Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Von Katrin Warnatzsch, Sozialer Friedensdienst im Lebenshaus (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 96, März 2018 Der gesamte Rundbrief Nr. 96 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 1.095 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren .)

Veränderungen im Lebenshaus

Nach der Renovierung des Erdgeschosses ist im Februar ein junger Afghane aus der örtlichen Unterkunft für Asylbewerber ins Lebenshaus eingezogen. Er hatte sich schon in den zwei Jahren zuvor, seit er in Gammertingen wohnt, sehr wohl in unserem Garten gefühlt und dort die Ruhe gefunden, um Deutsch zu lernen. In großer Sorge um seine Familie und seinen Sohn, die sich weiterhin im kriegsgeschüttelten Afghanistan befinden, versucht er, hier Fuß zu fassen und hat eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer begonnen. Das macht ihm Freude und er lernt sehr gerne, bringt er doch schon einiges an Vorerfahrungen mit. Wir wünschen ihm, dass er sich bei uns gut stabilisieren kann.

In das Zimmer daneben wird Ende des Monats ein weiterer afghanischer Mann einziehen. Damit haben wir erneut die Plätze belegt, die zur Zeit im Lebenshaus zur Verfügung stehen. Ein neues Miteinander beginnt, wir sind gespannt auf die Entwicklungen.

Ein junges Paar hatte uns zu einem vorzüglichen Mittagsmahl an einem Sonntag in seine neue kleine Wohnung eingeladen. Beide stammen ebenfalls aus Afghanistan, haben sich in Deutschland kennengelernt und sind dabei, endlich zusammenzuziehen. Das ist aber aufgrund bürokratischer Hindernisse gar nicht so einfach. Nun ist jedoch das erste Kind unterwegs und sie hoffen, nach dem positiven Aufenthaltsbescheid für die Frau auch heiraten zu können. Der junge Mann hat einen Arbeitsplatz in der Nähe und für den Herbst dort auch ein Ausbildungsplatzangebot. Natürlich ist ihr Einkommen gering und es wird sehr eng werden, wenn dann noch Kind und Ausbildung gleichzeitig eintreffen.

Für das Baby ist momentan noch gar nichts vorhanden und wir wollen versuchen, ihnen bei einer Erstausstattung zu helfen. Wer also hier z.B. Enkelkinder oder Kinder aus ihren Kleidern herauswachsen sieht und etwas entbehren kann, möge doch ein Paket mit Erstlingssachen an uns senden oder vorbeibringen.

Erste Klageverhandlungen gegen den ablehnenden Asylbescheid von Afghanen

Am Donnerstag vor Fastnacht fanden die ersten beiden Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen mit afghanischen Flüchtlingen aus Gammertingen statt, die gegen ihren Ablehnungsbescheid geklagt hatten. Sie wurden von ihrem Anwalt, ihren Betreuerinnen und uns dorthin begleitet, natürlich nicht ohne ausführliche Vorbereitungen und Beruhigungsbemühungen. Die Begegnung mit der deutschen Justiz und die dann doch als ganz anders als beim ersten Interview durch das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" (BAMF) erlebte Atmosphäre hatten entspannende Auswirkungen. Es war ein Dolmetscher zugegen, der den entsprechenden Dialekt der Männer verstand und sprechen konnte. Dies war beim BAMF nicht der Fall gewesen, was zu großen Missverständnissen geführt hatte. Ebenso hatten die beiden nun vor Gericht viel Zeit, um die Fragen zu beantworten, die der Richter noch an sie stellte.

Wir nahmen von beiden mit den Verfahren befassten Richtern eine Sorgfalt und Zugewandtheit wahr, die uns beruhigte. Allerdings steht noch nicht fest, wie sich die Richter am Verwaltungsgericht Sigmaringen ganz allgemein zum Kriegsland Afghanistan und den politisch gewollten Abschiebungen dorthin verhalten werden. Sie merkten an, dass sie sich durch ein neues Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg unter Druck sehen und dieses bei ihren Entscheidungen berücksichtigen müssen. Der derzeit immer schlimmer werdende Krieg in Afghanistan und seine Auswirkungen wird von ihnen nicht ignoriert, wie das durch die Ablehnungsbescheide im BAMF naheliegt.

Um die Klagen vor Gericht schriftlich zu begründen, hatte ich in mühevoller Arbeit mit den afghanischen Geflüchteten ihre Lebensgeschichte möglichst genau in deutscher Sprache aufgenommen. Nun entstand der Eindruck, dass die vorgelegten Klagebegründungen ihre Wirkung hatten, was das Verständnis der Richter für die Lebensgeschichten an unterschiedlichen Orten in Afghanistan angeht.

Bei den Verhandlungen kommt es stark darauf an, wie glaubhaft und authentisch die Einzelnen sich erklären können. Darauf haben wir keinen Einfluss. Wir können aber durch unsere Präsenz bei Gerichtsverhandlungen einerseits unsere Solidarität zeigen, aber auch ganz menschlich beruhigend auf die Geflüchteten einwirken. Ein öffentliches Interesse an solchen Verfahren schadet dem Ganzen sicherlich ebenfalls nicht. Die beiden Männer, die nun ihre Verhandlungen hatten, sind einerseits sehr erleichtert, dass dieser lang erwartete Termin nun hinter ihnen liegt, andererseits erwarten sie jetzt mit Spannung die Urteile, die noch ausstehen.

