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Flüchtlinge ertrinken vor laufenden Kameras

Vor der libyschen Küste sind mehrere Flüchtlinge ertrunken, weil ein Schiff der libyschen Küstenwache ihre Rettung behindert hat.

Von Daniela Gschweng

Wahrscheinlich hätte niemand sterben müssen, wenn die libysche Küstenwache sich anders verhalten hätte, sagt Johannes Bayer, Einsatzleiter einer Sea Watch-Mission auf dem Mittelmeer, bei der am 6. November fünfzig Menschen starben.

Es ist ein dokumentiertes Beispiel einer Tragödie, wie sie sich im Mittelmeer wohl häufig abspielt, und vor der wir gerne die Augen verschließen. Die Nichtregierungsorganisation wirft der libyschen Küstenwache vor, durch aggressives Vorgehen Angst und Panik verbreitet und dadurch den Tod vieler Menschen verursacht zu haben. Ziel sei es offensichtlich gewesen, möglichst viele Menschen zurück nach Libyen zu bringen, was gegen das Völkerrecht verstoße. Das berichtet unter anderen BuzzFeed .

Eine anfangs gut koordinierte Rettungsaktion

Geschehen ist Folgendes: Am 6. November 2017 setzt ein Schlauchboot mit Flüchtlingen aus internationalen Gewässern vor der libyschen Küste einen Notruf ab. In der Nähe befinden sich die "Sea Watch-3", ein Schiff der französischen Marine, ein Hubschrauber der italienischen Marine und ein Schiff der libyschen Küstenwache.

Die führende Rolle beim Rettungseinsatz übernimmt das dafür am besten ausgerüstete Schiff, die "Sea-Watch 3". So ist es bei Notfällen auf See üblich. Koordiniert wird der Einsatz von der Rettungsleitstelle in Rom.

Als die "Sea-Watch 3" bei dem Schlauchboot eintrifft, befinden sich bereits Menschen im Wasser. Sie kommuniziert per Funk mit den italienischen und französischen Beteiligten und versucht, das libysche Kriegsschiff zu erreichen, das etwa gleichzeitig vor Ort eintrifft.

Mit dem Eingreifen der LYCG wird es chaotisch

Die libysche Küstenwache (Libyan Coast Guard, LYCG) reagiert zunächst nicht und versucht dann, den Rettungseinsatz zu übernehmen, obwohl die "Sea-Watch 3" die Übernahme aller Flüchtlinge zugesichert hat. Das zeigt ein Video , das Sea Watch veröffentlichte, sowie die aufgezeichneten Funksprüche .

Während die "Sea-Watch 3" beginnt, die ersten Menschen an Bord zu nehmen, nähert sich das Schiff der Küstenwache, überfährt das sinkende Schlauchboot fast und nimmt es längsseits - ein erfahrungsgemäß schlechtes Vorgehen, bei dem leicht Panik ausbricht. Das eigene Rettungsboot sowie die Rettungsringe benutzten die Libyer nicht. Menschen, die aktiv helfen, sind im Video nicht zu sehen.

Das Schlauchboot verliert Luft, Menschen springen ins Wasser. Etliche klettern an Bord des LYCG-Schiffes, einige versuchen später, zurück ins Wasser zu springen. Wahrscheinlich aus Angst, sie würden nach Libyen zurückgeführt. In einem anderen Video ist zu sehen, wie Flüchtlinge von Angehörigen der Küstenwache mit einem Seil geschlagen werden . Die "Sea-Watch 3" versucht, so viele Menschen wie möglich in die Rettungsboote zu bekommen, 58 können gerettet werden.

Als sich das Schiff der LYGC mit hoher Geschwindigkeit entfernt, hängt noch ein Mann an der Seite des Schiffs. Das Schiff wird von dem italienischen Helikopter mehrmals und vehement aufgefordert, anzuhalten.

Mehr als 50 Tote auf dem Mittelmeer

Das eindrücklichste Bild der Rettungsaktion hat der Fotograf Alessio Paduano gemacht, der in einem der Rettungsboote saß. "Als ich dieses Bild gemacht habe, konnte ich hören, wie sein Atem unterbrochen wurde vom Wasser, das in seinen Mund floss. Das Geräusch dieses Atems habe ich immer noch im Kopf", sagte der Fotograf zur BBC .

Der Mann im Bild konnte in letzter Minute gerettet werden. Andere hatten weniger Glück. Nach Angaben der italienischen Behörden, die die Überlebenden befragt haben, sind mehr als 50 Personen gestorben. Sea Watch war zunächst von fünf Toten ausgegangen.

Sowohl Sea Watch wie die libysche Küstenwache beschuldigen sich gegenseitig, die Rettungsaktion gestört oder unprofessionell durchgeführt zu haben.

Die Libyer seien aggressiv und unkoordiniert aufgetreten, hätten Stress und Chaos verursacht, was zu vermeidbaren Todesfällen geführt habe, sagt Sea Watch. Offensichtlich handle die von der EU finanziell unterstützte Einheit mit dem Ziel, so viele Menschen wie möglich zurück nach Libyen zu bringen - auch auf Kosten von Menschenleben. Der Vorfall ereignete sich laut Sea Watch außerhalb der 12-Meilen-Zone, in der die Küstenwache die Hoheit hat.

EU-Menschenrechtskonvention und Hoheitsgebiet

Jedes Schiff, das sich in unmittelbarer Nähe eines Notfalls befindet, ist verpflichtet, Hilfe zu leisten und die an Bord genommenen Überlebenden laut Seevölkerrecht "an einen sicheren Ort zu bringen".

Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Konvention ist ein Ort, an dem Flüchtenden "politische Verfolgung, Tod oder menschenunwürdige Behandlung" drohen, kein sicherer Ort, auch die libyschen Internierungslager sind das nicht. Europäische Retter müssen sich an die Konventionen halten, die libysche Marine nicht.

Eine tödliche Gesetzeslücke

Für die EU-Direktorin von Human Rights Watch, Lotte Leicht, ist das ein tödlicher Unterschied: "Die libysche Küstenwache macht die Drecksarbeit für Europa", sagt sie. "Die Europäer bezahlen die libysche Küstenwache jetzt dafür, etwas zu tun, was sie nicht tun dürfen".

Seit Libyen im August 2017 sein Hoheitsgebiet per Erklärung einseitig auf 70 Seemeilen ausgedehnt hat, kommt es öfter zu Konflikten. Inzwischen gibt es mehrere dokumentierte Fälle, in dem Flüchtlinge oder Retter bedroht, geschlagen oder beschossen wurden oder Retter an der Rettung gehindert wurden - nicht nur vor Libyen, sondern beispielsweise auch in der Türkei.

Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts von "BuzzFeed" und anderer Quellen erstellt.

Weiterführende Informationen:

Quelle: Infosperber.ch - 26.11.2017.

Veröffentlicht am

27. November 2017

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