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Syrien: Islamistische Internationale

Es sind nicht zuerst religiöse Bruchlinien, die zu Schlachten wie jetzt um Ost-Ghuta führen

Von Sabine Kebir

Wenn ich vor Jahren in Damaskus eine Moschee betreten wollte, genügte es, mir die Kapuze meines Anoraks auf den Kopf zu schieben. Einmal jedoch wurde ich am Eingang blitzschnell von resoluten Männerhänden festgehalten, und eine Frau zog mir einen Tschador über - ich war in der von Iran unterstützten schiitischen Saiyida-Zainab-Moschee gelandet. Der grobe Empfang war immerhin ein Zeichen, dass Ungläubige die Moschee betreten durften, was in der Welt des Islam nicht überall gilt. Ich konnte dann heftig weinende Frauen beobachten, die sich um einen mit goldenen Ziselierungen bedeckten und von innen leuchtenden Schrein drängten, bis sie die schützende Glaswand berührt hatten. Dahinter lagen die Gebeine der Enkeltochter des Propheten, der Tochter Alis und Schwester Husains und Hassans.

Diese religiöse Inbrunst wird relativiert, zieht man in Betracht, dass gerade einmal zwei Prozent der Syrer Schiiten sind, noch einmal zwei Prozent Drusen, die als schiitische Abspaltung gelten. Das hat seit Jahrhunderten ebenso wenig praktische Relevanz wie die im Westen stets hervorgehobene angebliche Nähe zur Schia, die den Alawiten nachgesagt wird, jener Religionsgemeinschaft, der auch Präsident Assad angehört. Weder Drusen noch Alawiten neigen zu ähnlich emotional aufgeladenen Ritualen.

Die Basilika in der Moschee

Das Alawitentum war lange eine Geheimreligion, die Pflichten des Islam - vom Ramadanfasten abgesehen - als allegorisch vergeistigt verstand. Als bäuerliche Gruppe lebten die Alawiten in Bergregionen. Von den osmanischen Kalifen wurden sie als Ungläubige angesehen und mussten Steuern zahlen. Aus ihrer Unterdrückung befreiten sie sich allmählich durch regen Eintritt ins Militär, woraus im ab 1946 unabhängigen Syrien eine führende Rolle in Armee und Staat wurde, die man sich nicht als völlig totalitär vorstellen darf.

Wenn die Streitkräfte in den Jahren des Bürgerkrieges ab 2011 kaum unter schwindender Loyalität zu leiden hatten, deutet das an: Die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe hat kaum noch Bedeutung. Und wenn Michel Aflaq, einst Begründer der laizistisch geprägten Baath-Partei, ein Christ war, wurde offenbar, dass bald nach der Unabhängigkeit über Religionsgrenzen hinweg eine syrische Nation entstand. Es wäre verwunderlich, hätten Christen daran nicht teilhaben wollen. Schließlich konnten sie ihre Präsenz auf syrischem Territorium bis auf den urchristlichen Missionar Paulus von Tarsus zurückführen.

Wenige Dörfer - bekannt ist Maala - stellen bis heute das letzte Rückzugsgebiet des Aramäischen, der Sprache von Jesus, dar. Der Anteil der Christen an der Bevölkerung lag 1920 noch bei knapp einem Drittel, vor dem jetzigen Bürgerkrieg bei 15 Prozent. Da sie sich vom Staat geschützt fühlen, zählen sie weiter zu seinen Unterstützern.

Die weitaus stärkste religiöse Gruppe in Syrien sind mit etwa 70 Prozent die Sunniten. Im Unterschied zu den Glaubensbrüdern auf der Arabischen Halbinsel sind sie sich - wie auch die Ägypter - der in Koran und Sunna verankerten religiösen Verwandtschaft zu Juden und Christen immer bewusst geblieben. Immerhin wurde in Damaskus die große Umayyaden-Moschee im 8. Jahrhundert gebaut, indem Teile der vorherigen Basilika erhalten blieben. Jeder Besucher ist mit dem Schrein konfrontiert, der den Kopf von Johannes dem Täufer enthält. Der nicht fundamentalistische Islam sieht in ihm den Propheten Yahia, dem Allah - wie auch Jesus - den heiligen Logos schon in den Mutterleib sandte.

