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“Zum dritten Mal nicht aufgewacht” - neue Kriegsgefahr

Konstantin Wecker hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit dem neuen Bellizismus auseinandergesetzt: in Liedern wie "Der Krieg", in vielen Auftritten und in einem Buch: "Entrüstet Euch" mit Margot Käßmann. Seine Haltung ist gekennzeichnet durch Treue zum Geist des Pazifimus - die Entschlossenheit, unter keinen Umständen Gewalt anzuwenden. Von "Frieden" reden ja heute selbst die schlimmsten Kriegstreiber. In diesem Abschnitt aus der großen Wecker-Biografie "Das ganze schrecklich schöne Leben" fasst Roland Rottenfußer die wichtigsten Statements des Künstlers zum Thema "Neuer Kalter Krieg" zusammen.

Wenn man die politischen Lieder aus "Wut und Zärtlichkeit" heute mit etwas Abstand anhört, strahlen sie vergleichsweise geradezu eine unernste Leichtigkeit aus, als habe Konstantin Wecker damals noch gemeint, die Gespenster von Krieg und Unmenschlichkeit mit Spott verscheuchen zu können. Als wäre die Gefahr zu bannen, indem man Börsianern in seiner Fantasie die Hosen runter zieht, Heckler und Koch als Möchtegern-Pazifisten verhöhnt, sich Karl-Theodor zu Guttenberg auf der Toilette und Angela Merkels mit hervorquellendem Dekolleté vorstellt. Die CD war ein Hauptwerk des kabarettistischen Wecker gewesen und "funktionierte" als solche prächtig. In den Jahren danach wehte Antifaschisten und Kriegsgegnern jedoch ein deutlich schärferer Wind entgegen. Der leichte Tonfall der CD von 2011 (vom wuchtigen "Empört euch" einmal abgesehen) verstummte angesichts eines tiefen Erschreckens Konstantin Weckers darüber, wozu die Weltenlenker in In- und Ausland 70 Jahre nach Kriegsende fähig waren.

Bekenntnisse des Künstlers zum Pazifismus hatten sich während der gesamten 2000er und 2010er-Jahre wiederholt, so schon in einem Interview, das ich 2007 mit Konstantin geführt hatte und während des Friedenskongresses in Tübingen im selben Jahr, bei dem seine Vorbilder Arno Gruen und Hans-Peter Dürr anwesend gewesen waren. Auch war Konstantin regelmäßiger Gast bei den Demonstrationen anlässlich der unsäglichen jährlichen "Sicherheitskonferenzen" im Hotel Bayerischer Hof (München), quasi vor seiner Haustür. Er verlas dort von improvisierten Bühnen Pamphlete und sang - meist "Absurdistan", "Empört euch" und "Sage nein". Und wenn er einmal keine Zeit hatte, selbst anwesend zu sein, ertönten die Lieder aus dem Lautsprecher eines Begleitfahrzeugs. Wichtig waren Konstantin dabei immer zwei Feststellungen:

