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Prozessbeobachtung in der Türkei: Alle Zeugen widerrufen unter Folter gemachte Aussagen

Dr. med. Serdar Küni mit Terrorismusvorwurf weiter in Haft

Der türkische Arzt und Menschenrechtler Dr. Serdar Küni befindet sich seit Oktober 2016  in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, während des jüngsten Krieges im Südosten der Türkei "mutmaßlich Militante behandelt zu haben" und Mitglied der PKK zu sein. Gestern wurde sein Fall vor dem Bezirksgericht in Sirnak verhandelt. Obwohl alle von der Staatsanwaltschaft eingebrachten Zeugen ihre Aussagen widerriefen, wurde Künis Untersuchungshaft bis zum nächsten Verhandlungstermin, dem 24. April 2017, verlängert.

Dr. Serdar Küni ist seit Jahren als Arzt im Gesundheitszentrum von Cizre in dem im Südosten der Türkei gelegenen Bezirk Sirnak tätig, wo er auch während der dortigen über Monate andauernden Ausgangssperren und Gefechte Anfang des Jahres 2016 Behandlungen durchführte. "Ich bin in meinem Beruf als Arzt verpflichtet, jeden zu behandeln, der ärztlicher Versorgung bedarf. Aber ich habe mich in diesem Rahmen immer an Recht und Gesetz gehalten", erklärte Dr. Serdar Küni in der Verhandlung. Er ist in Cizre auch Vertreter der dortigen Menschenrechtsstiftung und war Präsident der Ärztekammer in Sirnak. Am 12. März 2017 erhielt er den Preis für Friedensfreundschaft und Demokratie (Peace Companionship and Democracy Award) der Ärztekammer von Diyarbakir (Medical Chamber).

Die Staatsanwaltschaft warf ihm jedoch vor, mutmaßlich militante Personen behandelt und dies nicht gegenüber den Sicherheitskräften zur Anzeige gebracht zu haben. Er sei Mitglied der PKK. Um diesen Vorwurf zu beweisen, hatte die Staatsanwaltschaft vier Zeugen eingebracht, die mit ihren Aussagen Dr. Serdar Küni belasteten.

Die Zeugenbefragung zeigte, wie die Polizei und Sicherheitskräfte während der Ausgangssperren vorgegangen waren. In Cizre waren bei der 79-tägigen Rund-um-die-Uhr-Ausgangssperre mehrere hundert Personen bei den Auseinandersetzungen zwischen kurdischen jugendlichen Kämpfern und türkischen Sicherheitskräften getötet worden. Zehntausende mussten ihre Häuser verlassen. Heute sind viele dieser Gebiete geräumt, die Hausbesitzer enteignet und ganze Stadtviertel abgerissen.

Ein Belastungszeuge nach dem anderen erklärte unter Eid vor Gericht, dass er den Arzt Dr. Serdar Küni nie gesehen habe und nicht kenne. Einer erklärte, auf ihn sei psychisch Druck ausgeübt worden, damit er die Aussage unterschreibt. Alle anderen Zeugen machten deutlich, dass sie nach ihrer Verhaftung durch die Polizei und Sicherheitskräfte gefoltert worden seien. "Sie haben mir einen Zahn ausgeschlagen", berichtete einer von ihnen. "Dann zogen sie mir eine Weste mit einem Sprengsatz an und drohten mich in die Luft zu sprengen. Ich habe unterschrieben, aber nichts davon, was dort steht, ist wahr."

Die Verteidigung machte in ihren Plädoyers deutlich, dass Dr. Serdar Küni als Arzt der Schweigepflicht unterliegt und es seine Verpflichtung als Arzt sei, jede Person zu behandeln, die ärztlicher Versorgung bedarf. Sie forderte angesichts des Prozessverlaufs die sofortige Freilassung von Dr. Serdar Küni.

Die Staatsanwaltschaft hingegen äußerte weiterhin Zweifel an seiner Unschuld und forderte das Gericht auf, die Untersuchungshaft zu verlängern. Nach kurzer Beratungszeit kam das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft nach.

Zu dem Prozess waren etwa 70 Personen gekommen, darunter auch sechs Beobachter aus Deutschland, England, Schweden, Norwegen und den USA. Sie zeigten sich nach dem Prozess schockiert über das Vorgehen des Gerichts. "Nach der Folterkonvention ist ein Verfahren unverzüglich einzustellen, wenn sich herausstellt, dass Zeugenaussagen unter Folter erpresst wurden", so Ernst-Ludwig Iskenius von der IPPNW aus Deutschland. "Die Aussagen der Zeugen hätten kaum deutlicher zum Ausdruck bringen können, mit welcher Brutalität die türkischen Sicherheitskräfte im Krieg im Südosten vorgegangen sind", so Rudi Friedrich, der für Connection e.V. und die War Resisters’ International nach Sirnak gekommen war. "Es ist erschreckend, wie weit die politischen Vorgaben der türkischen Regierung bis in das Justizwesen hinein wirken."

"Der Fall von Dr. Serdar Küni ist sehr bedeutsam für die Türkei. Wir sind froh, dass er solch große internationale Unterstützung erhält", betonte Metin Bakkalci für die Menschenrechtsstiftung der Türkei. Die internationalen BeobachterInnen fordern einmütig die sofortige Freilassung von Dr. Serdar Küni. "Wir verurteilen aufs Schärfste das Vorgehen der türkischen Justiz", betonte Ernst-Ludwig Iskenius. "Wir werden weiterhin an der Seite derjenigen stehen", ergänzte Rudi Friedrich, "die sich in der Türkei unter großer Gefährdung für die Menschenrechte und für eine friedliche Lösung der Konflikte einsetzen."

Quelle: Connection e.V. , IPPNW und War Resisters’ International - Pressemitteilung vom 14.03.2017.

Veröffentlicht am

15. März 2017

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