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Vandana Shiva: “Wir haben vergessen, dass wir Tiere sind”

Die Umweltaktivistin Vandana Shiva eröffnete am Mittwoch den G20-Gegengipfel. Mit dem "Freitag" sprach sie über alternative Formen des Wirtschaftens, Gier und Visionen

Vandana Shiva, Umweltaktivistin, Globalisierungsgegnerin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises 1993, eröffnet den G20-Gegengipfel in Hamburg.

Ob sie nach zweieinhalb Stunden Vortrag und einem Fernsehinterview keine Pause braucht, frage ich sie. Shiva winkt ab: Keine Zeit, am Mittag wird sie den Gipfel verlassen, aber kein Problem. Wir sind drei Printjournalisten und dürfen sie ins Bistro der Kulturfabrik Kampnagel begleiten. In den missionarischen Eifer, mit dem sie spricht, mischt sich die Routine der vielen Jahre, die sie ihre Botschaft schon verbreitet. Interview von Friederike Grabitz.

Frau Shiva, was ist Ihre Vision - wie würde Ihr G20 aussehen?

Oh, mein G20 würde kein G20 sein. Wenn wir kein Bewusstsein haben für die anderen Spezies, die auf dem Planeten leben, erschaffen wir eine Wirtschaft der Exklusion. Sehen Sie ein Huhn, das auf einer Wiese Würmer pickt. Stecken Sie das in eine Fabrik, müssen Sie ihm den Schnabel abschneiden, damit es nicht statt der Würmer seine Artgenossen pickt. Und wenn wir das tun, vergessen wir, dass wir selber Tiere sind, dass wir auch in einer Legebatterie sitzen, die dem einen Prozent der Weltbevölkerung gehört, das entscheidet.

In Indien sind Sie ein Idol. Funktioniert diese Vorbildrolle auch für andere Länder?

Vieles ist in allen Ländern gleich. Zum Beispiel sind wir überall darauf angewiesen, dass der Boden fruchtbar ist. Und wenn das nicht der Fall ist, weil zum Beispiel Monsanto Saatgut und Pestizide an die Bauern verkauft, und sie dadurch in ein Armutssystem geraten, verursacht das überall ähnliche Probleme. In Indien gibt es massenhaft Selbstmorde von Kleinbauern.

Könnten wir mit biologischer Nahrung die ganze Menschheit ernähren?

Wenn man dem Boden gute, organische Nährstoffe gibt, geht das auch ins Essen. Gutes Essen ist konzentrierter, und ein guter Boden ernährt langfristig viel mehr Menschen als ein ausgelaugter Boden. Es gibt viele Studien, die das inzwischen beweisen. Deshalb geht es langfristig nur mit biologischer Nahrung.

Das wären doch gute Nachrichten.

Das Problem ist, dass es Gesetze gibt, die lokale Ernährungskooperativen kriminalisieren, die das Gute, das Gesunde, das Nachhaltige, das Lokale kriminalisieren und die Türen öffnen für das nicht Nachhaltige, das Undemokratische, das Zentralisierte, die schlechten Systeme.

Wenn Mikro-Landwirtschaft die Menschen ernähren kann, bleibt immer noch die Frage nach der allgemeinen Produktivität. Unsere Wirtschaft basiert auf Mehrwert, der aus Überproduktion erwirtschaftet wird. Können wir Bereiche wie Mobilität, Gesundheit oder Sozialsysteme erhalten, ohne intensiv zu wirtschaften?

Beim Thema der Produktivität wird die öffentliche Meinung manipuliert. Mikrofarmer zum Beispiel arbeiten nicht unproduktiv. Mikro- Landwirtschaft könnte das Bruttoinlandsprodukt sogar verdreifachen. Was bei den meisten Industrien nicht eingerechnet wird in die Bilanz, sind ja die externen Kosten. Trotzdem gibt es sie. Die Gesellschaft muss sie tragen. Das Wirtschaftssystem, wie es jetzt ist, gibt von der Arbeit der Vielen immer mehr an das eine Prozent der Menschen ab, das bereits reich ist. Die Pyramide dreht sich immer weiter um, das ist strukturell so angelegt. Produktivität heißt in dieser Logik: Effizienz. Ist die Natur effizient? Kann ich ein effizienter Baum sein? Für den Vogel, der darauf wohnt, ist der Baum sehr effizient - aber auf andere Weise.

Ist die Globalisierung das Problem?

Globalisierung ist nichts anderes als die Deregulierung von Allgemeingütern und Machtkonzentration. Schauen Sie die Softwarekonzerne, sie bezahlen praktisch keine Steuern. Dieses System beruht auf Gier, und diese Gier-Ökonomie zerstört unsere Gesellschaften.

Haben Sie selbst denn einen Computer?

Ich habe einen Computer, und das ist gut. Meine Kritik zielt auf etwas anderes. Wir hatten vor der Globalisierung auch Technologien, vielleicht andere, aber sie haben funktioniert. In Kerala, wo ich herkomme, haben wir viele Kokospalmen. Die Fasern der Kokosnüsse nutzen wir für viele Produkte, auch industriell.

Indien und andere Schwellenländer haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Stichwort Modernisierung: Ist Modernisierung immer schlecht?

Viele IT-Spezialisten haben dort neue Jobs bekommen, das ist ok. Aber in anderen Sektoren verlieren wir Jobs, wie in der Landwirtschaft. Sie holt eine Ausgabe der "Newsweek" aus ihrer Tasche: Sehen Sie, die "Newsweek" hat hier das Thema "Wandel" auf dem Titel. Klingt erstmal gut. Und dann schreiben sie: "Natur hat ihre Grenzen, also müssen wir diese Grenzen überwinden". Aber wie soll das gehen, die Grenzen der Natur zu überwinden? Wir sind doch Teil dieser Natur. Was zählt, sind ja die Muster, das Programm dahinter. Und dieses Programm haben wir auch in unseren Köpfen.

Unser Programm ist aber auf das Wirtschaftssystem ausgerichtet, das wir haben. Wie können wir dieses Bewusstsein verändern?

Das Problem ist ja die Gier, die dahinter steht. Aber Gier ist eigentlich nicht Teil der menschlichen Natur. Es gibt da auch Verbundenheit, Mitgefühl. Und Mitgefühl allein reicht noch nicht, um die Probleme zu lösen, wir brauchen Mitgefühl in Aktion.

Es gibt so vieles, was geändert werden müsste, und das blockiert viele Menschen. Wo sollen wir anfangen?

Die Frage ist nicht, womit wir anfangen, sondern dass wir anfangen. Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun, einfach da, wo man ist, und als die Person, die man ist, mit dem, was man kann. Nach dem ersten Schritt wird der zweite Schritt von selbst kommen, es wird weiter gehen. Das ist das Gesetz der Zwischenmenschlichkeit.

Quelle: der FREITAG vom 06.07.2017. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

07. Juli 2017

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