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Zu wenig Abschiebungen? Wie mit unzulänglichen Zahlen Stimmung gemacht wird

Wenn die "nationale Kraftanstrengung" zu mehr Abschiebungen scheitert, dann rufen Medien zu mehr Härte auf. Mit den Fakten hat dies nur sehr begrenzt zu tun.

Politiker hätten ihr Versprechen gebrochen, mehr Abschiebungen durchzuführen, so die BILD-Zeitung . Die WELT mit dem Duktus des untergehenden Abendlandes: "Die Kultur der Duldung zermürbt unser Land." Der Vorwurf in einer Reihe von Medien dieser Tage: Es gebe insgesamt zu wenige Abschiebungen, trotz gegenteiliger Ansagen. Die Mehrheit der Ausreisepflichtigen würde nicht abgeschoben und geduldet.

Das ist nicht ganz falsch, aber viele der Behauptungen basieren auf unzulänglichen Statistiken. Es handelt sich hierbei um die wiederholte Auflage der Propaganda vom Vollzugsdefizit. Schaut man sich die Zahlen und Fakten genauer an, ist die Sachlage komplexer und einige Aussagen liegen völlig neben der Sache.

Nur ein kleiner Teil ohne Duldung

Zum Stichtag 30. Juni 2017 waren 226.457 Personen ausreisepflichtig, von diesen waren 159.678 Inhaber einer Duldung. Als ausreisepflichtig gelten nämlich auch durchaus Personen, die nicht abgeschoben werden dürfen. Teilweise liegen rechtliche Abschiebungshindernisse vor, teils ist zwingend - in vielen Fällen nicht nur kurzfristig - zu dulden.

Nicht jeder Ausreisepflichtige kam als Flüchtling!

Die Annahme, dass alle Ausreispflichtigen auch Asylsuchende waren, ist falsch, denn ein "Flüchtlingsthema" ist das Thema der Ausreisepflichtigen nur in weniger als der Hälfte aller Fälle. Die folgenden Fakten stammen aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Links-Fraktion im Bundestag zu unklaren Daten des Ausländerzentralregisters (AZR) zu Ausreisepflichtigen ( BT-Drs. 18/12725 vom 14.06.2017 ) und bezieht sich auf die damals greifbaren Zahlen zum Ende des ersten Quartals 2017.

Demnach waren nur 103.397 der (damals 220.052) ausreisepflichtigen Personen (47%) abgelehnte Asylbewerber*innen. Betrachtet man nur diese Zahl, hatten auch davon mehr als 75.000 eine Duldung.

Schaut man sich die kumulierten Zahlen der ablehnenden Asylentscheidungen der letzten Jahre an, so kommt man von 2014 bis zum Ende des ersten Quartals 2017 auf mehr als 410.000 Asylablehnungen. Tatsächlich ausreisepflichtig sind von den Betroffenen jedoch nur die oben genannten gut 100.000 Asylsuchenden, die jedoch eben zu etwa drei Vierteln geduldet sind.

Duldungen haben gute Gründe

Das Vorliegen von Duldungsgründen wird rechtlich überprüft. Die große Mehrzahl der Duldungen entsteht aus Rechtsgründen, nicht aus laxem Behördenhandeln. Von einer "Kultur der Duldung" zu sprechen, die unser Land zermürbe, ist deshalb eine gewaltige und unverantwortliche Übertreibung. Die allerdings wurde durch Prognosen etwa der Beratungsfirma McKinsey befeuert, die - ordentlich alimentiert vom Bundesamt - prognostiziert hatte, es werde Ende 2017 knapp eine halbe Million Ausreisepflichtige geben.

Nicht verzeichnete Ausreisen

Ganz ohne Duldung waren lediglich 66.779 Personen im Lande - wovon, wie bereits dargelegt, nicht alle als Asylbewerber*innen kamen. Doch sind sie überhaupt noch hier? Ein Großteil der Ausreisen erfolgt ohne Meldung bei den Behörden. Die Betroffenen kehren möglicherweise "freiwillig", aber ohne staatliche Förderung (dann wären sie ja erfasst) in ihr Herkunftsland zurück oder ziehen in andere Staaten weiter.

