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Die Militarisierung des Sahel (II)

Fast fünf Jahre nach dem Beginn der europäischen Militäreinsätze in Mali beurteilen Experten die Lage in dem Land als katastrophal und warnen vor der von Berlin und Paris betriebenen weiteren Militarisierung des Sahel. "Noch nie" habe es "ein derartiges Niveau an Gewalt" in Mali gegeben "wie heute", erklärt ein ehemaliger französischer Diplomat. Militärisch ließen sich die Konflikte in der Region nicht lösen, urteilt die International Crisis Group, ein prowestlicher Think-Tank, am Beispiel einer an Mali grenzenden Provinz in Burkina Faso: Dort sei es zwar gelungen, jihadistische Unruhen vorläufig niederzuschlagen; weil die gesellschaftlichen Ursachen der Radikalisierung aber fortbestünden, könne der Konflikt jederzeit neu aufflammen. Dessen ungeachtet unterstützt die Bundesregierung den Aufbau einer Eingreiftruppe der Staatengruppe "G5 Sahel", die gestern ihre erste militärische Operation gestartet hat. Trotz der desaströsen Folgen der Militarisierung macht die Bundeswehr die Mali-Einsätze zum PR-Schwerpunkt.

Der Interventionsschwerpunkt Sahel

Fast fünf Jahre nach ihrem Beginn haben sich die europäischen Militäreinsätze im Sahel zu einem Schwerpunkt der EU-Interventionstätigkeit entwickelt. Rund 3.500 Soldaten kämpfen im Rahmen der französischen Opération Barkhane in den fünf Sahel-Staaten ("G5 Sahel") Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad gegen jihadistische Milizen. Rund 11.000 Blauhelmsoldaten - davon etwas mehr als 1.000 aus Deutschland - und gut 1.600 Polizisten sind mit der UN-Mission MINUSMA (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations unies pour la stabilisation au Mali) im Norden Malis stationiert, um dort einen fragilen Waffenstillstand zu überwachen. Hinzu kommt die EU-Trainingsmission EUTM Mali (European Union Training Mission in Mali) mit knapp 600 Soldaten, von denen die Bundeswehr fast 150 stellt. Darüber hinaus hat Brüssel mit EUCAP Sahel Niger und EUCAP Sahel Mali Polizisten zur Ausbildung von Polizei und Gendarmerie in die Region entsandt. Von der Größenordnung her lässt sich der Einsatz im Sahel mit demjenigen der NATO in Afghanistan vergleichen. Zudem gilt er als überaus gefährlich. Allein MINUSMA verzeichnete bis September 2017 insgesamt 133 Todesopfer.

Außer Kontrolle

Beobachter stellen den europäischen Interventionen mittlerweile ein katastrophales Zeugnis aus. "Militärisch gesehen" funktioniere die Opération Barkhane zwar, wird der Afrika-Experte Roland Marchal vom Centre de recherches internationales (CERI) an der Pariser Sciences Po zitiert: "Es werden Terroristen getötet, Gefangene gemacht, Waffen und Munition werden vernichtet."Jens Borchers, Jürgen König: Europas Interessen in der Sahelzone. www.deutschlandfunk.de 17.09.2017. Ein Problem sei jedoch, dass die Soldaten, um den Erfolg der Operationen sicherzustellen, "lokale Allianzen eingehen" müssten, darunter auch solche "mit fragwürdigen Gestalten". Unter anderem deshalb blühe der Drogenhandel im Sahel heute "mehr denn je". Das Phänomen ist aus dem Afghanistan-Krieg bekannt.S. dazu Die Warlords als Oligarchen und Vom Westen befreit (III) . Alles in allem sei Mali, sagt Marchal, "sehr viel weniger sicher als 2014 - als die Opération Barkhane begann". Ähnlich äußert sich der ehemalige französische Diplomat Laurent Bigot, der einst für das französische Außenministerium in Mali tätig war. "Die gesteckten Ziele wurden nie erreicht", urteilt Bigot über die europäischen Militäreinsätze: "Weder im Norden von Mali noch in der Sahelzone." Der Norden sowie das Zentrum des Landes seien "quasi außer Kontrolle". "Die Operationen, die diese Zonen sichern sollten, sind fehlgeschlagen", erklärt Bigot: "Noch nie gab es ein derartiges Niveau an Gewalt in Mali wie heute."Jens Borchers, Jürgen König: Europas Interessen in der Sahelzone. www.deutschlandfunk.de 17.09.2017.