  1. Für Konstantin Wecker ist Pazifismus eine Form des Selbstschutzes gegen eigene "kriegerische Anwandlungen". Die vermeintlich utopische Weltanschauung ist eine Absicherung dagegen, sich doch einmal für irgendwelche Ziele - und seien es "linke" - dazu hinreißen zu lassen, Gewalt zu befürworten. Gleichzeitig möchte Wecker seine eigene "vehemente" Art des Auftretens nicht als Widerspruch zum Pazifismus verstanden wissen. "Was politische Gegner an mir ‚aggressiv’ nennen, möchte ich eher kraftvoll nennen. (…) Ich finde nicht, dass jemand, der für den Frieden ist, zu einem durchweg sanften Wesen verpflichtet ist."
  2. Ein Bekenntnis zum Frieden genügt nicht in einer Zeit, in der selbst die Kriegstreiber dieses Wort wohlfeil im Mund führen und Bombenabwürfe auf Zivilisten als "friedensschaffende Maßnahmen" preisen. Pazifismus muss mehr sein: das klare Bekenntnis zur Gewaltfreiheit unter allen denkbaren Umständen. Man denke hier etwa an ein Lied aus dem Jahr 1982, das Joan Baez noch 2015 bei ihrem Auftritt in München gecovert hatte: "Wenn unsere Brüder kommen/ mit Bomben und Gewehren,/ dann wollen wir sie umarmen,/ dann wollen wir uns nicht wehren." Auch in diesem Zusammenhang verwehrt sich der Künstler gegen den Vorwurf, Pazifisten seien soft, passiv, gar feige. "Ich habe festgestellt, dass gerade Leute, die sich aktiv in der Friedensbewegung engagieren, keine Probleme damit haben, sich als Pazifisten zu bezeichnen. Warum? Ich glaube, sie merken durch ihre Arbeit, dass Pazifismus etwas Tätiges ist, das nichts mit einem untätigen Warten auf friedliche Zeiten zu tun hat. Wer in Krisengebieten vor Ort ist, um sich für Frieden einzusetzen, braucht allemal mehr Mut als diejenigen, die in Deutschland vom Schreibtisch aus die Notwendigkeit von Kriegen erklären."

Dem ewig schwelenden Krieg in Afghanistan, gegen den sich Konstantin Wecker von Beginn an gewehrt hatte, gesellte sich 2013 ein neuer, noch gefährlicher erscheinender Konfliktherd hinzu: Mit der so genannten Ukraine-Krise und der Besetzung der Halbinsel Krim durch Putins Russland schien kaltkriegerisches Getöse - man hatte es seit der Ära Gorbatschow überwunden geglaubt - wieder salonfähig geworden zu sein. Wie sich die Bilder gleichen: Wecker, der frühere vermeintliche Saddam-Freund, stand nun als Putin-Versteher da, weil er zur Besonnenheit mahnte. Dabei konnte sich der Liedermacher in seinem früheren Widerstand gegen den Irak-Krieg durch die jüngeren historischen Erkenntnisse durchaus bestätigt fühlen. Der Angriff auf Irak seit dem 20. März 2003 und die Besetzung durch die USA hatten laut einer US-Studie einer halben Million Iraker das Leben gekostet. Die Ergebnisse waren und sind desaströs: zerstörte Regionen und traumatisierte Menschen bereiteten einen idealen Nährboden für ein Phänomen, das später als "Islamischer Staat" bekannt wurde.

Wie so oft, war auch 10 Jahre danach das erste Opfer im Krieg die Wahrheit. Im April 2014 teilte Jay Carney, Sprecher des Weißen Hauses, mit, es gebe "erdrückende Beweise" dafür, dass Russland in der Ostukraine Unruhe stifte. Wecker schrieb hierzu in sein Webtagebuch: "Erinnert die Wortwahl nicht fatal an jene ‚erdrückenden Beweise’, die George W. Bush den Vorwand zum Einmarsch in den Irak lieferten? Das ist über zehn Jahre her, und es ist erschreckend, wie lückenhaft das Gedächtnis der Menschheit ist, wenn es um Kriegslügen geht." Weckers Angriffe trafen nicht nur die "politische Kaste", die - allen voran Bundespräsident Gauck - kräftig in die Kriegstrompeten trötete; auch die Mainstream-Medien ließen sich schockierend leicht auf Kriegskurs einschwören. "In den Jahrzehnten, in denen ich mich bewusst mit Nachrichten und Zeitungen beschäftige, habe ich niemals annähernd eine derartige Propagandaschlacht erlebt wie heute. (…) Wie macht man ein friedliebendes Volk kriegslüstern? Man hat dies u.a. zu Beginn des Ersten Weltkriegs gesehen: durch Propaganda, durch Erfindungen und Lügen, durch die Erschaffung eines Feindes. War es nicht immer schon so? Die Menschen wollen keinen Krieg, bis man dieses Wollen durch gezielte PR in die richtigen Bahnen lenkt."