Während Sunniten in prosperierenden Städten (wie die Alawiten) schon lange als laizistisch anzusehen waren, konnte ihr sozialer Protest in ländlichen Regionen während der vergangenen Jahrzehnte oft religiöse Züge annehmen. In den 1970er Jahren entstand zudem in der Stadt Hama eine starke Gemeinde der Muslimbruderschaft, deren Aufstand 1982 vom Vater des jetzigen Präsidenten, Hafiz al-Assad, mit der Zerstörung eines ganzen Viertels niedergerungen wurde. Dabei sollen 30.000 Menschen umgekommen sein. Um der Behauptung der religiösen Unterdrückung der Sunniten durch eine alawitische Elite entgegenzuwirken, schränkte der Assad-Vater die öffentliche Präsenz der Alawiten ein und besuchte sunnitische Moscheen. Das setzte Nachfolger Baschar al-Assad ebenso fort, wie er auf Treffen mit christlichen Würdenträgern Wert legte. Er förderte wegen der Partnerschaft mit Iran auch das Schiitentum. Was dem historisch tief verwurzelten religiösen Synkretismus Syriens dienlich war und seiner Laizität eine günstige Basis verlieh.

Kurdische Hoffnung am Ende

Die sunnitische Mehrheit von einem Staatschef wie Assad zu befreien, war und ist nicht nur das erklärte Ziel des Westens, sondern - man muss es leider oft wiederholen - auch des IS und sunnitischer Milizen aus anderen, teilweise europäischen Ländern. Die Dominanz aus dem Ausland eingedrungener, schwer bewaffneter sunnitischer Aktivisten in einem seit sieben Jahren ausgetragenen Konflikt macht es wenig glaubwürdig, von einem "Volksaufstand" gegen religiöse Unterdrückung zu sprechen. Dass sich zu Beginn des Bürgerkrieges viel Empörung entlud, ging vielmehr auf entfesselte neoliberale Wirtschaftsformen zurück. Das Assad-Regime hatte sich dazu in der Hoffnung durchgerungen, seine internationale Isolierung zu mindern. Für die daraus resultierenden sozialen Verwerfungen trug es damit die Verantwortung. Immer mehr Syrer mussten Arbeit in den Golfstaaten suchen und waren als Sunniten durchaus für die dortigen islamistischen Parolen empfänglich. Dass sie jedoch aus religiösen Gründen islamistischen Milizen etwa in der Schlacht um Aleppo Ende 2016 die Treue hielten, ist weniger wahrscheinlich, als dass sie als menschliche Schutzschilde missbraucht wurden. Westliche Medien vermeiden diesen Begriff, obgleich er erfasst, was sich derzeit in Ost-Ghuta abspielt.

Auch wenn sich die Kurden, etwa ein Zehntel der Bevölkerung, als Sunniten betrachten, sind sie gegen sunnitisch-islamistische Propaganda resistent. Dass Kurden mit einem progressiven Gesellschaftsprojekt eine weitgehende Autonomie gegenüber dem Zentralstaat anstreben, hat nicht nur mit dessen neoliberaler Verfasstheit vor dem Bürgerkrieg zu tun. Über hunderttausend Kurden wurde jahrzehntelang die Staatsbürgerschaft mit der Begründung verweigert, sie seien aus der Türkei geflohen. Was aus Rücksicht gegenüber Ankara geschah. Nordsyrien war tatsächlich Rückzugsgebiet der PKK. Deren Aktionen hätten leicht dem syrischen Staat zugeschoben werden können. Der korrigierte sich 2011 mit dem Beginn der Feindseligkeiten und verlieh gut 51.000 Kurden die Staatsbürgerschaft. Wer das weiß, dem dürfte klar werden, dass die Invasion der Türkei in der Region Afrin dann zu Ende sein wird, wenn es wieder zu einer von beiden Staaten garantierten Grenzsicherung kommt, die sich mit der Verlegung syrischer Truppen nach Afrin bereits andeutet. Damit hat sich das Hoffen der Kurden auf ein eigenes Staatsgebiet erledigt. Ihre Zweckallianz mit den Amerikanern lässt jedoch erwarten, dass ihr Ringen um Autonomie von Damaskus länger anhält als der Krieg mit der islamistischen Internationale.

Quelle: der FREITAG vom 05.03.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

09. März 2018

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