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Diskriminerung anerkennen! Schutz gewähren!

Der 8. April ist "International Roma Day"

Der 8. April ist "International Roma Day" - der internationale Tag der Rom*nja. Dieser Tag bietet die Gelegenheit, sich mit der aktuellen Situation der am stärksten diskriminiert ethnischen Minderheit Europas auseinanderzusetzen. Beispiele für die Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt, denen Rom’nja in Europa immer noch ausgesetzt sind, gibt es leider genug.

Am 31. März gab es einen Pogrom gegen Rom*nja in der rumänischen Kleinstadt Gheorgheni. Dabei wurden Menschen aus ihren Häusern gezerrt und die Häuser niedergebrannt - barbarische Szenen, die an die dunkelsten Epochen der Menschheitsgeschichte erinnern, sich aber im Jahr 2017 in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union abspielen.

Am 5. April starb ein 25-jähriger Rom , zweifacher Familienvater, unter dubiosen Umständen in einem mazedonischen Gefängnis. Seine Angehörigen gehen davon aus, dass er als Folge von Misshandlungen starb. Es ist bereits das zweite Mal binnen weniger Monate, dass ein Rom unter diesen Umständen in einem mazedonischen Gefängnis ums Leben gekommen ist. Obwohl Rom*nja auch seitens der Polizei und anderer staatlichen Stellen Gewalt und Diskriminierung erfahren, gilt Mazedonien in Deutschland als "sicheres Herkunftsland". Rom*nja, die vor diesen Zuständen fliehen, haben kaum Aussicht auf Schutz.

Auch in Ungarn, Tschechien und der Slowakei sind Rom*nja vielfach antziganistischer, rassistischer Gewalt bis hin zum Pogrom und Mord schutzlos ausgeliefert, weil staatliche Stellen diese dulden oder sogar befördern.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hätte durch eine Verweigerung der Zustimmung im Bundesrat die Einstufung der Westbalkan-Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" verhindern können. Sie hat es nicht getan. Sie trägt deshalb eine direkte Verantwortung dafür, dass die am stärksten diskriminierte Minderheit Europas, die hunderttausendfach dem NS-Rassenwahn zum Opfer fiel, weiterhin Diskriminierung, Elend, Ausgrenzung und Gewalt bis hin zum Mord erleidet.

Im Herbst steht eine Überprüfung der Einstufung der sogenannten "Sicheren Herkunftsstaaten" an. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert, das Konstrukt "Sichere Herkunftsstaaten" abzuschaffen und ein individuelles Recht auf ein faires Asylverfahren herzustellen. Zudem appelliert der Flüchtlingsrat eindringlich vor allem an ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit, sich die zynische Hierarchisierung nach "guter" oder "schlechter Bleibeperspektive" beziehungsweise die offiziell forcierte Ausgrenzung von Menschen aus "sicheren Herkunftsstaaten" nicht zu eigen zu machen, sondern diese ideologischen Konstrukte zu entlarven und zu kritisieren, und praktische Solidarität mit allen Geflüchteten zu üben.

Wir dokumentieren die Stellungnahme des Bundes-Roma-Verbandes zum International Roma Day 2017 unter dem Motto "Take back the future".

"Take back the future"

Während manche planen können, wie ihre Leben verlaufen sollen und darüber nachdenken dürfen, welchen Beruf sie wählen, wo und wie sie leben möchten, können andere nur hoffen, eines Tages diese Freiheiten zu haben.

Für genau diese Hoffnung kämpfen diese meist in unwürdiger Unterbringung einen bürokratischen Kleinkrieg. Kettenduldungen oder kalte, überfüllte, provisorische Zelte als Wohnorte, unfaire verkürzte juristische Prozesse, gezielte Desintegration und die tagtägliche Angst vor nächtlicher Abholung zur Abschiebung sind bundesdeutsche Realität.