Unsere Gebete sind natürlich weiterhin bei den Kriegsflüchtlingen und ihren Familien, die größtenteils in Afghanistan verblieben sind, dort beständig vom Tod bedroht. Wir hoffen auf das Verständnis und eine klare Rechtsprechung unserer Justiz, diesen Menschen hier eine Chance zu geben, sowie auf die Großmütigkeit aller Menschen, die ihnen begegnen. Es ist weiterhin ganz unvorstellbar für uns, dass die deutsche Regierungspolitik Menschen in das Kriegsland Afghanistan zurückschickt.

Kundgebungen gegen Abschiebung und Krieg

Unsere Proteste in Gammertingen und anderswo gegen Abschiebungen nach Afghanistan sind eine gute Grundlage der Solidarität mit den Geflüchteten vor Ort. Auch wenn die Bundesregierung damit Personen deportieren will, die angeblich Straftäter, "Identitätsverweigerer" oder "Gefährder" sind, so ist es doch aus ethischen Gründen abzulehnen, diese MENSCHEN in ein Kriegsland abzuschieben. Abgesehen davon, dass diese Zuschreibungen zu hinterfragen sind und wohl auch Fehler unterlaufen, sollten wir es uns leisten, diese Menschen in unserem Land nach unseren Gesetzen zu behandeln für Dinge, die hier geschehen sind.

Die meisten der hier wohnenden Afghanen nehmen regelmäßig an den Kundgebungen teil und sind sehr froh darüber, dass wir diese organisieren. Es ist auch eine Gelegenheit, dass sich alle zusammen als Gruppe fühlen, die trotz individueller Verschiedenheit, Konflikten untereinander und auch gegenseitigem Misstrauen, gemeinsame Fluchtgründe verbindet.

Bei den Kundgebungen werden auch nachdenkliche Töne hörbar, Traurigkeit hat ihren Platz und auch Zorn über die ignorante Vorgehensweise des BAMF. Mit den Klängen zu afghanischen Musikinstrumenten machen wir die Welt hörbar, aus der diese Menschen kommen.

Es ist gut, dass es an unserm Ort Menschen wagen, sich öffentlich zu zeigen mit ihrer solidarischen Meinung und Haltung. Wir glauben, dass dies, mit allen anderen Aktivitäten zusammen, den öffentlichen Raum positiv beeinflusst.

Traumatisierte Menschen brauchen Gehör

Einige der geflüchteten jungen Männer besuchen besondere Schulklassen, um die deutsche Sprache besser zu lernen und sich mit dem deutschen Bildungssystem vertraut zu machen. Es gibt nun erfreulicherweise über die Schulen ein kleines Projekt, das besonders traumatisierten jungen Menschen helfen soll, ihre Stärken zu entdecken.

Ebenso kommen so langsam ein paar wenige in eine psychotherapeutische Betreuung. Meine Suche nach Plätzen für eine Traumatherapie, die örtlich und zeitlich in erreichbarer Nähe sein muss, geht ebenfalls weiter. Da die Kostenübernahme durch das Landratsamt in allen Fällen eine große Hürde ist, besonders für Menschen, die noch keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis haben, ist das Wartenkönnen eine Herausforderung.

Eine passende Arbeit oder Ausbildung zu finden, wäre ebenfalls ein Weg, um mit belastenden Erinnerungen besser umgehen zu können. Auch hier braucht es Fingerspitzengefühl und natürlich Glück, um geeignete Plätze zu finden.

Der dauerhaft gehaltene Gesprächsfaden zu Menschen, die immer wieder in Depression und Verwirrtheit versinken, ist ein weiteres Angebot, das ich bestimmten Personen anbiete. Oft hinterlassen sie eine Traurigkeit, die noch einige Zeit in meinem Zimmer hängen bleibt. Wenn sie sich dann verabschieden, legen einige besonders großen Wert auf einen kurzen Kontakt zu Michael, den sie als liebevolle Stütze empfinden und ich sehe Tränen in ihren Augen, wenn sie einander umarmen.

Vom Ende her ins Licht

Am Jahresende ging auch der lange Leidensweg unseres jungen Schwiegersohns zu Ende, der nun unsere Tochter mit drei kleinen Kindern hinterlässt. Wir haben die letzten Jahre vieles über Sterben und Abschiednehmen erfahren und mitgetragen. Aber auch gelernt, wie stark und frei sie geworden sind, weil der Mut - und die Zeit - da waren, ihre Beziehungen weitestgehend zu klären.

Und durch den Kontakt zu Kriegsflüchtlingen erlebte ich gleichzeitig den Unterschied, den es macht, wenn man aus dem Krieg heraus schon emotional abgestumpft und zerstört, die vielen Tode von Nahestehenden und Nachbarn erleben und hinnehmen muss. Dadurch konnte ich unsere Art des Trauerns anders betrachten und es relativierte sich einiges. Wir sind in vielerlei Hinsicht sehr privilegiert - und dennoch ist jeder Abschied schmerzhaft.

Den Winter hinter uns lassen

In den letzten beiden Tagen wurden wir hier ganz zugeschneit. Die schweren Schneeberge machen den Tag zwar heller, aber vieles auch mühsamer. Aus der Asylunterkunft erreichten uns Hilferufe nach Grippemedikamenten für Geflüchtete. Der Weg zur Schule und zur Arbeit ist für alle erschwert. Wir sind dankbar, dass wir es ohne Mühe warm im Haus haben. Aber trotzdem gab es unter dem Schnee verborgen, die ersten Schneeglöckchen, ein Winterling wagte, sein gelbes Köpfchen herauszustrecken. Die Tage werden länger und unsere Herzen freuen sich auf den Frühling.

Fußnoten

Veröffentlicht am

01. April 2018

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