Warum es weniger freiwillige Ausreisen gibt

Und warum sind die Zahlen der freiwilligen Ausreisen zurückgegangen, wie einige Medien weiter beklagen? Die entsprechenden Programme und die damit verbundene Förderung ist großenteils von Menschen aus den Staaten des westlichen Balkans in Anspruch genommen worden, die im Asylverfahren extrem geringe Chancen hatten, da ihre Länder als "sichere Herkunftsstaaten" eingestuft wurden. Viele zogen die geförderte freiwillige Rückkehr einer schnellen Abschiebung vor.

Zeitweilig nahmen auch afghanische Staatsangehörige aus den unterschiedlichsten Gründen heraus das Angebot der Förderung der freiwilligen Rückkehr an. Mit der weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan war mit einem Rückgang zu rechnen.

Weniger Anträge = weniger Abschiebungen in Balkanstaaten

Schaut man sich nun noch die Zielstaaten von Abschiebungen auf dem Luftweg an (der Großteil der Abschiebungen erfolgt auf diese Weise), dann stellt man fest, dass sich die größten Herkunftsländer von Asylsuchenden dort nicht oder nur weit hinten finden. Ein Großteil der Asylsuchenden kommt aus Kriegs- und Krisenstaaten, wie z.B. Syrien, dem Irak und Afghanistan, wohin Abschiebungen unmöglich oder unvertretbar sind. Nur die Staaten des westlichen Balkans, bei denen seit einiger Zeit die Zahl der Asylsuchenden zurückgeht, finden sich ganz vorne auf der Liste.

AZR: Fundgrube von Unklarheiten

Im Übrigen ist schon die Zahl der Ausreisepflichtigen an sich anzuzweifeln: Für die aktuelle Propaganda des Vollzugsdefizits werden ganz überwiegend die Zahlen des Ausländerzentralregisters herangezogen. Dieses aber ist eine Fundgrube von Unklarheiten, Erfassungsproblemen und interpretationsbedürftigen Begriffen, wie aus der Bundestagsdrucksache 18/12725 hervorgeht:

Die Bundesregierung hat eine vierstellige Zahl von unplausiblen AZR-Einträgen eingeräumt. Zu Personen, die bereits während laufender Asylverfahren Deutschland möglicherweise wieder verlassen haben, hatte die Bundesregierung keine validen Angaben anzubieten. Die Bundesregierung hatte zugegeben, dass nicht offiziell registrierte Ausreisen zu statistisch überhöhten Zahlen zu den angeblich noch in Deutschland lebenden Ausreisepflichtigen führen müssen.

Regierung kann Zahlen nicht erklären

Eine Vielzahl von Speichersachverhalten konnte die Bundesregierung gar nicht erklären. Von mehr als 50.000 Ausreisepflichtigen, die über keine Duldung verfügten, hatten über 17.000 bereits seit drei Monaten keine Duldung mehr, was rechtlich schwer vorstellbar ist und ebenfalls darauf deutet, dass ein Teil von ihnen ohne Registrierung im AZR bereits ausgereist ist.

Reform des AZR angekündigt

Das AZR ist aus vielen Gründen eine statistische Wundertüte, dessen Rohdaten nicht geeignet sind, die Propaganda vom Vollzugsdefizit ohne differenzierte Interpretation zu untermauern. Die Bundesregierung hat aus den erkennbaren Missständen die Konsequenz gezogen, über ein Netzwerk von bundesweiten Ansprechpartnern in Sachen Datenqualität zu einer bewussteren, qualitativ hochwertigen und zeitnahen Erfassung der Sachstände im AZR kommen zu wollen, so die o.a. Bundestags-Drucksache.

Diese Verbesserung dürfte in der kurzen seit der Ankündigung vergangenen Zeit wohl kaum umgesetzt worden sein. Damit ist das AZR immer noch ein denkbar schlechter Kronzeuge für angeblich versäumte Abschiebungen.

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - News vom 01.08.2017.

Veröffentlicht am

02. August 2017

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