtlingen, die über Libyen in die EU kamen, berichteten von Folter und Mord an Reisegefährten, 84% erklärten, selbst Opfer unmenschlicher und entwürdigender Behandlung wie körperlicher Gewalt oder Folter geworden zu sein. Die International Organization for Migration schätzt die Zahl der Flüchtlinge, die in Libyen unfreiwillig gestrandet sind und dort als Zwangsarbeiter ohne Rechte "gehalten" werden, auf 200.000. Derweil florieren im Lande die Sklavenmärkte, auf denen in grauenhaften Auktionen Flüchtlinge versteigert werden. So in etwa stellt man sich die Hölle vor. Nein, Monsieur Macron, das "humanitäre Problem" beginnt nicht, wenn die Flüchtlinge die libysche Küste verlassen … umgekehrt wird ein Schuh draus.

Ist dies nur die "Meinung" eines kritischen Journalisten der NachDenkSeiten, die sich auf die Expertise von Menschenrechtsorganisationen stützt? Nein. Ein Bericht der UN und des UN-Hochkommissars für Menschenrechte bezeichnet die Situation in den libyschen Flüchtlingslagern offen als "Menschenrechtskrise" ("The situation of migrants in Libya is a human rights crisis"). Noch deutlicher wird das Auswärtige Amt in Berlin. Die deutschen Diplomaten vor Ort berichten in internen Berichten nach Berlin von "allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen" in den Flüchtlingslagern und von "KZ-ähnlichen Verhältnissen in den sogenannten Privatgefängnissen", in die libysche Warlords internierte Flüchtlinge verfrachten. Deutlicher kann Kritik aus offiziellen Quellen gar nicht ausfallen.

Bereits die Idee, ausgerechnet Libyen zu einem "zentralen Partner" in einem gemeinsamen europäischen Asylverfahren zu machen, ist absurd. Denn ein Punkt gerät vor dem Wunsch nach einer "gemeinsamen Lösung" bei der Asylfrage komplett aus dem Blick. Die sicher nicht merkelkritische ZEIT formulierte es vor nicht einmal zwei Wochen folgendermaßen: "Libyen ist ein gescheiterter Staat, in dem Warlords und Kriminelle herrschen". Dem ist nichts hinzuzufügen.

Sind Macron und Merkel wirklich begriffsstutzig oder einfach nur grenzenlos zynisch? Letzteres ist der Fall, da beide Staatschefs einen äußerst inhumanen Kurs in der Flüchtlingsfrage eingenommen haben. Davon sollte man sich von anderslautenden Medienberichten nicht täuschen lassen. Bereits vor einem Jahr ging Macron mit dem Vorschlag, "Flüchtlingshotspots" in Libyen zu errichten , an die Öffentlichkeit. Kurze Zeit später griff auch EU-Ratspräsident Tusk diesen Vorschlag auf. Höchstwahrscheinlich ist die Einrichtung solcher Zentren in Libyen ohnehin bereits vereinbart. Anders ist das seltsame Timing diverser "Erklärungen" nämlich kaum zu deuten. So verständigte sich bereits am letzten Freitag der neue italienische Ministerpräsident Conte mit Macron auf eine geplante Umsetzung solcher "Asyl-Zweigstellen" . Vor allem Macron brachte dabei offensiv Libyen als Standort ins Spiel . Am Montagabend traf Angela Merkel Conte und sprach mit ihm über dasselbe Thema. Laut Medienberichten brachte sie dabei ebenfalls Libyen als Standort ins Spiel und Conte fand Presseberichten zufolge an "Merkels Idee" (sic!) Gefallen. Da mussten Macron und Merkel bei ihrem gestrigen Treffen sicher nicht lange beraten, um ebenfalls auf diese "gemeinsame Idee" zu kommen.

Parallel dazu berichtete die Deutsche Welle bereits , dass EU-Ratspräsident Tusk die "Einrichtung von Flüchtlingszentren etwa in Nordafrika" bereits in den Entwurf der Erklärung des EU-Gipfels schreiben ließ, der erst nächste Woche stattfindet. Man kann also davon ausgehen, dass die Sache schon in groben Zügen hinter den Kulissen auf Arbeitsebene verabschiedet wurde und beim großen Gipfel nur noch öffentlichkeitswirksam verkündet wird. Und sicher wird auch Innenminister Seehofer seine Freude an dieser "Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn"-Strategie haben, die de facto auf eine Komplettabschottung der EU vor Asylsuchenden hinausläuft. Der letzte Akt der absurden Tragikomödie, die Merkel, Seehofer, Bouffier und Söder momentan als "Koalitionskrise" aufführen, ist also bereits geschrieben und spätestens übernächste Woche können wir uns wieder um "wichtigere" Dinge kümmern - Fußball zum Beispiel. Die gefolterten, vergewaltigten, ausgebeuteten und versklavten Flüchtlinge im fernen Libyen sind und waren für "uns" wieder einmal kein Thema. Das ist nur konsequent, wenn man die Position vertritt, dass die "humanitären Risiken" erst anfangen, wenn ein Flüchtling die libysche Küste verlässt. Wenn alle Flüchtlinge in libyschen Lagern bleiben, ist die Humanität dann ja gewährleistet. Hoch lebe Europa! Aber natürlich nur für Europäer.

Quelle:  NachDenkSeiten - 20.06.2018. Dieser Beitrag ist auch verfügbar als Audio-Podcast .

Veröffentlicht am

25. Juni 2018

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