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Der Massenmord geht weiter. Was können wir tun?

Von Bernd Drücke

Vor ein paar Tagen sprach mich ein Nachbar auf der Straße an. Er habe auf www.graswurzel.net gesurft und sei empört über die Graswurzelrevolution "und alle Pazifisten". Dass der Westen nicht in den Krieg in Syrien eingreife, sei ein Skandal. "Da werden Menschen abgeschlachtet und Ihr macht nichts! Und dass Ihr noch nicht einmal die Kurden unterstützt, kotzt mich an!"

Offensichtlich erzeugt das, was die Medien aus dem Kriegsgebiet in Syrien vermitteln, ein ziemlich schräges Bild.

"Die Pazifisten haben Auschwitz erst möglich gemacht", behauptete Heiner Geißler als CDU-Politiker unter Kohl. Und heute sind die Pazifisten Schuld an den Gräueln, die in Syrien verübt werden?

In Syrien findet ein Stellvertreterkrieg statt. Auf der einen Seite bombardiert das folternde Assad-Regime zusammen mit seinen Verbündeten Russland und Iran große Teile der syrischen Bevölkerung. Auf einer anderen Seite stehen die von den westlichen Mainstreammedien immer gerne als "Rebellen" schön geredeten, tatsächlich aber überwiegend aus Dschihadisten bestehenden Milizen. Letztere haben mit den friedlichen DemonstrantInnen, die 2011 - inspiriert vom "Arabischen Frühling" in Tunesien und Ägypten - mit großen Demonstrationen für eine Demokratisierung Syriens eintraten, nichts gemein. Die "Gotteskrieger" wollen Jauche statt Gülle, sie wollen die Assad-Diktatur durch eine islamistische Diktatur ersetzen. Die bis vor kurzem noch in Ost-Aleppo ausharrenden "Rebellen" wurden dominiert von militanten Islamisten der 2016 von al-Qaida abgespaltenen Dschabhat Fatah al-Scham (Front für die Eroberung Groß-Syriens/Ex-Nusra-Front). Diese Islamisten werden massiv mit Waffen (und Kämpfern) nicht zuletzt aus der Türkei und den wahhabitischen Diktaturen Saudi-Arabien und Katar unterstützt. Ziel dieser Krieger ist ein repressiver, islamistischer Gottesstaat, wie er heute in dem massiv auch mit deutschen Waffen unterstützen Saudi-Arabien Realität ist.

Die nicht-islamistische "Freie Syrische Armee", die bisher unter anderem von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wurde, hat innerhalb der verschiedenen syrischen Milizen kaum noch Einfluss.

Die innerhalb der extrem gespaltenen syrischen Gesellschaft noch am ehesten sympathischen kurdischen YPG-Milizen, die für ein autonomes, sozialistisch-demokratisches "Rojava" in den kurdischsprachigen Gebieten Syriens kämpfen, haben mit dem syrischen Assad-Regime eine Art Stillhalteabkommen und werden militärisch massiv vom IS und dem türkischen Erdogan-Regime bekämpft.

Syrien droht ein ähnliches Schicksal wie dem Nachbarland Libyen. Diese ehemalige italienische Kolonie ist durch Bombardierungen durch Kriegsflugzeuge von NATO-Staaten wie Frankreich, Großbritannien, den USA, Italien und Norwegen sowie den arabischen Staaten Katar, Jordanien und Vereinigte Arabische Emirate und einen von diesen Ländern unterstützten Aufstand gegen den (2011 von einem Mob ermordeten) Staatschef Gaddafi mittlerweile in mehrere Teile zerbrochen. Dabei werden verschiedene Regionen Libyens seit vier Jahren von der islamistischen Terrororganisation IS und von diversen Warlords beherrscht.

Die deutsche Presse misst mit zweierlei Maß

Über den ebenfalls extrem brutalen Jemen-Krieg, den die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien derzeit auf dem Rücken der jemenitischen Gesellschaft und auch mit deutschen Waffen führen, wird kaum berichtet. Und die Kriegsverbrechen, die zeitgleich mit dem Massaker in Aleppo im irakischen Mossul von allen Kriegsparteien verübt werden, sind hierzulande ebenfalls kein Thema, das es auf die Titelseiten schafft.

Ist Aleppo "gefallen"? So wie es die westlichen Medien darstellen - und dabei den kontinuierlich unter Regierungskontrolle befindlichen Westteil der Stadt ignorieren, der gar nicht "gefallen" sein kann? Wurde Aleppo "befreit"? So wie es die Fans des autokratischen Putin-Regimes sehen?

Weder noch! Aleppo wurde zum großen Teil zerstört. Mehr als 250.000 Menschen wurden bisher im Syrienkrieg getötet. Unfassbar viele Kinder, Frauen und Männer sind angesichts der massiven Bombardierungen und der erlebten Kriegsgräuel der verschiedenen Kriegsparteien traumatisiert!

Was tun?

Große Teile der syrischen Bevölkerung haben sich durch Flucht dem Krieg und dem Kriegsdienst entzogen. Viele von ihnen haben erkannt, dass keine der Kriegsparteien in Syrien Unterstützung verdient. Ihnen, den Geflüchteten und Deserteuren aller Kriegsparteien gehört unsere Solidarität, nicht den Krieg führenden Schlächtern, die für ihre Machtgier über Leichen gehen.

Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Wir sollten alles dafür tun, diesen Wahnsinn zu stoppen. Es gilt, die NATO-Staaten davon abzuhalten, den Krieg mit eigenem Kriegseinsatz auszuweiten und die neo-osmanische, imperialistische Politik der Türkei zu unterstützen.

Bewaffnete Konflikte haben immer auch eine Eskalations-Logik, die es zunehmend schwerer macht, die beteiligten Mächte zu bremsen, solange sie auf totalen Sieg hoffen und genügend Unterstützung mobilisieren können. Ein Grund mehr, gegen die Militarisierung sozialer Konflikte zu agieren.

Wir können auch hier, im Herzen der kapitalistischen Bestie, dazu beitragen, dass die Kriege ein Ende haben. Hier wird ein großer Teil der Waffen produziert, die weltweit in den Kriegen zum Einsatz kommen. Deutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Und wer, wie die Bundesrepublik, Waffen an die Kriegsverbrecher und Despoten in der Türkei, Saudi-Arabien und Katar verkauft, ist direkt mitverantwortlich für die Verbrechen, die mit diesen Waffen verübt werden.

Stoppt alle Waffenexporte! Solidarität mit den Geflüchteten. Für eine solidarische, gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft.

Bernd Drücke, Dr. phil., Soziologe, freier Journalist, Autor und Koordinationsredakteur der Zeitschrift Graswurzelrevolution.

Quelle: graswurzelrevolution 415, Januar 2017.

Veröffentlicht am

28. Dezember 2016

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