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Globaler Süden: Rechte statt Mitleid

Von Georg Rammer

Täglich sterben 15.000 Kinder unter fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten. Mag sein, dass Menschen durch eine solche Nachricht berührt, vielleicht zum Nachdenken angeregt werden: Wenn die Krankheiten vermeidbar sind, warum müssen dann bis 2030 weitere 60 Millionen Kinder sterben, wie die UN vorrechnen? Es gibt dafür Gründe.

Im UN-Sozialpakt, einem Teil der Menschenrechte, ist das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung und auf freie Verfügung über ihre natürlichen Reichtümer verankert. Würde heute über den Abschluss dieses Vertragswerkes bei der UN verhandelt - und nicht schon 1966 -, dann würde sich Deutschland wohl mit fadenscheinigen Begründungen dagegen aussprechen. So wie es gegenwärtig im Schulterschluss mit den Arbeitgeber- und Industrieverbänden die Verhandlungen im UN-Menschenrechtsrat torpediert, die die Haftung transnationaler Konzerne bei Menschenrechtsverletzungen zum Ziel haben.

Stattdessen trachtet die politisch-wirtschaftliche Elite in Deutschland und in der EU lieber nach Abschluss von "Economic Partnership Agreements" mit afrikanischen und karibischen Ländern und Staatengruppen; die Verträge sind allerdings weder so partnerschaftlich noch einvernehmlich, wie der schöne Titel suggerieren soll. Im Fall von Kenia etwa wird ein Vertragsabschluss von der EU mit wirtschaftlichem Druck geradezu erpresst. Denn diese Art "Freihandel" dient einseitig den Interessen "unserer" Konzerne. Sogar der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Gerd Müller (CSU) hat sich zu der Feststellung hinreißen lassen: "Unser Wohlstand fußt auf Ausbeutung Afrikas. Afrika braucht fairen Handel statt freien Handel. Freier Markt heißt das Recht des Stärkeren."

Das Recht des Stärkeren setzt sich souverän über das Menschenrecht hinweg. Die von Weltbank und Internationalem Währungsfonds - dominiert von den reichen kapitalistischen Ländern - gegen "Entwicklungsländer" verhängten Strukturanpassungsprogramme sorgen seit vielen Jahren dafür, dass sich die Länder des Südens nicht entwickeln konnten. Neoliberale Zwangsmaßnahmen der Privatisierung und Deregulierung, der Öffnung der Märkte für private Investitionen, der Schaffung von Monokulturen für den Weltmarkt sorgten und sorgen für desolate Strukturen, Verarmung und Abhängigkeit der Länder. So paradox es erscheinen mag: Gerade die Länder mit unermesslichen Reichtümern an Bodenschätzen und natürlichen Rohstoffen gehören zu den ärmsten Staaten der Erde, in denen Hunger, Elend und Ausbeutung herrschen.

Statt Grundnahrungsmittel für die Menschen im Land anzubauen, setzen Investoren auf Exportartikel. Riesige Flächen werden aufgekauft, die einheimischen Bauern samt Familien vertrieben; die Konzerne betreiben dort industrielle Agrarwirtschaft mit hohem Energie- und Wasserverbrauch und dem massiven Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und genverändertem Saatgut. Entwicklungshilfe? Die deutsche Politik hilft mit Steuergeldern lieber den Konzernen im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP), um den Umbau kleinbäuerlicher Landwirtschaft zu Monokulturen etwa für Biodiesel zu vollenden und einheimische Märkte aufzumischen zugunsten einer Wirtschaft nach Profitinteressen. Die Gewinne fließen natürlich in die Konzernkassen; sollten Verluste entstehen, müssen die Steuerzahler einspringen. Die Vermeidung von Steuern gehört zum Geschäftsmodell und beträgt jährlich Hunderte von Milliarden.

Daran hat auch das G20-Treffen in Hamburg nichts geändert. Ein "Compact with Africa" verfolgt das Ziel, die Bedingungen für private Investitionen zu verbessern. Interessanterweise soll auch die "Regulatorische Kooperation" in die Verträge einfließen, die schon bei den "Freihandelsverträgen" TTIP, CETA und TiSA heftig kritisiert wurde: Sie sichern nämlich den Lobbyisten der Konzerne direkten Einfluss auf die Gesetzgebung im Vorfeld parlamentarischer Beschlüsse.

Diese Prinzipien bestimmen die Politik von Deutschland: Profit vor Recht, Menschen sind egal. Die Wirtschaft braucht Rohstoffe, der Bedarf steigt und muss gesättigt werden. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr betonen in aller Deutlichkeit: "…Ausbreitung von Wüsten-, Wasser- und Bodenverknappung (…) und erhebliche Wohlstandsunterschiede, verbunden mit sozialen Disparitäten führen zu weltweiten Migrationsströmen. (…) Freie Handelswege und gesicherte Rohstoffversorgung (sind) für Zukunft Deutschlands von vitaler Bedeutung." Der Einsatz aller Mittel ist "Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens." Diese Art Neokolonialismus führt zu den bekannten Folgen: Ein Drittel aller Menschenrechtsverletzungen geschehen bei der Gewinnung mineralischer und fossiler Rohstoffe. Laut UN sind 60% aller Konflikte in der Welt mit Abbau und Handel von Rohstoffen verbunden.

Klimawandel, Verdrängung lokaler Produzenten, Zerstörung einheimischer Märkte und der Lebensgrundlagen der Bauern und Fischer, Export subventionierter Lebensmittel, Junkfood, Steueroasen, … - die Reihe der Verbrechen gegen Menschlichkeit ließe sich lang aufzählen. Die katastrophalen Auswirkungen - so sind seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten 300 Millionen Tote durch Armut und Armutsfolgen zu beklagen, mehr als in allen Kriegen des 20. Jahrhunderts - sind bekannt und werden billigend in Kauf genommen. Eine EU-Studie zur Sicherheitspolitik drückt es klar aus: "Abschottungseinsätze - Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen. Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen - mit entsprechenden Konsequenzen. Da es uns kaum gelingen wird, die Ursachen dieses Problems, d.h. die Funktionsstörungen der Gesellschaften, bis 2020 zu beseitigen, werden wir uns stärker abschotten müssen…"

Der Papst hat also recht: "Diese Wirtschaft tötet." Die Folgerung für alle, denen gerechte und menschenfreundliche Verhältnisse am Herzen liegen, heißt deshalb: Nicht Hochrüstung, militärische Abwehr und Bekämpfung der Flüchtlinge sind notwendig, sondern die Bekämpfung der Ursachen dieser Zustände.

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 30.10.2017.

Veröffentlicht am

31. Oktober 2017

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