Nach Zahlen des Flüchtlingsrates wurden im ersten Halbjahr 2016 dreizehntausend-sieben-hundert-drei-undvierzig Menschen abgeschoben, davon fünftausend-sieben-hundertsechsundsiebzig in angeblich "sichere Herkunftsstaaten". Dreizehntausendsieben-hundert-drei-und-vierzig, das sind nicht numerisch, sondern menschlich gesehen eins + eins + eins + eins + eins .. und so weiter. Menschen, unterschiedlich in Alter und Geschichte. Gleich in der Hoffnung, dem Zustand der Rechtlosigkeit zu entfliehen. Von einem Tag zum nächsten leeren sich Schulbänke, Kolleg*innen und Nachbar*innen sind nicht mehr aufzufinden. Menschen, die sich nicht "freiwillig" in die angeblich "sicheren" Herkunftsstaaten des Westbalkans abschieben lassen, werden mit einem mehrjährigen Einreiseverbot belegt: Familien, deren Kinder hier-zulande geboren sind, die niemals etwas anderes sahen als dieses Land, werden in den Kosovo, nach Mazedonien, nach Serbien oder nach Bosnien und Herzegowina verbracht.

Dabei ist der Begriff des "Wirtschaftsflüchtling" nur ein rhetorisches Mittel, um ihre Verfolgung und damit reale Fluchtgründe zu ignorieren, schlimmer noch: sie zu verunglimpfen. Das Recht auf Asyl sollte ideengeschichtlich Menschenleben schützen, aber heute bewertet und hierarchisiert es Leid.

Berichte der Bewohnenden belegen die Verletzung der Menschen-würde und -rechte in den Lagern in Deutschland. Auch Studien weisen die fort-gesetzten Verletzungen von Menschen- und Kinder-rechten nach. Ebenso sind die unwürdigen Situationen in den Herkunftsstaaten nachgewiesen. Dort, wo es angeblich sicher sein soll, ist zumindest für Minderheitenangehörige wie zum Beispiel Rom*nja die Situation absolut lebensgefährlich. Auch mittel-losen Angehörigen der Bevölkerungsmehrheiten fällt das Überleben schwerer, politisch Aktive oder von Gewalt bedrohte Frauen und Kinder oder nicht normativen Konzepten Folgende oder oder… finden viel weniger Zufluchten, als hier. "Sicher" ist daher nur, dass wir die Sicherheitsvorstellungen der Bundesregierung nicht hinnehmen können.

Mit den Bestrebungen, ebenfalls Gebiete in Afghanistan und dem Irak als "sicher" einzustufen, sind auch 2017 viele Abschiebungen und verkürzte Asylverfahren zu erwarten. Auch andere Länder werden folgen und ebenfalls auf der Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" landen. Der Begriff ist ein migrationspolitisches Instrument, das die Wirklichkeit auf den Kopf stellt, um die Flüchtenden pauschal abzuweisen. Folgen sollen zum Beispiel Tunesien, Marokko und Algerien. Mit zahlreichen Staaten wird über sogenannte Rücknahmeabkommen verhandelt, unter eindeutigen Drohungen, im Verweigerungsfall die Entwicklungshilfe zu kürzen und Wirtschaftsbeziehungen zu beenden. Diese [neo]kolonialen Verhältnisse kritisieren wir scharf. Nicht die Menschen sind die Probleme, die beseitigt werden müssen, es sind die Fluchtursachen. Die allermeisten Menschen kommen nicht freiwillig, sondern weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden. Der Deal mit der Türkei und die Abschottung Europas an den Außengrenzen forderten 2016 mehr Menschenleben als zuvor, und auch in 2017 wird diese humanitäre Katastrophe weiterbetrieben.

Seit dem ersten internationalen Tag der Rom*nja 1971 erhebt sich der Widerstand gegen Angriffe auf romani Leben und Identitäten und der Internationale Tag der Rom*nja wird gefeiert. Auch in diesem Jahr nehmen wir diesen Tag zum Anlass, um für eine selbstbestimmte, menschenwürdige Zukunft zu streiten. In Solidarität mit allen Geflüchteten* fordern wir: Take Back the Future!

Quelle: Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V. - 07.04.2017.

Veröffentlicht am

08. April 2017

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