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Japan: Lust auf Muskeln

Mit dem Handelskrieger Trump in einer Front gegen Nordkorea

Von Michael Krätke

Arm in Arm mit Donald Trump - trotz dessen notorischer Neigung, jedes Fettnäpfchen zu treffen, das am Wege liegt - zeigte sich Shinzo Abe jüngst in Tokio. Beim Japan-Besuch des US-Präsidenten vor wenigen Tagen kam eher Japans Regierungschef in die Bredouille. Nicht genug damit, dass er Trump beim Golfen klar unterlag, stürzte er auch noch, erfasst von der Kamera eines Fernsehhelikopters, in eine Sandgrube und hatte Mühe, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Das entsprach so gar nicht dem stoischen Stehvermögen, um das sich der Premier bei den Verhandlungen mit den Amerikanern bemüht hatte. Die USA würden seit "vielen, vielen Jahren" unter einer aggressiven Handelspolitik leiden, hatte Trump beklagt. Jedes Jahr würden Millionen Fahrzeuge aus Japan in die USA verkauft. "Und praktisch keine Autos kommen von den USA nach Japan." Er hoffe, dass man sich darauf verlassen könne, dass Premier Abe wie angekündigt in großem Stil US-Militärgüter kaufen werde.

Pazifischer Pazifismus

Diese Erwartung dürfte nicht vergeblich sein, wofür die vorgezogenen Parlamentswahlen vom 22. Oktober bürgen, die Abes Liberaldemokraten (LDP) zum dritten Mal seit 2012 gewinnen konnten und nun mit komfortabler Mehrheit das Unterhaus dominieren. Zusammen mit dem kleineren Koalitionär, der Komeito, verfügt die LDP über eine knappe Zwei-Drittel-Majorität, die bei 313 von 465 Sitzen liegt. Diese Vormacht wird es Abe erlauben, die Verfassung zu ändern, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Der Atomkonflikt zwischen Pjöngjang und Washington, besonders der Flug einer nordkoreanischen Rakete Mitte September quer über japanisches Hoheitsgebiet, geben ihm Rückenwind. Er will der eigenen Armee - offiziell Selbstverteidigungskräfte genannt - wieder vollen Spielraum geben. Bislang ist es Regierungen in Tokio untersagt, Kriege zu erklären oder zu führen, zulässig ist allein, was einer strikten Selbstverteidigung dient. Umso mehr sind die streng pazifistischen Maximen der Magna Charta für die politische Klasse schon lange obsolet. Im Blick auf die Rivalen China und Russland würde sie gern den militärischen Muskel trainieren und spielen lassen. Was für Abe nicht einfach werden dürfte - trotz des Wahlsieges. Denn Japans Zivilgesellschaft denkt nach wie vor pazifistisch, auch wenn die Opposition konservativer und linker Parteien (darunter die kurz vor der Wahl neu gegründete Partei der Hoffnung) schwach bleibt.

Selbst die konservative Presse verfolgt Abes Pläne mit erkennbarer Zurückhaltung. Sollte er ein Gesetz zur Korrektur der Verfassung einbringen und zwei Drittel des Parlaments stimmen zu, muss innerhalb von sechs Monaten ein Referendum anberaumt werden, das entscheidet, was geschehen soll - Ausgang unsicher. Doch ist für Abe eine offensive Ausrichtung der Streitkräfte unerlässlich, um einem mit den USA kompatiblen Kurs gegenüber Nordkorea folgen zu können. Man sei in dieser Hinsicht "zu hundert Prozent auf einer Linie", so der Premier auf der Pressekonferenz während des Trump-Besuchs.

Freilich ist solcherart Bekennermut alles andere als populär. Umfragen nach der Wahl ergaben, dass zwischen 46 und 59 Prozent der Japaner mit Abes Außenpolitik unzufrieden sind. Nur fehlt es seinen Gegnern an Format und Konsequenz, den in etliche Skandale verstrickten Premier zu stellen. Nicht einmal vor dem jüngsten Parlamentsvotum kam eine geschlossene Front gegen die LDP zustande, obwohl die Verfassung auf dem Spiel stand.

Auch blieb Abes Wirtschafts- und Finanzpolitik, Abenomics genannt, lange ohne Wirkung. Die Deflationsgefahr schien trotz einer Politik des lockeren Geldes, wie sie die Bank von Japan betrieb, nicht gebannt. Zwar wurde der Kurs des Yen gedrückt, doch blieb die Inflationsrate marginal. Dennoch erfuhr das Land einen Aufschwung, wenn auch in Zeitlupe wegen des schwachen Wachstums. Zuletzt fielen die Reallöhne im Schnitt um 0,8 Prozent, obwohl sich die Unternehmen um jüngere, gut ausgebildete Arbeitskräfte reißen, wenn Überalterung den Arbeitsmarkt beeinflusst. Das prinzipielle Problem der Abenomics bleibt: Die Regierung versucht einer Exportindustrie, beherrscht von multinationalen Konzernen, die alte Größe zu erhalten, obwohl sich die Wirtschaftsstruktur stark verändert hat und die Dienstleistungsbranche zum Wachstumsmotor avancierte, während beim industriellen Export Terrain an die Wettbewerber Südkorea und China verloren ging. Und das unwiderruflich.

Billionen für die Bildung

Also hat Shinzo Abe im Wahlkampf fast emphatisch für mehr öffentliche Investitionen plädiert. Das lange für sakrosankt erklärte Ziel, bis 2020 einen Primärüberschuss im Staatshaushalt zu erzielen, wurde aufgegeben. Bei den erzkonservativen Liberaldemokraten gibt es keinen Schwarze-Null-Fetischismus mehr, trotz einer Gesamtverschuldung von 240 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Was funktioniert, weil als Gläubiger vorwiegend japanische Finanzinstitute fungieren. Das Geheimnis der ewigen Staatsschuld, dieses Basisphänomens im modernen Kapitalismus, haben die Japaner weit besser verstanden als die schwerfälligen Deutschen. Abe konnte daher sein Versprechen erneuern, die gebührenfreie öffentliche Erziehung an Schulen und Universitäten weiterhin zu garantieren. Dazu kündigte er an, zwei Billionen Yen zusätzlich in Bildung und Kinderbetreuung investieren zu wollen. Finanziert werden sollen die zusätzlichen Ausgaben, die Abe als Stimulus für mehr Produktivität zu preisen weiß, mit einem zweiprozentigen Anstieg der Umsatzsteuer auf Konsumgüter, die dann bei zehn Prozent läge.

Japan beansprucht nach der Absage der USA an das Transpazifische Handelsabkommen TPP die Führungsrolle in einer neuen regionalen Partnerschaft und profitiert davon, dass ein Handelsabkommen zwischen Japan und der EU vor dem Abschluss steht. Da die USA trotz aller Beteuerungen Trumps nicht mehr als verlässlich gelten, und China den demonstrativen Einsatz bewaffneter Macht nicht scheut, will Abe über eine militärische Option verfügen, um Japans Stellung in Ostasien zu halten.

Quelle: der FREITAG vom 29.11.2017. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

29. November 2017

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