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Afghanistan ist nicht sicher - ein afghanischer Journalist berichtet

Aufgrund des Anschlags im Kabuler Botschaftsviertel mit knapp 100 Toten wurde der für gestern geplante Abschiebeflug zunächst verschoben. Ein afghanischer Journalist erläutert, wie bedrohlich die Lage in Afghanistan ist - denn das BAMF lehnt Afghan*innen zu Tausenden ab. Bei einer Abschiebung nach Afghanistan droht ihnen Gefahr für Leib und Leben.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnt Afghan*innen zu Tausenden ab. Von rund 60.000 inhaltlich entschiedenen Anträgen zwischen Januar und April 2017 bekamen mehr als 32.000 eine Ablehnung . In den Bescheiden verweist das BAMF auf angeblich "sichere" Gebiete und fertigt Asylsuchende mit Textbausteinen ab. Ramin Mohabat, Journalist aus Afghanistan, war durch seine Berichterstattung im ganzen Land unterwegs. Im Interview erläutert er, warum Afghanistan überhaupt nicht sicher ist.

Was war Ihre Tätigkeit in Afghanistan?

Ich war Fernsehjournalist und Reporter. Für das auslandsfinanzierte Institute for War and Peace Reporting habe ich Fotoaufnahmen von Konflikten in Afghanistan gemacht und diese an Kollegen bei BBC und Al-Jazeera verkauft. Das habe ich undercover gemacht, die Fotos sind später ohne meinen Namen erschienen.

Ich habe 2012 für den Sender Asia TV auch eine Videoaufnahme von einer Demonstration in Herat gemacht, bei der mehrere Tausend Afghanen gegen die Koran-Verbrennungen durch US-Amerikaner protestierten. Die Taliban brannten Polizeiautos nieder und wollten als Vergeltung die US-Botschaft in Herat anzünden.Anmerkung: Die Unruhen nach Koran-Verbrennungen in Afghanistan im Februar 2012 waren eine Reaktion auf Koran-Verbrennungen durch US-Soldaten auf dem US-Stützpunkt Bagram, dem Hauptquartier der Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Afghanistan. Für viele Muslime in Afghanistan stellt die Verbrennung des Korans eine Schändung und Todsünde dar.

Ich habe auch für das afghanische Staatsfernsehen, Afghan Radio Television gearbeitet, unter anderem mit einer Reportage von einer Niederlage der Taliban durch die afghanischen Streitkräfte, bei der rund 400 Taliban getötet wurden. Ich habe afghanische Soldaten begleitet, gefilmt und den Beitrag später auch kommentiert. Ich war als Journalist viel in Afghanistan unterwegs, auch in den vermeintlich sicheren Gebieten.

Wo sind Sie überall in Afghanistan gewesen, bzw. woher haben Sie berichtet?

In allen wichtigen Provinzen und Städten: Kandahar, Ghazni, Kunduz, Kabul, Taloqan, Masar-e Scharif, Herat, Pol-e Chomri, Baghlan und Herat. In Farah war ich mit afghanischen Soldaten im Panzer unterwegs, weil es Kriegsgebiet ist. In Qala-i-Naw war ich nur einen Tag, habe da meine Recherchen gemacht und bin wieder raus, weil es zu gefährlich war.

Die Bundesregierung sagt, es gibt sichere Gebiete und man kann da auch hinfahren und sich dort niederlassen.

Das stimmt einfach nicht. Ich habe das zum Beispiel bei einer Busfahrt von Herat nach Kabul erlebt. Ein Hazara wurde aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben. Er wollte mit dem Bus von Herat nach Kabul. Weil er im Iran gelebt hatte, wo Bart tragen keine Pflicht ist, trug er keinen Bart. Wir hatten ihn gewarnt, er soll einen Monat in Herat warten und sich einen Bart wachsen lassen. Ohne Bart ist er nicht sicher.