Immer wieder lenkt Konstantin den Blick auch auf wirtschaftlichen Profit als wahre Ursache für Kriegshandlungen. Und er zerlegt die Scheingründe der Bellizisten, die Humanität erfordere in einigen Fällen das Eingreifen der "freien Welt", die Annahme, Frieden sei zwar gut und schön, jedoch erst später, nachdem Unruheherde - natürlich mit Waffengewalt - "befriedet" worden seien. "Was wäre, wenn wir einige der Waffen, die wir jetzt an die bedrängten Kurden liefern, schon bald in den Händen islamistischer Kämpfer sehen würden - etwa in Mali, Zentralafrika oder Nigeria? Was wäre, wenn all dieser Wahnsinn wohlgelitten wäre, um immer wieder aus ‚humanitären Gründen’ eingreifen zu können, wieder Waffen verkaufen zu können und die Welt in Unruhe zu halten? Es wäre ehrlicher, zuzugeben, dass das kapitalistische System immer wieder Kriege braucht, um sich am Leben zu halten."

Aus diesen Beobachtungen folgt der Aufruf zum Widerstand: "Wenn die maßvollen und vernünftigen Kräfte es nicht schaffen, eine gewaltige internationale Friedensbewegung auf die Beine zu stellen, die ein eindeutiges ‚Mit uns nicht!’ skandiert, kann es passieren, dass Europa wieder in einem Krieg verbrannt wird." Wie immer holt sich Konstantin (friedliche) Schützenhilfe von prominenten Gleichgesinnten. Neben Arno Gruen, Hans Peter Dürr und dem rhetorischen Genie des Pazifismus, Eugen Drewermann, gehörte hierzu vor allem Margot Käßmann, die zurückgetretene ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche. Für deren damaligen Rücktrittsgrund, Trunkenheit am Steuer, vermochte Konstantin schon seinerzeit nicht die erforderliche Entrüstung aufzubringen. Stattdessen vermisste er schmerzlich die öffentliche Stimme einer Frau, die von Anfang an eine aufrechte Streiterin gegen den Afghanistan-Krieg gewesen war - auch im Widerstreit zu Teilen "ihrer" Evangelischen Kirche.

Käßmann und Wecker trafen sich Ende 2014 zum öffentlichen Gespräch und gaben im Frühjahr darauf - 101 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs - eine Textanthologie heraus: "Entrüstet Euch. Warum Pazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt". Von Konfuzius und Franz von Assisi bis hin zu modernen Autoren wie Friedrich Schorlemmer und Jörg Zink hatten die Herausgeber einiges an Unterstützung aufgeboten. "Auch um der nur allzu offensichtlich kriegsfreundlichen Meinungsmache in den großen Medien etwas entgegenzusetzen, haben wir uns entschlossen, dieses Buch herauszugeben. Unser ‚Duett’ soll zu einem ganzen Chor aufrechter und kluger Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart anschwellen, der mit aller Vehemenz für die Sache des Friedens eintritt."

Weckers Hauptvorwurf an große Teile der Öffentlichkeit war es, in einer historischen Herausforderung versagt zu haben, obwohl sich Parallelen aus der Geschichte, von denen man hätte lernen können, geradezu aufdrängten. Die Kriegsangst, die damals in "linken" Kreisen heraufbeschworen wurde, mag im Rückblick übertrieben erscheinen - kein dritter Weltkrieg ist bisher ausgebrochen; in Wahrheit ist die Krise keineswegs aus der Welt verschwunden, lediglich aus den Schlagzeilen. Wie so oft, dachte Wecker auch hier in einem übergreifenden Kontext - und erntete Hohn und Spott. Wer gegen Krieg ist, ist eben in jedem System nur historisch hoch angesehen.

