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Iran: Szenarien der Eskalation

Israel greift das Bürgerkriegsland Syrien immer häufiger an, um dort die Präsenz und den Einfluss Teherans zurückzudrängen

Von Sabine Kebir

Etliche ausländische Mächte, die in Syrien verdeckt oder offen militärisch eingreifen, begründen das seit 2011 mit dem angeblich alternativlosen Kampf gegen das Assad-Regime. Seit 2014 wird der Syrien-Interventionismus vornehmlich mit dem Vorgehen gegen den Islamischen Staat (IS) zu legitimieren versucht oder dem notwendigen Beistand für die Kurden. Inzwischen hat sich das einst als äußerst gefährlich eingestufte IS-Kalifat in Syrien in Luft aufgelöst. Davon zeugt allein die Tatsache, dass es - abgesehen von einem Ausweichen in die Nordprovinz Idlib - keine größeren Gefangenencamps für IS-Milizionäre gibt. Klar erkennbar rückt inzwischen besonders bei Israel das Motiv in den Vordergrund, in Syrien einzugreifen, um die dortige Präsenz Irans zurückzudrängen und Einfluss auf die sich anbahnende Nachkriegsordnung zu nehmen. Die Ereignisse der vergangenen Woche, der Angriff auf die von Israel besetzten Golan-Höhen wie dessen Schläge gegen iranische Basen in Syrien, haben gezeigt, welches Eskalationspotenzial dabei freigesetzt werden kann.

Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges vor mehr als sieben Jahren unterhielt Israel mit Syrien Beziehungen einer konfrontativen Koexistenz, die gegen jähe Wendungen einigermaßen gefeit schien. Es gab das stille Einvernehmen, nach den Kriegen von 1967 und 1973 den erneuten militärischen Crash zu vermeiden. Das schloss die Option ein, zum Status der 1981 von Israel annektierten syrischen Golanhöhen eine Verhandlungslösung zu finden, wozu jedoch zwischen beiden Staaten nie direkt sondiert wurde. Unabhängig davon bediente - bis zu ihrem Abzug im April 2005 - die syrische Armee mit ihrer Präsenz im Libanon objektiv israelische Interessen. Dank dieser Ordnungsmacht konnten die Bäume des palästinensischen Exils ebenso wenig in den Himmel wachsen wie die der Hisbollah.

Gezielte Schläge

Seit jedoch in Syrien die Machtfrage gestellt wird, ist es mit dem Kalten Frieden zwischen Tel Aviv und Damaskus vorbei. Für die Regierung Netanjahu gilt vor allem ein Axiom: Syrien darf für Iran kein regionaler Brückenkopf werden. Nach einigen Warnschüssen scheint die Zeit der gezielten Schläge angebrochen zu sein. So hat die israelische Armee am 9. April den Flugplatz T4 nahe der Stadt Homs mit Raketen beschossen. Der französisch-israelische TV-Sender Israel 24 erklärte den Angriff zum Akt der Vergeltung für den angeblichen Giftgaseinsatz syrischer Regierungsstreitkräfte am 7. April in Duma, ergänzt um den Hinweis, dass sich auf T4 auch iranisches Militär sowie Einheiten der libanesischen Hisbollah aufhielten: Formationen, bei denen es sich um das Hilfskorps syrischer Bodentruppen handelt, die seit 2011 ein Drittel ihrer Soldaten verloren haben. Entrüstet vermerkte der TV-Kanal weiter, Russland habe ein mit Israel vereinbartes Schweigeabkommen gebrochen, wonach man sich gegenseitig über Militäraktionen informiere, davon aber nichts nach außen dringen dürfe. Tatsächlich war der Schlag gegen das Objekt T4 durch eine Mitteilung aus Moskau bekannt und Israel zugeordnet worden.

Um zu verhindern, dass iranisches Militär bis zu seiner Nordgrenze vorstößt, hat Israel seit Jahren islamistische Gruppen im Süden Syriens unterstützt und sich in dieser Region eine militärische Einflusszone gesichert, die bis zu 30 Kilometer tief in den Nachbarstaat hinreicht.

Hat sich Russland entschlossen, nach dem Angriff vom 9. April den Schweigepakt zu brechen, bietet sich dafür vorzugsweise eine Erklärung an: Man ist in Moskau der Auffassung, dass Israel eine vereinbarte rote Linie übertreten hat. Bis dahin war Russland offenbar bereit, bei seinem Engagement in Syrien die Sicherheitsinteressen Israels anzuerkennen. Wie Israel 24 berichtet, existiert seit November 2017 eine vertragliche Abmachung, in der Russland den USA wie Jordanien zusichert, dass alle nicht syrischen Kämpfer, auch die der Hisbollah, den Süden Syriens verlassen. Doch habe Premier Netanjahu schon damals insistiert, diese Konzession reiche nicht aus. Iranische und mit Iran verbündete Kombattanten müssten syrisches Territorium in Gänze verlassen. Die Serie jüngster Angriffe auf Ziele in Syrien soll dieser Forderung vermutlich Nachdruck verleihen.

Das vorherrschende Ziel

Wozu sich Israel von seinen westlichen Verbündeten völlige Schießfreiheit ausbedungen hat. So wurden auch am 29. April in den Provinzen Hama und Aleppo Militärbasen, in denen Iraner vermutet werden, mit Raketen attackiert. Erneut eine israelische Operation, wie allenthalben gemutmaßt wird. Einen Tag später erklärte Benjamin Netanjahu, "die größte Gefahr für die Welt und unsere beiden Länder" (Israel und die USA, Anm. d. Red.) sei "das Erstarken eines militanten Islam, der sich mit nuklearem Potenzial ausrüstet". Teheran sei "der größte Finanzier des internationalen Terrorismus" und versuche, "ein Land nach dem anderen zu erobern". Israels Geheimdienste hätten 1.500 Dokumente zusammengetragen, die beweisen, dass Iran entgegen der eingegangenen Verpflichtungen sein Programm nuklearer Aufrüstung fortsetzt. Damit wurde nicht nur Donald Trump eine Steilvorlage geliefert, den Atomvertrag zu kündigen, sondern zugleich der Druck auf die EU erhöht, eine Schießfreiheit anzuerkennen, die künftig neben Syrien auch Iran gelten könnte.

Vorherrschendes Ziel nach der Kündigung des Atomabkommens durch die USA sei nun der Sturz des "iranischen Regimes", spekulieren israelische Medien. Wie fragil das sei, hätten die Unruhen Ende 2017 gezeigt. Dabei ist unbestreitbar, dass die seinerzeit aufgebrochene Empörung über eine missliche wirtschaftliche Lage nirgendwo so weit ging, sich einen vom Ausland provozierten regime change zu wünschen. Jetzt, nachdem Donald Trump Iran mehr denn je zum Gegner erklärt hat, wird sich daran erst recht nichts ändern.

Ganz anders stellt sich das für den gesamten Nahen Osten dar. Es könnten Dämme brechen, die bisher einen nuklearen Rüstungswettlauf aufhielten, sollte Teheran seinem Atomprogramm wieder nähertreten. Nicht nur Saudi-Arabien, Ägypten könnte ebenfalls versucht sein, sich Kernwaffen zuzulegen. Auch die inoffizielle Atommacht Israel dürfte kaum untätig bleiben. Dass damit Sicherheitsinteressen der europäischen Staaten im Kern berührt sind, steht außer Frage. Was nur heißen kann, Trump und Netanjahu in die Schranken zu weisen.

Quelle: der FREITAG vom 12.05.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

13. Mai 2018

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