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Leonardo Boff: Das vielversprechende Treffen von Pachamama und Gaia

Von Leonardo Boff

Ich möchte gern ein Buch vorstellen, das bald in Brasilien veröffentlicht wird: "Pachamama und der Mensch" (La Pachamama y el ser humano, Ediciones Colihue, 2012) von Eugenio Raúl Zafforini, der in Brasiliens juristischen Kreisen wohlbekannt ist. Zafforini ist ein hervorragender argentinischer Magistrat, Mitglied des Obersten Gerichtshofs von 2003 bis 2014 und emeritierter Professor der Universität von Buenos Aires.

Pachamama und der Mensch ist einer der besten öko-philosophischen Beiträge, die in letzter Zeit geschrieben wurden. Er befindet sich auf einer Linie mit der Enzyklika Laudato Si, Über die Sorge für das Gemeinsame Haus (2017) von Papst Franziskus, ebenfalls ein Argentinier. Mit bewundernswerten wissenschaftlichen und philosophischen Daten unterlegt stellt Zaffaronie die Frage nach integraler Ökologie, vor allem nach sozialer Gewalt und insbesondere Gewalt gegen Tiere.

Der wichtigste Aspekt seines Buchs besteht in der Kritik am dominierenden Paradigma, das mit den Gründungsvätern des 16. und 17. Jahrhunderts der Moderne aufkam, welche abrupt eine tief greifende Spaltung zwischen Mensch und Natur einführte. Dem natürlichen Bündnis, das seit Menschengedenken in den Kulturen des Okzidents und Orients verankert war, wurde damit ein fataler und tödlicher Schlag versetzt.

Die Erde hörte auf, die Magna Mater der Antike zu sein, die Pachamama der Andenvölker … die Gaia der damaligen Zeitgenossen, etwas Lebendiges und Leben Hervorbringendes. Sie wurde zu einem unbewegliche Ding gemacht (zur res extensa von René Descartes): eine Ansammlung von Ressourcen, die der unbeschränkten Gier der Menschen zur Verfügung steht. Die Formulierung von Descartes ist klassisch: der Mensch ist der maître et possesseur  (Herr und Eigentümer) der Natur. Der Mensch kann mit der Natur umgehen, wie es ihm beliebt. Und genau das haben die Menschen getan.

Die moderne Kultur ist auf dem Verständnis aufgebaut, dass der Mensch dominus, Herr und Eigentümer aller Dinge ist. Dinge haben keinen intrinsischen Wert. Im Gegensatz zu dem, was später in der Erdcharta betont wird sowie mit starker Ausdruckskraft in Papst Franziskus’ enzyklischem Schreiben, haben Dinge nur einen Wert, wenn sie Menschen zu etwas nutze sind.

Dies ist das Bild von Macht, verstanden als die Fähigkeit, alles zu dominieren, und auf der Grundlage dessen, der die meiste Macht besitzt. In diesem Fall sind es die Europäer, die das Programm der Unterwerfung der Natur ausführten, die Invasion und Eroberung der Welt, die Kolonialisierung ganzer Nationen, den Genozid, Ökozid und die Zerstörung antiker Kulturen. Und sie taten dies unter Anwendung von brutaler Macht ihrer Waffen: dem Kreuz und dem Schwert. Und nun erledigen sie es mit Waffen, die in der Lage sind, die ganze menschliche Spezies auszulöschen.

Zaffaroni studiert das Aufkommen dieses Aspekts der Zivilisation und tut dies mit einem großen bibliographischen Reichtum. Mutig und mit großer kritischer Freiheit begegnet er den eingebildeten Koryphäen modernen Denkens wie Friedrich Hegel, Herbert Spencer, Charles Darwin und Martin Heidegger. Ich will mich auf seine Kritik gegenüber Hegels Geist konzentrieren. Mit seiner philosophischen Ideologie wurde Hegel zum Hauptvertreter des Ethnozentrismus. Mit seinem Biologismus verehrte Spencer die weiße Rasse als erhaben und erachtete alle anderen Rassen als unterlegen, was zur Legitimation von Kolonialismus und aller Arten von Vorurteilen führte.

Zaffaroni berührt die Frage nach dem Tier, verstanden als ein Träger von Rechten. Er schreibt: "Nach unserer Beurteilung ist der juristische Wert des Verbrechens der Misshandlung von Tieren kein anderer als die Anerkennung des Rechts des Tieres selbst, kein Objekt menschlicher Grausamkeit zu sein, wofür es notwendig ist, den Charakter des Tieres als Träger von Rechten anzuerkennen." Der Autor demonstriert auf strenge Weise, dass "wir uns als die biologischen Gewinner herausgestellt haben, wenn es darum geht, Spezies zu zerstören und als die größten Raubtiere innerhalb von Spezies". Sein Vorschlag ist klar: "Nur wenn wir die Kenntnis des Herrn durch den Bruder ersetzen, können wir menschliche Würde zurückerlangen" und Geschwisterlichkeit mit allen anderen Wesen erfahren.

Lateinamerika hat als erstes einen ökologischen Konstitutionalismus eingeführt, der die Rechte der Natur und Mutter Erde in den Verfassungen Ecuadors und Bolivien enthält. Zuvor, und ebenso zum ersten Mal, war es Mexiko, das soziale Rechte in seiner Verfassung von 1917 festschrieb. Zaffaroni preist die kreativen Potenziale, die der Vision der Andenvölker über das "gute Leben und die Co-Existenz" (sumak kawsay) innewohnen - die Harmonie des Menschen mit der Natur; und auch in Gaia gesehen - die Erde als ein lebendiger, sich selbst regulierender Super-Organismus, der stets Leben produziert und reproduziert. Pachamama und Gaia sind zwei Wege, die aufeinander treffen "in einer glücklichen Koinzidenz des Zentrums und der Peripherie der planetaren Kraft". Beide sind sie Hoffnungsträger für ein Gemeinsames Haus Erde, in dem alle Wesen einbezogen sind. Sie werden uns von den apokalyptischen Bedrohungen des Endes unserer Zivilisation und unseres Lebens befreien.

Zaffaroni verdanken wir eine brillante und überzeugende Perspektive, eine ernste Kritik einerseits, doch andererseits auch eine hoffnungsvolle. Er verdient es, gelesen und studiert zu werden und dass seine Vision einer holistischen Ökologie, die zutiefst all die Elemente der Natur und des Universums integriert, in unser Verständnis aufgenommen wird.

Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission

Quelle:  Traductina , 16.08.2017.

Veröffentlicht am

17. August 2017

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