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Blau ist das neue Braun

Die Bundestagswahl 2017 und der Pestgeruch des Faschismus

Von Bernd Drücke - Kommentar, 25.9.2017

12,6 Prozent! 94 AfD-Abgeordnete sitzen in den nächsten vier Jahren im Bundestag und forcieren zusammen mit ihren mindestens 300 MitarbeiterInnen Homophobie, Islamophobie, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus. Der Pestgeruch des Faschismus zieht durchs Land - und durch das Reichstagsgebäude.

Gleich nach Verkündung der ersten Prognosen am Wahlabend des 24. September machte der rechtsnationalistische Spitzenkandidat Alexander Gauland unter dem Jubel der AfD klar, wohin die Reise geht: "Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen. Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen."

Am 2. September 2017 hat er bereits klar gemacht, wie das zu verstehen ist, als er bei einem Kyffhäuser-Militaristentreffen der AfD in Thüringen einen Schlussstrich unter die deutsche Nazivergangenheit gefordert hat: "Man muss uns diese zwölf Jahre [NS-Zeit 1933 bis 1945] nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen … [Wir] haben das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen."

Gauland ist also stolz auf die Taten der nationalsozialistischen Mörder von SS und Wehrmacht, die mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg mit über 60 Millionen Toten entfacht und die größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit zu verantworten haben. Im August 2017 hetzte der Mann mit dem Hundeschlips bei einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen gegen die in Hamburg geborene Integrationsbeauftragte und SPD-Politikerin Aydan Özoguz: "Ladet sie ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können."

Fast sechs Millionen Deutsche haben am 24. September 2017 die Partei von Gauland, Höcke und Co. gewählt. Das Credo, "die Deutschen" hätten aus der Geschichte gelernt, ist Schnee von gestern.

Die AfD will das Klima vergiften und ihre skurrile Ideologie, eine völkische Mischung aus Rassismus, Sozialdarwinismus, Neoliberalismus und sozialer Kälte, durchsetzen. "In den Bundestag ziehen zahlreiche Männer ein, die nicht nur weit rechts stehen, sondern auch gerne pöbeln", so die taz am 25. September.

Das Ergebnis dieser Wahl ist wenig überraschend. Seitdem BILD, Spiegel, Lanz und Co. Thilo Sarrazin zum Bestsellerautor hochgepuscht haben, wurde der Sozialdarwinismus hierzulande hofiert. Spätestens seit der "Flüchtlingskrise" 2015 wird in fast jeder Talkshow den AfD-RassistInnen ein Podium vor Millionenpublikum geboten. Kein Fußbreit den Faschisten? Das gilt nicht für Plasberg, Will, Maischberger und Co. Da spielt es keine Rolle, dass 17 % der Bevölkerung dieses reichen Landes verarmt sind, dass sich Deutschland wieder ungehemmt an Kriegen beteiligt, Waffen in alle Welt exportiert und die Rüstungsausgaben erhöht. Die von Menschen gemachte Klimakatastrophe wird nicht thematisiert. Sie haben fast immer nur zwei Themen auf der Agenda: "Flüchtlingskrise" und "Islamistischer Terror". Sogar im sogenannten "Kanzlerduell" ging es primär um die "Flüchtlingswelle", nach dem Motto: "Die AfD fragt, die Große Koalition antwortet".

"Es ist unerträglich. Bei ?Hart aber fair’ sitzen gerade drei Vertreter der AfD (Weidel, Herrmann und der stellvertretende BILD-Chefredakteur Blome). Auch Özdemir hat die Abschieberhetorik weitgehend übernommen."

So treffend kommentierte Claudius Voigt von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender die letzte Talkshow vor der Bundestagswahl. Tatsächlich haben die Massenmedien und sozialen Netzwerke teilweise die Angst vor Geflüchteten befeuert und so dazu beigetragen, dass sich der Hass und die Menschenfeindlichkeit wie ein blau-brauner Virus in die Köpfe vieler Menschen frisst. Die vielen Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und Angriffe auf MigrantInnen sind in diesem Kontext zu sehen.