Die Ursachen der Konflikte

Das Scheitern der Bemühungen, die Unruhen im Sahel rein militärisch niederzuschlagen, erklären Experten nicht zuletzt mit den tiefliegenden sozioökonomischen Ursachen der dortigen Konflikte. Exemplarisch hat diese Ursachen kürzlich die International Crisis Group, ein international tätiger, klar prowestlich ausgerichteter Think-Tank, für die Entwicklung im Norden von Burkina Faso beschrieben. In der Provinz Soum an der Grenze zu Mali hat eine Gruppierung namens Ansarul Islam seit Ende 2016 mehrere Terroranschläge verübt. Zwar ist es zuletzt gelungen, militärisch die Kontrolle über die Provinz wiederherzustellen. Dennoch gibt sich die International Crisis Group skeptisch: "Die Krise ist längst nicht vorüber."International Crisis Group: The Social Roots of Jihadist Violence in Burkina Faso’s North. Report No 254/Africa.12.10.2017. Wie die Organisation in einem aktuellen Bericht feststellt, habe sich der Gründer von Ansarul Islam, Malam Ibrahim Dicko, lange für "Gleichheit zwischen den Klassen" eingesetzt und gegen verknöcherte gesellschaftliche Strukturen im Norden des Landes gekämpft. Nicht einfacher gemacht hat diesen Kampf die Tatsache, dass die Regierung in Ouagadougou den Norden vernachlässigt und beispielsweise die Infrastruktur in desaströsem Zustand ist. Zwar habe Dicko zahlreiche Anhänger verloren, als er mit Ansarul Islam zu Gewalt gegriffen und Kontakte zu anderen jihadistischen Milizen in der Region geknüpft habe, konstatiert die Crisis Group. Dennoch sei seine Bewegung immer noch stark genug, um "einen Aufstand mit niedriger Intensität gegen lokale und nationale Autoritäten" weiterzuführen. Ein rein militärisches Vorgehen gegen Ansarul Islam sei deshalb kontraproduktiv.

Mit deutscher Unterstützung

Dessen ungeachtet setzen Berlin, Paris und die EU die Militarisierung des Sahel fort. Dazu dient den europäischen Mächten aktuell die Eingreiftruppe, die die "G5 Sahel" am 2. Juli neu zu gründen beschlossen haben. Sie soll rund 5.000 Mann haben und in der gesamten Sahelzone nicht nur gegen Jihadisten, sondern auch gegen Schmuggel und den Transport von Flüchtlingen in Richtung Mittelmeer vorgehen. Unklar ist allerdings noch, wie die Kosten für die Truppe aufgebracht werden sollen, die von den Regierungen der "G5 Sahel" auf 423 Millionen Euro für das erste Jahr beziffert werden. Die "G5 Sahel"-Staaten haben jeweils zehn Millionen Euro zugesagt; die EU wird 50 Millionen Euro, Frankreich acht Millionen Euro bereitstellen. Zu Wochenbeginn haben nun auch die Vereinigten Staaten erklärt, sich mit bis zu 60 Millionen US-Dollar an der Truppe zu beteiligen. Wenngleich Paris annimmt, die Kosten ließen sich auf 240 Millionen Euro für das erste Jahr senken, fehlt dennoch ein nennenswerter Betrag. Die Bundeswehr hat im Rahmen von EUTM Mali bereits mit der Ausbildung von Militärs der "G5 Sahel"-Staaten begonnen.S. dazu Die Militarisierung des Sahel . Auch die Aufrüstung der beteiligten Staaten wird von Deutschland unterstützt: Am 21. September hat Berlin die Lieferung von insgesamt 53 Militärfahrzeugen für ein Logistikbataillon an Niger zugesagt. Bereits im Juli hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 100 Pick-Ups, 115 Motorräder sowie mehrere Dutzend Satellitentelefone an die nigrischen Streitkräfte übergeben.

Die Mängel des Anti-Terror-Kriegs

Berichten zufolge ist gestern die erste Operation von "G5 Sahel"-Truppen gestartet worden - im sensiblen malisch-nigrisch-burkinischen Grenzgebiet. Kritiker warnen. Ex-Diplomat Bigot weist darauf hin, dass die beteiligten Soldaten "aus sehr verschiedenen Gesellschaften" kämen: Ihre Staaten seien "sehr unterschiedlich, die Zusammenarbeit wird schwierig, und es wird dauern, bis sich das entwickelt."Jens Borchers, Jürgen König: Europas Interessen in der Sahelzone. www.deutschlandfunk.de 17.09.2017. Verhängnisvoll sei auch: "In allen fünf Ländern glaubt man, dass die Probleme vor allem militärisch zu lösen sind. Das stimmt aber nicht." Die International Crisis Group weist zudem darauf hin, dass im Norden von Burkina Faso, aber auch in Mali "lokale Communities" aus ihrer Erfahrung heraus "Repräsentanten des Staates und Sicherheitskräfte als Ausländer betrachten, die nur versuchen, sich zu bereichern"; sie seien daher "zögerlich, mit den Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten".International Crisis Group: The Social Roots of Jihadist Violence in Burkina Faso’s North. Report No 254/Africa.12.10.2017. Ihre Vorbehalte werden dadurch bestärkt, wie es in einem Bericht der Nachrichtenagentur IRIN heißt, dass den malischen und den burkinischen Streitkräften vorgeworfen wird, Terrorverdächtige zu foltern, zu verschleppen und zu ermorden. Hinzu komme, dass die Milizionäre in der Bevölkerung fest verankert seien und untertauchen könnten; das mache es schon schwierig, sie zu identifizieren, und noch erheblich schwieriger, sie militärisch zu bekämpfen. Versuche, einige Bevölkerungsgruppen zu Hilfstätigkeiten im Krieg gegen jihadistische Milizen zu nutzen, hätten die sozialen Spaltungen noch weiter vertieft.Fabien Offner: New Sahel anti-terror force: risks and opportunities. www.irinnews.org 30.10.2017.

PR-Schwerpunkt

Trotz der desaströsen Folgen der Militarisierung macht die Bundeswehr die Mali-Einsätze aktuell zum Schwerpunkt ihrer militärpolitischen Propaganda.S. dazu Gleichförmig und multimedial .

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 02.11.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. November 2017

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