Der Mann hatte aber kein Geld, um einen Monat zu warten, er wollte sofort fahren. Morgens um 3 Uhr sind wir losgefahren. Der Mann war außerdem nicht afghanisch gekleidet, sondern trug Jeans und ein buntes Hemd. Alle Passagiere haben gesagt, er ist verrückt. Er hat immer abgewunken. Wir sind von Herat über eine südliche Route nach Kabul gefahren. Die erste Kontrolle war durch die afghanische Polizei. Alle im Bus sagten, bei der nächsten Kontrolle der Taliban wissen sie über den Hazara Bescheid, weil bekannt ist, dass die Polizei Informationen an die Taliban weitergibt.

Nach sechs Stunden Fahrt kam eine Kontrolle durch die Taliban. Man musste da am besten schlecht gekleidet sein und einen Bart tragen und einen Schal, so wie er von afghanischen Männern getragen wird. Der Mann hatte sich nur mit einem Schal bedeckt, dem ihn ein alter Mann zum Schutz gegeben hatte. Die Taliban wussten sofort, wo er im Bus saß. Sie haben den Hazara-Mann aus dem Bus geholt und ihn vor den Augen aller Fahrgäste  geköpft, obwohl viele alte Männer aus dem Bus die Taliban gebeten hatten, ihn nicht zu töten.

Der Körper wurde da gelassen, den Kopf sollten wir mit dem Bus nach Kabul fahren, forderten die Taliban. Später warf der Busfahrer den Kopf aus dem Bus. Hazara sind in Afghanistan verfolgt, weil sie Schiiten sind. In Afghanistan leben die meisten in Bamian, viele sind in den Iran geflohen. Pashtunen sind mit den Hazara verfeindet, die Taliban und jetzt auch der IS bedrohen und verfolgen die Hazara.

Laut der Bundesregierung gelten aber zum Beispiel Panjshir oder Masar-e Scharif als sicher.

Panjshir wird als sicher angesehen. Aber dort können die Leute von dort leben - und nur die. Panjshir wurde nie von den Taliban erobert, der Zugang in die Provinz ist streng bewacht. Panjshir liegt in einem engen Tal. Es gibt nur zwei Zugänge. Wer nicht von da ist, hat keine Chance, dort zu leben.

Auch Masar-e Scharif, Kabul und andere Städte werden in BAMF-Bescheiden als sicher bezeichnet. Stimmt das?

Wenn ich aus Herat komme und dort verfolgt bin, kann ich mich nicht einfach in Masar-e Scharif niederlassen. Ich habe dort keine Chance. Ich komme aus einer anderen Stadt, niemand kennt meine Eltern oder Familie, ich bin fremd. Ich kann nicht einfach sagen, ich brauche Arbeit oder eine Wohnung. Alle fragen, wer bist du? Oder sie denken, du bist ein Spion. Alle kennen sich untereinander, weil sie sich fünf Mal am Tag in der Moschee sehen.

Wenn eine Person aus einer anderen Stadt kommt, wird in der Moschee beschlossen, den Fremden auszuschließen. Das gilt auch für Kabul, aber auch für den Ort, an dem ich gelebt habe. In meiner Straße sind 5 bis 6 Unbekannte aufgetaucht und haben nach mir gesucht. Sie fielen sofort auf. Meine Familie und meine Nachbarn haben mich gewarnt. Die Gemeinschaft in Afghanistan verhindert, dass ein Fremder kommt und sich niederlässt. Diese soziale Kontrolle war auch für mich wichtig, weil ich vor den Fremden gewarnt wurde und mich in Sicherheit bringen konnte.

Konnten Sie sich nicht unter den Schutz der Polizei stellen? Das BAMF sagt immer wieder, geht doch zur Polizei.

Wir glauben unserer Polizei nicht. Die Taliban sind sowohl in der Polizei als auch in den Streitkräften. Wenn ich mich dort melde, wird diese Information den Taliban gemeldet. Kidnapping in Herat passiert meist mit Polizeiautos. Wenn die Taliban jemanden töten wollen, kommen sie auch mit Polizeiautos. Die Taliban finden einen überall im ganzen Land, auch wenn du woanders hingehst, auch in Kabul.

