Protestkundgebung gegen Afghanistan-Abschiebungen in GammertingenEtwa 50 Menschen, darunter zahlreiche afghanische Geflüchtete, nahmen am 27. März 2017 anlässlich der vierten Sammelabschiebung nach Afghanistan an einer Protestkundgebung in der Kleinstadt Gammertingen auf der Schwäbischen Alb teil. Bei der von Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg organisierten Veranstaltung protestierten sie gegen unmenschliche Zwangsrückführungen ins Bürgerkriegsland Afghanistan und solidarisierten sich mit den Betroffenen. Zu hören waren Redebeiträge von Michael Schmid und Katrin Warnatzsch. Gudrun Scheuerle und Walter Märkle trugen Texte von Kurt Marti und Konstantin Wecker vor. Ein aktueller Kommentar des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig wurde vorgelesen. "Menschenleben auf diese Weise zu gefährden, geht überhaupt nicht!"Michael Schmid führte aus, dass Afghanistan eines der gefährlichsten, gewalttätigsten und krisengeschütteltsten Länder der Welt sei. Die Schreckensmeldungen rissen nicht ab. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) habe in seinem im Auftrag des Bundesinnenministers verfassten Berich Heftige Kritik übte Michael Schmid daran, dass ausgerechnet Baden-Württemberg mit einem grünen Ministerpräsidenten an allen bisherigen Sammelabschiebungen beteiligt gewesen sei. Das habe nicht zuletzt auch bei den Grünen selber ziemlichen Protest hervorgerufen. Es reiche allerdings nicht aus, dass Ministerpräsident Kretschmann seine Sorgen über die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan zum Ausdruck bringe und vom Bundesaußenminister eine neue Einschätzung der Sicherheitslage fordere, gleichzeitig aber mittrage, dass aus Baden-Württemberg afghanische Schutzsuchende in den Hindukusch abgeschoben würden. Es hätte auch sicher große Auswirkungen auf die Abschiebepolitik der Bundesregierung, wenn Baden-Württemberg sich, wie andere Bundesländer, nicht mehr an den Abschiebungen beteiligen würde. Deshalb erwarte er von den Grünen im Land, dass sie einen sofortigen Stopp der Afghanistan-Abschiebungen erwirken sollen. Diese Forderung richtete er ebenfalls an die Bundesregierung. Zudem sei Geflüchteten aus Afghanistan ein sicherer Aufenthaltsstatus zu gewähren, der das Recht auf Familiennachzug beinhaltet. Weiter seien Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht geflüchtete Menschen. "Wir fordern also eine Politik, die sich der eigenen Mitverantwortung für globale Fluchtbewegungen stellt und Fluchtgründe wie Krieg, politische Verfolgung, Armut, Klimawandel usw. aktiv bekämpft." "BAMF setzt Wunsch nach Senkung der Schutzquote für afghanische Schutzsuchende um"In einer weiteren Rede ging Katrin Warnatzsch vor allem auf die Rolle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Hintergründe für die drastische Zunahme von Ablehnungsbescheiden für afghanische Schutzsuchende ein. Als im Herbst 2015 besonders viele Schutzsuche Diese deutliche Zunahme der Ablehnungen, die mit der politischen Einflussnahme auf das BAMF zu tun habe, zeige sich ganz drastisch bei den in Gammertingen lebenden afghanischen Schutzsuchenden. Neun von ihnen hätten dieses Jahr einen Bescheid des BAMF erhalten. Davon gebe es eine einzige Anerkennung des Flüchtlingsstatus und acht Ablehnungen! Das entspreche einer rechnerischen Ablehnungsquote von über 88 %! "Das ist absolut unmenschlich angesichts der Zustände im Bürgerkriegsland Afghanistan! Wenn ich diese ablehnenden Textbausteinbriefe lese, bin ich fassungslos und wütend." Sie erlebe mit, so Katrin Warnatzsch, wie die Empfänger dieser Ablehnungsbescheide in Angst und Schrecken versetzt würden. Und die anderen, die mit Angst und Bangen dem eigenen Bescheid zu ihrem Asylantrag entgegenfiebern, seien fast ebenso betroffen davon. "Dies alles ist offensichtlich politisch gewollt: Abschreckung, Zermürbung, daraus folgend der Verzicht auf Rechtsmittel, ‚freiwillige Rückkehr’, notfalls dann die Abschiebung…". Den ablehnenden Bescheiden könne allerdings mit einer Klage beim Verwaltungsgericht begegnet werden. Durch das Lebenshaus Schwäbische Alb würden die abgelehnten Schutzsuchenden dabei unterstützt werden, diesen Klageweg zu gehen. Abschließend forderte Katrin Warnatzsch von der Leitung des BAMF, dass jeglicher Druck auf Anhörer und Entscheider seitens der Bundesregierung zugunsten deren "politischen Willen" aufs Schärfste zurückgewiesen werde. Und vor allem von der Bundesregierung und den Landesregierungen forderte sie einen völligen Kurswechsel in Bezug auf afghanische Schutzsuchende. Diesen sei eine sichere Bleibeperspektive in unserem Land zu gewähren. "Ich habe einen Traum"Zwischen den Reden trugen Gudrun Scheuerle und Walter Märkle den Text "die hoffnung" des Schweizer Pfarrers und Schriftstelle Rüdiger Wrana las einen aktuellen Kommentar des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig vor. Darin wird darauf hingewiesen, dass jeder Anschlag in Europa größte Beachtung und große Sorgen nach sich ziehe, während der weitaus blutigere Terror in Afghanistan längst zum Alltag gehöre und bei uns auf Verdrängung statt auf Mitgefühl stoße. Proteste weiterhin sinnvoll und notwendigMichael Schmid wies zum Schluss der Kundgebung darauf hin, dass angesichts des ungeheuerlichen Unrechts, das mit diesen Sammelabschiebungen geschehe, Proteste weiterhin sinnvoll und notwendig seien. Außer der Teilnahme an Protestveranstaltungen sei es wichtig, wenn in der Flüchtlingssolidarität engagierte Menschen Briefe an ihre Bundes- und Landtagsabgeordneten, an die Bundesregierung, die Landesregierung, an Parteien und Abgeordnete schreiben würden, um ihre Meinung über die Abschiebungen nach Afghanistan zu äußern. Gerade im Wahljahr und angesichts der Tatsache, dass flüchtlingsfeindliche Stimmen sich besonders laut in unserer Gesellschaft äußern, sei es bedeutsam, dass sich diejenigen ebenfalls zu Wort melden, die sich für eine menschliche Flüchtlingspolitik einsetzten. Mit dem von Anneliese Volz angeregten Lied "We shall overcome" wurde die Versammlung beendet. Die Gammertinger Protestkundgebung war eingebettet in zahlreiche Protestaktionen gegen Afghanistan-Abschiebungen, die in den vergangenen Tagen stattfanden. So gab es weitere Proteste in Stuttgart, Karlsruhe, Berlin, Frankfurt, Leipzig, am Abschiebegefängnis Mühldorf in Bayern. Über 300 Menschen protestierten am Montagabend ebenfalls am Münchener Flughafen, von dem aus der Abschiebeflieger mit 15 Menschen startete, die zwangsweise nach Kabul verbracht wurden. (Michael Schmid) Weblinks:
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