Der Sündenfall der neudeutschen Renaissance des Krieges war vor allem das Massaker von Kundus in Afghanistan (2009), befohlen vom damaligen Oberst und heutigen General Klein. Dieser dramatische Vorfall mit 140 überwiegend zivilen Toten wurde seinerzeit von der veröffentlichten Meinung nur allzu leichtfertig "verdaut". Über die opferreichste deutsche Kriegshandlung seit dem Zweiten Weltkrieg schrieb Wecker während seines "Ohne Warum"-Inspirationsschubs Anfang 2014 sogar ein eigenes Lied:

So hat es begonnen zweitausendundneun,
da haben wir uns wieder verschuldet.
Da wurde in Deutschland schäbiger Mord
Von höchster Stelle geduldet.

Diese vermaledeite Tat,
sie will mir nicht aus dem Sinn,
und wenn wir heute wieder marschieren,
dann war sie der Beginn.

Alles vergessen, was früher war,
all die verstümmelten Horden.
Deutschland schickt sich wieder an,
im Namen der Freiheit zu morden.

Äußerst dramatisch auch die düstere Vertonung des berühmten Gedichts "Der Krieg" von Georg Heym, das den zentralen Vorwurf des Künstlers widerholt: Die durch die "Gnade der späten Geburt" in friedliche Zeiten hineingeborenen Nachkriegsdeutschen versagen im Ernstfall ebenso wie ihre viel gescholtenen Vorfahren 100 und 70 Jahre zuvor - eine tiefe Enttäuschung für jemanden, der doch immer wieder Hoffnung gehegt und anderen weitergegeben hatte. Wecker fügt an das Gedicht Heyms eigene Verse an, um die historischen Parallelen überdeutlich zu machen:

Und schon wieder hört man herrisch Krieger schrei´n,
aus den Dunkelheiten droht ihr Widerschein.
Wieder wälzt sich die Vernunft dumpf in Gewalt,
abgestorben ist das Hirn. Das Herz ist kalt.

Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.
Bleiche Kinder fleh´n uns händeringend an:
Macht ein Ende mit dem Irrsinn irgendwann.

Irgendwann? Nein jetzt. Wir müssen seh´n,
wie wir den Gewalten widersteh´n.
Denn sonst heißt es wieder eines Tages dann:
Seht euch diese dumpfen Bürger an.
Zweimal kam der große Krieg mit aller Macht.
Und sie sind zum dritten Mal nicht aufgewacht.

Obwohl die Zeiten schon damals, Anfang 2014, keinen Anlass zu übermäßigem Optimismus gaben, hätte sich Konstantin Wecker wohl nicht träumen lassen, dass schon am Ende desselben Jahres sein zweiter schlimmer Alptraum wahr werden würde: ein Wiedererstarken der Rechten in Deutschland. "Ich wollte mit meinen Liedern die Welt verändern. Jetzt hat sie sich verändert - aber ich war’s nicht". Das war schon seit einigen Jahren der Running Gag in vielen Wecker-Konzerte gewesen. Mehr als je zuvor schien nun jedoch "die ganze Welt den Arsch offen" zu haben, schien sich der Zeitgeist völlig konträr zu dem zu entwickeln, was er aus gereifter Erfahrung für gut und richtig hielt. "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" war der tief empfundene Schwur des geteilten Nachkriegsdeutschland gewesen. Nun zündelte eine neue Generation friedens- und idealismusmüder Deutscher mit den Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte und spöttelete in zynischem Relativismus über die Bedenken altlinker "Gutmenschen" hinweg. "Gern wieder Krieg, gern wieder Faschismus", schien nun das Motto zu lauten.

Konstantin Wecker, Günter Bauch, Roland Rottenfußer: Konstantin Wecker: Das ganze schrecklich schöne Leben. Die Biografie. Gütersloher Verlagshaus, 477 Seiten, € 24,99

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 23.01.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Roland Rottenfußer.

Veröffentlicht am

28. Januar 2018

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