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Der Schock als Chance

Berlin hofft den Aufbau einer EU-Militärmacht und eventuell auch europäischer Nuklearstreitkräfte dank Donald Trumps Wahlsieg deutlich forcieren zu können. Der einflussreiche Diplomat und Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger äußert, er "hoffe", "durch den Trump-Schock" sei "die Bereitschaft" zur Militarisierung der Union "dramatisch gewachsen". Das Europaparlament hat in der vergangenen Woche eine Entschließung verabschiedet, die unter anderem den Aufbau eines militärischen EU-Hauptquartiers, die Bildung einer "politischen Führung" für EU-Einsätze und die EU-weite Anhebung der Militäretats auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorsieht. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wirbt weiterhin für eine "Supermacht EU". Nach ersten Vorstößen von Experten haben sich nun auch erste führende Politiker und Kommentatoren dafür ausgesprochen, der EU auf der Basis französischer und britischer Atomwaffen Nuklearstreitkräfte zu verschaffen. Dafür reichten allerdings die französischen und die britischen Arsenale nicht aus, heißt es vielsagend in einer der führenden meinungsbildenden Tageszeitungen der Bundesrepublik.

Einigung per Krieg

In der aktuellen Kampagne zum beschleunigten Aufbau gemeinsamer Streitkräfte innerhalb der EU hat sich am Wochenende zum wiederholten Male der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, zu Wort gemeldet. Mit Blick auf die zahlreichen kaum noch zu steuernden Krisen in der EU verlangt Ischinger, es müsse jetzt "das alleroberste Ziel" Berlins sein, "die EU zu erhalten" und "ein weiteres Auseinanderbröseln Europas zu verhindern".Thorsten Jungholt: "Der Westen, das sind jetzt wir". www.welt.de 26.11.2016. Dazu sei es hilfreich, die Militarisierung der EU energisch voranzutreiben - das alte Konzept, Krisen im Innern durch Aggressionen nach außen zu übertünchen. Laut Ischinger müssten sich die EU-Staaten auf eine "europäische Verteidigungsunion mit eng verzahnten Streitkräften" und "einem konsolidierten Beschaffungs- und Rüstungswesen" einigen; auf diese Weise könne bald "viel Geld eingespart und viel zusätzliche Kampfkraft erzeugt werden". Es gelte "endlich Nägel mit Köpfen zu machen, um die EU auch im militärischen Bereich ins 21. Jahrhundert zu führen", fordert der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: "Deutschland muss darauf drängen, dass die EU zum Global Player in einer unsichereren Welt wird"."Die Europäer müssen mehr für Verteidigung ausgeben". www.handelsblatt.com 24.11.2016.

"Der Westen sind wir"

Ischinger äußert zugleich die "Hoffnung", "durch den Trump-Schock" sei "die Bereitschaft" zur forcierten Militarisierung der EU womöglich "dramatisch gewachsen". Als identitätsstiftendes Alleinstellungsmerkmal einer künftig noch kriegerischer auftretenden EU kann ihm zufolge das Label "Westen" dienen. "Für die Generation meiner Kinder", äußert der 70-Jährige, werde es nicht "möglich sein", den künftigen US-Präsidenten Donald Trump als "Inkarnation" des "westlichen Wertekanons anzusehen": "Der Westen, das sind jetzt wir", erklärt Ischinger; Berlin und die EU müssten "jetzt die Verantwortung übernehmen für die Idee und die Werte des Westens".Thorsten Jungholt: "Der Westen, das sind jetzt wir". www.welt.de 26.11.2016. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass die EU "ohne die Allianz und den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner" gegenwärtig "nicht verteidigungsfähig" sei: Noch "brauche" man die Vereinigten Staaten, "auch mit diesem Präsidenten".

Forderungen an Trump

Berlin und Brüssel müssten wegen ihrer vorläufig noch bestehenden militärischen Abhängigkeit alles daran setzen, möglichst schnell auf Trump Einfluss zu nehmen, erklärt Ischinger: Nach seiner Amtseinführung am 20. Januar werde der US-Präsident "festgelegt" sein und "von seinen Positionen ohne Gesichtsverlust nicht mehr ablassen können". Ischinger plädiert dafür, die EU solle "ein gemeinsames Positionspapier" mit Forderungen an die US-Administration vorlegen, "mit unseren zehn oder 15 wichtigsten Erwartungen". Das Vorgehen zielt darauf ab, die EU enger zusammenzuschweißen. Ergänzend schlägt Ischinger die Bildung einer "informelle[n] EU-Vierer- oder Fünfergruppe" vor, "die mit Washington sprechen kann", ähnlich dem kürzlich in Berlin abgehaltenen Gipfel von US-Präsident Barack Obama mit den Staats- und Regierungschefs der fünf größten Staaten der Union.Thorsten Jungholt: "Der Westen, das sind jetzt wir". www.welt.de 26.11.2016. Die Einbindung der erheblich krisengeschwächten Staaten Frankreich und Italien ermöglicht es der Bundesregierung, die politischen Entscheidungen faktisch zu lenken, zugleich aber ihre Dominanz zwecks Vermeidung von Widerständen hinter einer angeblichen EU-Führungsgruppe zu verschleiern.