Wie äußert sich die Bedrohung durch die Taliban?

Wenn du nicht aufmuckst und machst, was die Taliban sagen, dann drohen sie einem nicht. Die Taliban suchen sich die jungen Leute, sie brauchen sie für die Kämpfe. Sie gehen in die Moscheen und rekrutieren sie. Wenn du nicht mitmachst, schicken sie zuerst einen Brief. Darin wird der Person gedroht, damit sie für die Taliban arbeitet. Wenn du dich weigerst, setzen sie dich noch mehr unter Druck. Jetzt sucht der IS Soldaten. In Herat bieten sie 1.000 Dollar im Monat, wenn man sich ihnen anschließt.

Die Mullahs sind die Kontaktpersonen zwischen den Taliban und der Bevölkerung. Zuerst gibt es eine religiöse Ausbildung zum Beispiel an der Universität in Herat, die vom Iran unterstützt wird, dann gehen viele nach Pakistan, lernen dort weiter und radikalisieren sich gegen den Westen und die ausländischen Kräfte. Jetzt kommt der IS dazu, sie bauen sich gerade auf. Inzwischen gibt es eine Konkurrenz zwischen IS und Taliban. Taliban werden von den Russen unterstützt, der IS von Saudi-Arabien.

Was passiert mit Rückkehrern?

Wenn du in Europa warst, westliche Kleidung trägst oder ohne Bart bist, fällst du auf. Sie sagen du warst bei den Christenmenschen, du hast uns verraten. In Ghazni wurden vier freiwillige Rückkehrer aus Europa von den Taliban ausgepeitscht, weil sie aus dem Westen kamen und eine Zeit lang mit dem Westen und den Christen Kontakt hatten.

Wie haben Sie sich zur Flucht entschlossen?

Ich war Journalist, habe für das afghanische Staatsfernsehen gearbeitet, war mit afghanischen Soldaten unterwegs Die Taliban wollen nicht, dass Du über ihre Niederlagen berichtest, das ist schlechte Propaganda. Ich habe im Taliban-Gebiet Fotos gemacht, ich konnte dahin, da der Vater meines Freundes bei den Taliban ist. Eine andere Gruppe hat mich gekidnappt, sie sagten ich sei ein Spion. Der Vater meines Freundes hat mich frei bekommen. Die waren in seinem Gebiet unterwegs und dort ist er der Chef.

Ich kam frei, ging zurück nach Herat. Dann haben die Taliban aber auch dort nach mir gesucht. Als ich weg war, sind noch Monate später Fremde in meine Straße gekommen und haben nach mir gefragt. Deswegen sind meine Eltern inzwischen in eine andere Gegend gezogen.

Wie ist es Ihnen beim Bundesamt ergangen?

Ich habe dem Anhörer meine Geschichte erzählt und alle meine Beweise und Zertifikate vorgelegt. Fotos und Videos hatte ich auf einem USB-Stick dabei. Er hatte kein Interesse daran, wollte die Dokumente nicht sehen. Der Dolmetscher sprach Pashtu, ich spreche Farsi. Er konnte nicht richtig Farsi sprechen. Der Dolmetscher hat eine abfällige Bemerkung über mich als Tadschiken gemacht, ich sei so vornehm, weil ich einen Universitätsabschluss hätte. Er konnte auch nicht richtig Deutsch.

Der Anhörer hat sich gar nicht für das interessiert, was ich sage. "Weiter, weiter… " sagte er. Zum Glück hatte ich Michael, meinen Nachbarn, dabei. Er hat gemerkt, dass gar nicht protokolliert wird, was ich sage. Und dann entscheidet eine andere Person über mich, die mich noch nie gesehen hat. Mein Asylantrag wurde abgelehnt. Ich klage jetzt dagegen. Ich finde es unglaublich, wie schlecht das BAMF arbeitet. Nicht nur in meinem Fall, sondern auch bei vielen anderen Afghanen, die ich kenne. Hier wird mit Menschenleben gespielt.

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - News vom 01.06.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

01. Juni 2017

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