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Abschiebungen nach Afghanistan sind skrupellos und gefährden Menschenleben

"Afghanistan bleibt eines der gefährlichsten, gewalttätigsten und krisengeschütteltsten Länder der Welt."

UNOCHA Jahresbericht "Humanitarian Needs Overview 2017"

 

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 92, März 2017 Der gesamte Rundbrief Nr. 92 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 741 KB.)

Um zu wissen, wie unsicher es am Hindukusch zugeht, braucht man z.B. nur die jüngsten Berichte des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Situation in Afghanistan vom 22. Dezember 2016 und den am 6. Februar veröffentlichten UNAMA-Jahresbericht 2016 heranzuziehen. Die Vereinten Nationen zeichnen in beiden Berichten ein desaströses Bild der humanitären Situation in Afghanistan. Die Sicherheitslage am Hindukusch habe sich nochmals dramatisch verschlechtert. Insbesondere eine pauschale Einschätzung bestimmter Regionen Afghanistans als "sichere und zumutbare interne Schutzalternative" sei "nicht möglich". Insgesamt sind laut UN-Berichten im vergangenen Jahr 11.418 Unbeteiligte getötet oder verletzt worden - drei Prozent mehr als 2015. Die Zahl der Verletzten sei um sechs Prozent auf 7.920 Menschen gestiegen. 3.498 seien getötet worden, jede*r dritte Tote sei ein Kind. Dazu kommt noch die dramatisch steigende Zahl von mindestens 1,5 Millionen Menschen als Binnenvertriebene auf der Flucht. Hunderttausende, die in die Nachbarländer Pakistan und Iran geflohen waren, werden derzeit gnadenlos zurückgedrängt.

Der UNHCR äußerte in dem vom Bundesinnenminister angeforderten Bericht zudem ernste Bedenken an der im Jahr 2016 gegenüber dem Vorjahr gesunkenen Schutzquote für Afghan*innen in Deutschland, die in auffälligem Kontrast zur Lage am Hindukusch steht.

Dennoch wurde unter Federführung des Bundesinnenministers im Dezember mit Sammelabschiebungen nach Afghanistan begonnen. Mit zwei Charterflugzeugen waren im Dezember 34 und Januar 26 afghanische Flüchtlinge von Frankfurt/Main nach Kabul deportiert worden. Entgegen den Erkenntnissen der UN und zahlreicher anderer Afghanistan-Experten behauptet die Bundesregierung eisern, es gebe in Afghanistan durchaus Gebiete mit einer Sicherheitslage, die Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern erlaube. Das sehe auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) so, das nur etwa 50 Prozent der afghanischen Antragsteller einen Aufenthaltsstatus in Deutschland gewähre, behauptet Bundeskanzlerin Merkel. Dabei unterschlägt sie allerdings, dass die Bundesregierung das BAMF unter Druck setzt, möglichst viele Asylanträge von Afghaninnen und Afghanen abzulehnen. So wird ein Schuh daraus, wenn Frau Merkel ihre Behauptungen von angeblich sicheren Fluchtalternativen mit dem Ergebnis ihrer eigenen inhumanen Politik untermauern möchte!

Innenminister de Mazière, der den gnadenlosen Hardliner in Sachen Abschiebungen ins Bürgerkriegsland Afghanistan gibt, antwortet auf die Feststellung, dass das ja kein sicheres Land sei: "Interessanterweise haben ja gerade zehn Länder mit grüner Regierungsbeteiligung vor kurzem beschlossen, dass Afghanistan nicht ausgenommen werden soll. Rheinland-Pfalz sagt, wir wollen das nicht so gerne, aber mit Straftätern doch. Ja, aber wenn es unsicher ist, dann kann ich doch auch nicht Straftäter in ein unsicheres Land schicken. Das passt alles nicht zusammen." (ARD-Morgenmagazin vom 9.2.17) Mit dieser Anmerkung hat er recht. Allerdings war er es höchst persönlich, der nach dem Berliner Anschlag solch enormen Druck machte, dass die Landesgrünen glaubten, sich diesem Ansinnen beugen zu müssen. Das bekommen sie jetzt zurück. Dies ist nur ein kleines Beispiel dafür, von welchem Zynismus der Innenminister bei seinem skrupellosen Abschiebungskurs getrieben ist. Jedenfalls verleugnet die Bundesregierung mit ihrem Konstrukt "sicherer afghanischer Regionen" völlig die Realität und redet die Lage schön.

Abschiebungen nach Afghanistan sind angesichts der dortigen Verhältnisse ein völlig gnadenloses, inhumanes und rechtswidriges Unterfangen. Doch Innenminister de Mazière bleibt dabei: "Afghanistan ist die zweit- oder drittgrößte Gruppe. Wir haben dort viele Anerkennungen, aber auch viele Ablehnungen. Und wenn nach Ablehnungen der Verwaltungen, nach den Entscheidungen der Gerichte, nach Befassung der Härtefallkommissionen nun gesagt werden kann, diese Menschen müssen Deutschland verlassen - oft auch Straftäter -, dann geht das auch nach Afghanistan." (ARD-Morgenmagazin vom 9.2.17)

Bei so viel eiskalter Härte ist nicht anzunehmen, dass die Bundesregierung durch Berichte darüber zur Neubesinnung kommen würde, beim Anschlag auf den Obersten Gerichtshof in Kabul am 7.2. sei ein am 23.1. aus Deutschland abgeschobener afghanischer Flüchtling verletzt worden. Die Bundesregierung wird wohl trotzdem weiter behaupten, Kabul sei sicher.

Warum ist es aber gerade Afghanistan, das so sehr zur Zielscheibe für knallhartes Durchgreifen mit Abschiebungen geworden ist?