Was die AfD im Bundestag besonders gefährlich macht, ist die Tatsache, dass Regierungsparteien längst dazu übergegangen sind, AfD-Politik zu machen und AfD-Rhetorik zu kopieren. Vor allem die "Obergrenzen"-CSU in Bayern, die am 24. September die größte Niederlage ihrer Geschichte erlitt. Nach einem kurzen Anflug von Willkommens-Humanismus 2015 geht die deutsche Regierungspolitik längst wieder über Leichen. Selbst vor Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan wird nicht zurückgeschreckt.

Da ist es bis zum Schießbefehl auf Geflüchtete, den sich von Storch und andere RassistInnen wünschen, nicht mehr weit. Die AfD ist nicht isoliert. Sie regiert längst mit, egal ob in einer GroKo oder bei Jamaika.

Was können wir tun?

Auf Parteien und das Parlament können wir nicht setzen. Wir brauchen Solidarität gerade auch mit denen, die hierzulande nicht wählen dürfen und vom Rassismus am meisten betroffen sind, den MigrantInnen. Wir wollen eine solidarische, freiheitlich-sozialistische Gesellschaft, in der alle menschenwürdig leben können. Dazu sollten wir unseren Mitmenschen klar machen, dass jede Abschiebung, Sexismus, Homophobie, jeder Krieg und jede Form des Rassismus Angriffe auf die Würde des Menschen sind.

Unmittelbar vor der Bundestagswahl wurde in Münster die fröhlich-antihomophobe Skulptur "Sketch for a Fountain" der Künstlerin Nicole Eisenman u.a. mit einem AfD-blauen Hakenkreuz besprüht.Siehe: www.allesmuenster.de/cms/skulptur-projekte-rechte-schmierereien-an-der-promenade/ . Das neue Braun ist jetzt Blau. Auch die Studierendenstadt ist keine Insel der Glückseligen. Im Wahlkreis Münster erreichte die AfD am 24. September mit 4,9 Prozent allerdings ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis. Das ist immer noch schlimm genug und doppelt so hoch wie bei der NRW-Landtagswahl, aber im Vergleich zu den östlichen Bundesländern, in denen die AfD wie in Sachsen bis zu 27% der Stimmen geholt hat, wenig. Dafür gibt es Gründe; sie zu analysieren, ist hier nicht der Platz. Eine Stärke der Gegenbewegung: Hier läuft die Zusammenarbeit von AntirassistInnen solidarisch. Wie fast überall versuchte Pegida, 2015 Fuß zu fassen. Zwei Termine für eine "Müngida"-Kundgebung wurden angesetzt. Aber stattdessen kamen jeweils über 10.000 AntirassistInnen aus vielen Teilen der Stadtgesellschaft zusammen, um gemeinsam ein Zeichen gegen den Rassismus zu setzen. "Müngida - Münster gegen die Islamisierung des Abendlandes" fand nicht statt.

Die AfD sitzt mittlerweile mit 2% im Münsteraner Rathaus. Als Petry und Co. Anfang 2017 einen "AfD-Neujahrsempfang" im Rathaus des Westfälischen Friedens veranstalteten, kamen 100 AfD-Fans; über 10.000 Menschen demonstrierten zeitgleich auf dem Prinzipalmarkt unter dem Motto "Liberté, Egalité, Fraternité, Fuck AfD!" Wehret den Anfängen.

Wenn es darum geht, gegen AfD und Nazis zu demonstrieren, ist es mir egal, ob in der Blockade neben mir eine Anarchistin, ein Sozi, eine Grüne, eine Linke, ein Gewerkschafter, Christ oder Kommunist sitzt. Wir brauchen ein breites Bündnis gegen Rassismus, eine starke außerparlamentarische Bewegung von unten. Der Kulturkampf gegen die NationalistInnen ist nicht verloren. Wir müssen ihnen im Alltag die Stirn bieten und Widerstand in allen sozialen und kulturellen Bereichen leisten. Zivilcourage!

Das Land, das Gauland und Höcke zurückhaben wollen, ist am 8. Mai 1945 untergegangen. Keinen Fußbreit dem Faschismus! Kämpfen wir dafür, dass in diesem Land nie wieder Faschisten jemanden jagen.

Bernd Drücke ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Graswurzelrevolution, Münster.

Quelle: graswurzelrevolution 422, Oktober 2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

04. Oktober 2017

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