Die Militarisierungskampagne

Auf EU-Ebene schreitet die Militarisierungskampagne, die freilich schon im Sommer begonnen hat S. dazu Auf Weltmachtniveau , Die Europäische Kriegsunion und Strategische Autonomie . und durch die Wahl Donald Trumps lediglich legitimiert und beschleunigt wird, inzwischen voran. Anfang Oktober haben Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian eine Absichtserklärung zum Ausbau der Zusammenarbeit im taktischen Lufttransport unterzeichnet. Demnach werden Berlin und Paris bis zum Jahr 2021 eine gemeinsame Lufttransportstaffel mit Flugzeugen des Typs Hercules C-103J zusammenstellen; sie soll in Frankreich angesiedelt werden.Deutschland und Frankreich gehen in der Sicherheitspolitik voran. www.bmvg.de 04.10.2016. Weitere Schritte haben die EU-Verteidigungsminister vor zwei Wochen beschlossen; sie sollen auf dem EU-Gipfel im Dezember von den EU-Staats- und Regierungschefs förmlich beschlossen werden.S. dazu Die Supermacht Europa . Letzte Woche hat von der Leyen in Berlin mit ihrem portugiesischen Amtskollegen José Alberto Azeredo Lopes konferiert, um den Aufbau EU-weit verzahnter Streitkräfte voranzutreiben; schon jetzt arbeiteten die Streitkräfte der zwei Länder sowohl bei der Ausbildung etwa der Marinen als auch bei Auslandseinsätzen eng zusammen, berichtet das Verteidigungsministerium.Ministerin empfängt portugiesischen Amtskollegen. www.bmvg.de 25.11.2016.

Strategische Autonomie

Letzte Woche hat nun auch das Europaparlament der EU-Kriegspolitik neuen Schwung verliehen. Es gelte so schnell wie möglich "multinationale Streitkräfte" innerhalb der EU zu schaffen, heißt es in einer Entschließung, die das Parlament am 22. November verabschiedet hat; daran müssten sich "alle Mitgliedstaaten" in der einen oder anderen Form beteiligen. "Grundvoraussetzung für eine wirksame Planung und Führung gemeinsamer Operationen" sei außerdem "die Errichtung eines operativen Hauptquartiers der EU", heißt es weiter; dies läuft auf den Aufbau eigenständiger Militärstrukturen neben der NATO und unabhängig von ihr hinaus. Das Europaparlament verlangt zudem, eine "Ratsformation der Verteidigungsminister" zu gründen, um "eine dauerhafte politische Führungsrolle zu schaffen"; auch soll ein neues "Weißbuch der EU zu Sicherheit und Verteidigung" erstellt werden. Alle EU-Staaten hätten künftig mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts "für Verteidigungszwecke" auszugeben und damit nicht nur kostspielige Rüstungsprojekte wie den Aufbau einer EU-"Drohnenindustrie", sondern auch Rüstungsforschungsprogramme im Wert von demnächst mindestens einer halben Milliarde zu Euro finanzieren. Weil "die politischen Prioritäten der NATO und der EU" womöglich "nicht immer übereinstimmen", müsse die EU in Zukunft fähig sein, eigenständig Kriege zu führen. Das Parlament plädiert deshalb "nachdrücklich" für das "Konzept der strategischen Autonomie".Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. November 2016 zu der europäischen Verteidigungsunion. 2016/2052(INI).

EU-Nuklearstreitkräfte

Während die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini den Staatenbund weiterhin lockend als "Supermacht" bezeichnetSpeech by High Representative/Vice-President Federica Mogherini at the Future of EU-NATO Cooperation conference. Brussels, 21.11.2016., um die notwendige Machttrunkenheit für den ehrgeizigen Aufbau eng verzahnter EU-Streitkräfte weiter zu befeuern, nehmen deutsche Politiker und Kommentatoren jetzt den Ausbau einer EU-Nukleartruppe in den Blick. Nach entsprechenden Plädoyers eines deutschen Außenpolitik-ExpertenS. dazu Make Europe great again . hat kürzlich der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter, gefordert, Berlin solle in Paris und in London dafür werben, einen "Nuklearschirm" für die EU zu errichten. Kiesewetter gibt an, dafür schon vor den Wahlen in den USA geworben, aber erst nach Trumps Sieg Zustimmung geerntet zu haben.German lawmaker says Europe must consider own nuclear deterrence plan. uk.reuters.com 16.11.2016. Es sei möglich, den teuren Nuklearschirm aus dem EU-Militäretat zu finanzieren, der 2019 eingerichtet werden solle. In einem Leitkommentar einer der führenden deutschen Tageszeitungen heißt es jetzt, es stelle sich "die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit" - und dafür seien "die französischen und britischen Arsenale … zu schwach".Berthold Kohler: Das Undenkbare. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.11.2016. Welcher Staat helfend einspringen soll, erläutert der Kommentator nicht explizit. Man darf davon ausgehen, dass er nicht an kleinere EU-Mitglieder wie Luxemburg gedacht hat.

Uralte Konstanten

Pläne, "Europa" zur militärisch operierenden Weltmacht unter deutscher Führung zu formieren, gehören zu den ältesten Konstanten der deutschen Außenpolitik.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 29.11.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

05. Dezember 2016

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