Wir haben 2017 Bundestagswahlen und die Bundesregierung möchte Durchsetzungsfähigkeit beweisen angesichts des sich ausbreitenden Rechtspopulismus. Abschreckung, Abschiebungen und Abschottung eignen sich dafür aus ihrer Sicht offensichtlich besonders gut. Für den Innenminister macht es schon die pure Quantität abgelehnter afghanischer Schutzsuchender "reizvoll", gerade hier Härte zu demonstrieren.

Dazu kommt aber weiter, dass es überhaupt nicht ins schöngeredete deutsche Bild vom erfolgreichen langjährigen Afghanistan-Einsatz passt, wenn nun derartig viele Menschen von dort hierzulande auftauchen und um Schutz nachsuchen. Entsprechend machen deutsche Politiker wie Innenminister de Mazière Stimmung mit populistischen Slogans wie: Afghanistan habe genug Hilfe bekommen und müsse jetzt allein klar kommen. Dass das aber nicht klappt, hängt damit zusammen, dass Afghanistan seit Jahrzehnten Schauplatz globaler Stellvertreter-Kriege ist, welche die Möglichkeiten des Landes zerstört haben, sich selbst zu helfen. Doch wer von den Befürwortern des "Krieg gegen den Terror" und dem Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch möchte das desaströse Scheitern schon eingestehen?

Christian Jacob macht diese Zusammenhänge in einem Kommentar in der taz vom 26.1.17 deutlich: "Das Signal an die Afghanen soll sein: Ihr habt hier keine Perspektive. Genau deshalb dürfte ihnen auch seit Langem der Zugang zu den Integrationskursen verweigert werden. Der Grund für die Härte, darauf deuten Äußerungen der Bundesregierung hin, ist in der Außenpolitik zu suchen. Der vor 15 Jahren begonnene Bundeswehreinsatz in Afghanistan verlief desaströs. Er soll rund 3,6 Milliarden Euro gekostet haben, 41 deutsche Soldaten und Polizisten wurden getötet - und die Lage in Afghanistan ist heute desolater denn je. Eine schlechtere Empfehlung für weitere Kriegseinsätze gibt es kaum - es sei denn, es gelingt, das Bild des Einsatzes nachträglich zu verbessern.

Genau dazu sollen die Abschiebungen offenbar dienen: Je mehr Abschiebeflüge in Kabul landen, desto leichter kann behauptet werden, dort sei es sicher, sonst würde schließlich nicht abgeschoben werden. Mit diesem Zirkelschluss sollen die Abschiebungen das Scheitern der Bundeswehr kaschieren. Dafür bezahlen müssen die Flüchtlinge: Was in Afghanistan aus ihnen werden soll, weiß niemand."

Was tun? Solidarität mit afghanischen Geflüchteten

In Gammertingen gibt es eine ganze Gruppe junger Afghanen, die aus ihrem von Krieg und Konflikten zerrütteten Land nach Deutschland geflohen sind. In den vergangenen Wochen haben vier von ihnen ihren Bescheid vom BAMF zu ihrem Asylantrag erhalten. Und alle vier Asylanträge wurden jeweils abgelehnt, verbunden mit der Aufforderung, Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Man kann sich unschwer ausdenken, in welche Schrecken diese Menschen damit versetzt werden, die bei einer Rückkehr in ihr Heimatland um ihr Leben fürchten müssten. Die zwangsweise Ausreise innerhalb von 30 Tagen kann allerdings durch eine Klage abgewendet werden. Wir unterstützen sie dabei, indem wir kompetente Fachanwälte vermitteln und diesen für die Klagebegründung zuarbeiten. Weil durch die Klage die Aufforderung zur Ausreise zunächst hinfällig wird, gibt es bei diesem Personenkreis keinen unmittelbaren Grund zur Panik. Dennoch kann man sich leicht ausmalen, welche Ängste bei afghanischen Geflüchteten bei jeder weiteren eingehenden Ablehnung eines Asylantrags ausgelöst werden.

Ein wichtiger Teil unseres Engagements besteht deshalb in der Information über diese unmenschliche Flüchtlingspolitik, mit der Menschen, die hier Zuflucht suchen, wieder in Krieg und Terror zurück gezwungen werden! Auf unserer Internetseite erscheinen hier Woche für Woche zahlreiche Artikel. Zudem veröffentlichen wir auf unserer Website viele Handlungshinweise, weil wir neben Aufklärung Proteste für sehr wichtig ansehen. Wir führen Protestaktionen durch bzw. beteiligen uns daran. So etwa in Form von Protestbriefen und Online-Petitionen an die Bundes- und Landesregierung und an Parteienvertreter*innen. Sei es durch die Teilnahme an einer Protestaktion in Tübingen oder der Organisation einer Kundgebung in Gammertingen anlässlich der dritten Sammelabschiebung nach Afghanistan am 22. Februar.

Was erforderlich ist, hat Ernst-Ludwig Iskenius, IPPNW, sehr gut auf den Punkt gebracht: "Angesichts des ungeheuerlichen Unrechts, das mit diesen Sammelabschiebungen geschieht, sollten wir unsere Stimme der Vernunft solange weiter verbreiten, solange Protest in unserem Umfeld organisieren, sensibilisieren und auch solange den Widerstand weiter organisieren, bis wir einen Abschiebestopp als Zivilgesellschaft durchgesetzt haben. Wir haben die Chance, dieses Unrecht zu stoppen, wir haben auch im Interesse der Erhaltung unserer offenen Gesellschaft und im Interesse der Bewahrung unserer menschlichen Willkommenseinstellung keine andere Wahl. Werde jeder auf seine Weise aktiv."

Fußnoten

Veröffentlicht am

21. März 2017

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