Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Abgas-Bschiss mit staatlicher Unterstützung

Neuer Test, altes Muster: Die Autoindustrie trickst weiter bei Abgas- und Verbrauchswerten - jetzt sogar mit dem Segen der Politik.

Von Redaktion Infosperber

Es ist seit langem ein Ärgernis für Fahrzeughalter und Umweltschützer: Die Angaben der Autohersteller zum Spritverbrauch haben wenig mit der Realität zu tun. Meist schlucken die Fahrzeuge im Alltag erheblich mehr Treibstoff und stoßen somit auch deutlich mehr CO2 aus, als es eigentlich der Fall sein sollte. Schuld daran ist das praxisferne Laborverfahren, wie Autokonzerne den Verbrauch ihrer neuen Wagen ermittelten. Zudem wurde auf dem Prüfstand seit Jahren geschummelt und getrickst, um die Werte zu optimieren. In Wahrheit war der reale Verbrauch im Schnitt rund 40 Prozent höher als die offiziellen Angaben der Hersteller, wie unabhängige Tests immer wieder zeigten.

Das Ende des alten Schummel-Tests

Doch mit der Verbrauchslüge soll nun Schluss sein. Seit dem 1. September 2017 gibt es EU-weit ein neues, strengeres Prüfverfahren, das realitätsnahe Werte liefern soll. Der neue Messzyklus "Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure" (WLTP) gilt vorerst nur für Auto-Modelle, die Hersteller ganz neu auf den Markt bringen. Ab September 2018 müssen dann alle Neuwagen den strengeren WLTP-Test absolvieren.

Das Gute daran: Konsumentinnen und Konsumenten haben bald eine bessere Informationsbasis, wenn sie vor der Entscheidung stehen, ein neues Auto zu kaufen. Die Kehrseite: Autohalter müssen mehr Steuern zahlen, wenn die realistischeren, also höheren Werte zum CO2-Ausstoss, in die Berechnung der Kfz-Steuer einfließen.

Neue Trickserei am Computer

Für die Autohersteller müsste das Ende des alten Schummel-Tests eigentlich ein Riesenproblem sein, denn ab 2021 gilt der sogenannte Flottenverbrauch: Dann dürfen Neuwagen in der EU nicht mehr als 4,1 Liter Benzin im Schnitt verbrauchen. Aber mit den vielen starkmotorisierten Spritfressern in der Flotte können die vorgeschriebenen Klimaziele der EU kaum erfüllt werden - erst recht nicht mit den genaueren und höheren Verbrauchswerten des neuen WLTP-Tests. Dann drohen der Autoindustrie Millionenstrafen der EU.

Doch die Hersteller werden einmal mehr geschont und dürfen unverfroren weiter tricksen - jetzt sogar ganz offiziell mit Hilfe der Politik, berichtet das ARD-Magazin "Panorama" . Durch intensives Lobbying hat die Autoindustrie in den Verhandlungen mit der EU durchgesetzt, dass die strengeren WLTP-Prüfwerte nicht direkt in die Berechnung des Flottenverbrauchs einfließen. Stattdessen rechnet eine Computersoftware die neuen, präziseren Werte zurück in den alten, viel zu tiefen Schummelwert. So wird aus einem Auto, das im strengeren WLTP-Verfahren fünf Liter auf 100 Kilometer schluckt, plötzlich wieder ein Auto, das auf dem Papier nur vier Liter verbraucht - und entsprechend weniger CO2 in die Luft bläst. So reduzieren die Hersteller den Flottenverbrauch und vermeiden Strafzahlungen an die EU wegen Überschreitung der CO2-Vorgaben.

Deutsche Politiker als Auto-Lobbyisten

Umweltschützer und Politiker ärgern sich: Mit diesem Rechentrick würden die Klimagesetze der EU ad absurdum geführt, sagen sie. Sie befürchten, dass damit die gesamten CO2-Emissionen aller Motorfahrzeuge weiter zu- statt abnehmen werden.

Schuld an der Schönrechnerei ist auch die deutsche Regierung, die sich bei den Verhandlungen für diese Regelung stark gemacht hat - ganz im Einklang mit der einflussreichen Autoindustrie. "Panorama" hat hunderte Dokumente ausgewertet und mit Experten und Insidern gesprochen. Danach zeigt sich laut "Panorama", "dass deutsche Politiker und Autobosse offenkundig großes Engagement zeigen, die Klimaziele zu umgehen und die Öffentlichkeit zu täuschen". Ein Verhandlungsteilnehmer einer Umweltorganisation beschreibt die Rolle der deutschen Regierungsvertreter in Brüssel so: "Sie waren zusätzliche Lobbyisten für die Autoindustrie. Ich war selten an einer Verhandlung beteiligt, wo die Positionen der Regierung und der Industrie so gut abgestimmt waren."

Wie brisant das Vorgehen der Regierung ist, zeigt ein internes Dokument, das "Panorama" vorliegt. Darin warnt ein Mitarbeiter des Verkehrsministeriums: "Das vorgeschlagene Zurückrechnen (…) birgt die Gefahr, dass die Hersteller nicht gefordert sind." Durch die aufgeweichten Klimaziele werde so gut wie kein Druck auf die Autoindustrie gemacht, tatsächlich spritsparende Autos zu bauen. Das Gesetz verfehle so komplett seine Wirkung. Außerdem sorgte sich der Mitarbeiter, wie man das Vorgehen später rechtfertigen könnte: Das Ganze sei "nicht einfach gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren" schreibt er an seine Kollegen.

Auto-Konzerne machen ihre Gesetze selber

Am Verhandlungstisch saßen auch Vertreter von BMW, VW, Opel, Audi und der französischen PSA-Gruppe (Peugeot Citroën). Die Autoindustrie gibt zwar zu, dass sie in den Verhandlungen eine große Rolle gespielt habe - "aber nur als Berater". Einfluss habe sie nicht genommen. Auch die EU Kommission bestreitet den Vorwurf, sie habe einem Lobbying nachgegeben und begründet die industriefreundliche Regelung gegenüber "Panorama" so: Es werde deshalb in den alten Test umgerechnet, weil dieser galt, als man als die Klimaziele festgesetzt hatte. So wolle man "die Vergleichbarkeit zu den vergangenen Jahren erhalten". Dass beim alten Test getrickst und der CO2-Ausstoss zu gering berechnet wurde, dazu sagt die EU kein Wort.

Die Autoindustrie ist mit dem Verhandlungsergebnis hochzufrieden, kann sie doch so weiter große PS-starke Luxuskarossen und SUV verkaufen. Dass die Schönrechnerei nichts anderes als eine klimafeindliche Schummelei der Hersteller ist, scheint niemanden zu kümmern. Audi Technik-Vorstand Peter Mertens sagt zu den nach unten korrigierten Prüfwerten nur lapidar: "Ob das realistisch oder unrealistisch ist, ist jetzt erst einmal egal."

Weiterführende Informationen:

 Quelle: Infosperber.ch - 01.11.2017.

Veröffentlicht am

22. November 2017

Artikel ausdrucken