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Neue Zahlen: Wie umkämpft Afghanistan wirklich ist

Die Situation am Hindukusch verbessert sich keineswegs, wie neue Berichte zeigen. Die afghanische Regierung hat nur noch in etwas mehr als der Hälfte des Landes überhaupt die Kontrolle oder maßgeblichen Einfluss. Deutschland rückt trotzdem nicht von Abschiebungen nach Afghanistan ab.

Neue Berichte oder Zahlen aus Afghanistan haben in letzter Zeit immer eines gemeinsam: Sie zeigen, dass die Lage im Land immer schlechter wird. Nun wurde der Vierteljahresreport des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction ( SIGAR ) - einer US-Behörde, die dem Kongress Bericht über den Stand des "Wiederaufbaus" erstattet - veröffentlicht.

"Die Analyse von SIGAR […] legt nahe, dass die Sicherheitssituation in Afghanistan sich in diesem Vierteljahr nicht verbessert hat. Die Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte wird geringer, während […] die Zahl der Distrikte unter Kontrolle oder Einfluss der Aufständischen zunimmt."

SIGAR Quarterly Report (S.65), eigene Übersetzung  

15 Prozent weniger unter Regierungskontrolle

Im Detail heißt es darin, dass von den 407 Distrikten Afghanistans nur noch 20 Prozent von der Regierung kontrolliert und weitere 37 Prozent maßgeblich von ihr beeinflusst seien. Das sind satte 15 Prozent weniger als im November 2015! Ein Drittel der Distrikte wird im Bericht als "umkämpft" beschrieben, zehn Prozent sind gar bereits unter voller Kontrolle oder überwiegendem Einfluss von Aufständischen. (S.89/90 des Reports ).

Interessant dabei: Selbst diese alarmierenden Zahlen dürften bereits veraltet sein. Der Bericht stammt ursprünglich bereits aus dem Januar und umfasst teilweise noch ältere Zahlen. In den vergangenen sechs Monaten dürfte die Lage sich weiter verschlechtert haben - dafür spricht auch ein von den Taliban selbst veröffentlichter Report, in dem sie zusammenfassen, in welchen Gebieten sie nach eigener Aussage wieviel Kontrolle ausüben.

Die Angaben sind selbstverständlich mit viel Vorsicht zu genießen, dennoch ist die Karte, die das "Long War Journal" daraus erstellt hat , erschreckend - sie zeigt, dass es nur wenige Landesteile gibt, in denen die Taliban keine Präsenz zeigen.

Nirgends gibt es langfristige Sicherheit

Während die Menschen in den von Taliban kontrollierten Gebieten vor der Wahl stehen, entweder zu fliehen oder sich anzupassen und unter der Unterdrückung zu leben, leiden sie in dem Drittel des Landes, das auch nach offiziellen Angaben als "umkämpft" gilt vor allem unter den ständigen wechselseitigen Attacken.

Die UN berichtete im Jahr 2016 über durchschnittlich 60 "Sicherheitsvorfälle" jeden einzelnen Tag (S.86 des Reports , inklusive Erklärung, was als security incident zählt). Und: Es steht zu vermuten, dass dabei aus den Taliban-Gebieten kaum Informationen über solche Vorfälle nach außen dringen.

Die Verantwortlichen flüchten sich weiter in die Mär der angeblich "sicheren Regionen" und scheinen dabei bewusst auszublenden, in welche Situation sie die Menschen eigentlich tatsächlich abschieben. 

Aber auch in den nicht als umkämpft geltenden Gebieten ist die Lage weder langfristig - wie die zunehmende Ausbreitung der Taliban zeigt - noch aktuell zwangsläufig sicher. Allein in der Hauptstadt Kabul kam es in den ersten drei Monaten des Jahres zu "fünf großen Anschlägen mit mindestens 132 Toten und mindestens 347 Verletzten", berichtet die taz .

Weiterhin fliehen Zehntausende Afghan*innen

Waren Ende 2015 gemäß der United Nations Assistance Mission in Afghanistan ( UNAMA ) bereits 1,17 Millionen Afghan*innen als Binnenvertriebene auf der Flucht im eigenen Land, kamen im vergangenen Jahr mutmaßlich über 600.000 weitere hinzu, während nur rund 100.000 der Vertriebenen zurückkehren oder umgesiedelt werden konnten.

Und der Trend hält an: Auch 2017 gibt es bereits 50.000 neue Binnenvertriebene , wie die dpa berichtete. Innerhalb von nur einer Woche wurden dabei in 22 der 34 Provinzen Afghanistans solche Vertreibungen verzeichnet.

Bundesregierung muss Lage zur Kenntnis nehmen!

Die Umsetzung des EU-Plans zur massiven Abschiebung afghanischer Flüchtlinge soll scheinbar nicht von der dramatischen Situation in der Realität vereitelt werden: Völlig unbeirrt fährt Deutschland damit fort, nach Afghanistan abzuschieben. Ende März ging bereits der vierte Flieger nach Kabul, ähnlich verfahren auch andere europäische Länder , wie Schweden, Österreich oder die Niederlande.

Die dafür Verantwortlichen flüchten sich weiter in die Mär der angeblich "sicheren Regionen" und scheinen dabei bewusst auszublenden, in welche Situation sie die Menschen eigentlich tatsächlich abschieben.

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - News vom 05.04.2017.

Veröffentlicht am

06. April 2017

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